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Das Sommerloch
Über Nutzen und Nachteil eines schwindenden Begriffs

In Zeiten sozialer Medien mit Protagonisten wie Donald Trump drohe das Sommerloch, nostalgische Patina anzusetzen, bedauert Arno Orzessek in seiner Glosse. Denn es wäre traurig, wenn das digitale Zeitalter dieses kreative Loch gänzlich verstopfen würde.

Von Arno Orzessek | 11.07.2018
    Ortschild des Ortes Sommerloch im Kreis Bad Kreuznach.
    Wenn es kaum Berichtenswertes gibt, sprechen Medienleute vom "Sommerloch". (imago / blickwinkel)
    Mit dem Sommerloch ist es wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Längst nicht jeder glaubt an seine Existenz.
    Doch Experten haben die Sache durchgerechnet - und es stimmt! Die Anzahl der Nachrichten, die für seriöse Medien verwertbar sind, sinkt während der Ferienzeit um ein gewisses Quantum ab.
    Und wie auch anders? Denken Sie allein daran, was es bedeutet, wenn Innenminister Horst Seehofer demnächst in den Urlaub fährt, anstatt dreimal am Tag vor laufenden Kameras neues Gezänk mit Gott und der Welt anzuzetteln.
    Ob von Seehofer zu verantworten oder nicht: Es sind solche Mangelzeiten, in denen Medienleute von "Sommerloch" sprechen.
    Und spätestens, wenn Redakteure ihre Autoren betreten auffordern, über das Phänomen Sommerloch honorarpflichtige Texte zu verfassen, merkt auch das Publikum: Oha, das Loch! Es hat sich wohl wieder aufgetan!
    Sommerloch oder Ozonloch?
    Zumindest gilt das für das ältere Publikum. Den Digital Natives, die nur soziale Medien mit sekündlich aufpoppenden Neuigkeiten kennen, müsste man den Unterschied zwischen Sommerloch und Ozonloch wohl erst umständlich erklären.
    Fest steht jedenfalls, dass der Gebrauch des Wortes "Sommerloch", das um 1970 aufkam und in den 90er-Jahren seine beste Zeit hatte, seit dem Start von Facebook, Twitter & Co. in den Nuller-Jahren drastisch abnimmt.
    Denn warum sollte in den Netz-basierten Medien auch jemals Nachrichtenarmut ausbrechen, solange die Twitter-Accounts von Donald Trump, Mesut Özil und Lady Gaga nicht gesperrt sind?
    Betrachten wir darum noch einmal den Begriff "Sommerloch", bevor er nostalgische Patina ansetzt und jeder nur noch denkt: Sommerloch?... Ist doch voll 20. Jahrhundert!
    Platzhalter für Nachrichten?
    Tief ins Herz von Journalisten blicken lässt die dramatische Übertreibung, die dem Sommerloch innewohnt.
    Denn ein Loch ist sprachlich etwas Anderes und in der Realität oftmals Gefährlicheres als ein saisonal bedingt absinkendes Quantum.
    In der Loch-Untersuchung des Journalisten und Gelegenheits-Lochforschers Peter Panter alias Kurt Tucholsky heißt es aufschlussreicherweise: "Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist." "Da, wo etwas nicht ist" - das ist der entscheidende Punkt in puncto Loch.
    Im Klartext: Das Wesen des gemeinen Lochs wird wesentlich durch die Abwesenheit dessen, was drum herum ist, bestimmt. Beim Loch im Käse ist das der Käse, beim Loch im Kopf der Kopf, beim Knopfloch der Knopf...
    Aber - und jetzt kommt's - beim Sommerloch keineswegs der Sommer, denn der zieht sich selbst bei Regen durchs gesamte sogenannte Loch.
    Und es hilft gar nichts, wenn Schlaumeier jetzt einwenden, der Sommer in Sommerloch sei eigentlich ein Platzhalter für die Nachrichten in dieser Jahreszeit.
    Es gibt kein Nachrichtenloch
    Denn es gibt auch kein Nachrichtenloch, sondern allenfalls deren Ebbe, weil die Grenze zwischen Loch und Nicht-Loch nun einmal die zwischen Ganz und Gar nicht, zwischen eins und null, zwischen Sein und Nichtsein ist.
    Wie man es also auch dreht und wendet: Buchstäblich genommen ist "Sommerloch" sprachlicher Murks und auch als Metapher kein Kronjuwel unserer Sprache....
    Aber dafür drückt es gerade durch seine hölzerne Unbeholfenheit den horror vacui klassischer Medienmenschen ziemlich gut aus. Sommerloch, mir graut vor dir!
    Für Tiere und Hinterbänkler dagegen ist das Sommerloch höchst erfreulich, quasi ein Lustloch: Beide schaffen es weit häufiger als sonst in die Medien - und nutzen die Gelegenheit trefflich, wie einige unsterbliche Fälle beweisen:
    Der Hinterbänkler Dionys Jobst von der CSU riet im 1993er Loch Deutschland dazu, Mallorca zu kaufen und als 17. Bundesland einzugliedern; die Sozialdemokratin Lore Maria Peschel-Gutzeit setzte sich einige Löcher später dafür ein, dass jeder wählen darf, auch Neugeborene; und vor acht Sommerlöchern fordert Ursula Frerichs, die Präsidentin des Unternehmerverbands mittelständische Wirtschaft, Deo-Pflicht am Arbeitsplatz.
    Sommerloch fördert Ideenreichtum
    Woran man sieht: Trotz der äußerlichen Negativität fördert das Sommerloch den Ideenreichtum. Und traurig wäre es, wenn das digitale Zeitalter dieses kreative Loch gänzlich verstopfen würde.
    Übrigens: Ein Nachrichtenloch im Sinne von Tucholskys Loch wird es erst am Tag 1 nach dem letzten Tag geben, wenn die Top-Nachricht lauten müsste, aber umständehalber nicht mehr lauten kann: Menschheit gestern ausgestorben.
    Ob dann gerade Sommer ist oder Winter: Das wird mal ein echtes Loch sein!