Schmitz: Wie würden Sie denn, abgesehen von seinem sozialistischen Hintergrund, seine weltanschauliche oder ethische Perspektive beschreiben, des Politikers Kuron.
Musch-Borowska: Also alle Weggenossen Jacek Kurons, alle namhaften Politiker hier in Polen bezeichnen ihn als einen sehr menschlichen Politiker. Er habe sich immer für die Schwächsten in der Gesellschaft eingesetzt und sei also ein sehr unnachgiebiger Kämpfer für Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Menschen gewesen.
Schmitz: Wie war es mit seinen religiösen Ansichten? Gehörte er auch zu einem Sozialismus, der gleichzeitig auch Kontakte zur katholischen Kirche hatte?
Musch-Borowska: Also er war eher der Sozialist, die religiöse Komponente, das waren eher seine Weggefährten Lech Walesa oder auch Tadeusz Mazowiecki, die ja während der Entstehung der Arbeiterbewegung Solidarnosc gemeinsam mit ihm diese Freiheitsbewegung in Polen anführten. Und Jacek Kuron war gemeinsam mit Tadeusz Mazowiecki, mit dem Katholiken Tadeusz Mazowiecki einer der führenden intellektuellen Köpfe hinter dieser Freiheitsbewegung und da spielte wohl eher Tadeusz Mazowiecki den religiösen Part.
Schmitz: Welchen Stempel hat er denn der Gewerkschaft und der späteren Regierungspartei Solidarnosc aufgedrückt?
Musch-Borowska: Also er hat auf jeden Fall eine soziale Komponente dort hineingebracht. Nach den ersten freien Wahlen war er ja Arbeitsminister und in diesem neugegründeten Sozialministerium musste er sich also um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern. Das Arbeitslosengeld heißt bis heute hier in Polen kuronjuwka, weil er derjenige war, der sozusagen diese Sozialhilfe in dem vom Umbruch geprägten Land ins Leben gerufen hat.
Schmitz: Über Jahre hat Kuron in kommunistischen Gefängnissen gesessen, Sie haben es angedeutet, Herr Musch-Borowska, hat dann Polen sozusagen mit befreit, ist er also schon zeitlebens zu einem Mythos geworden oder war er davor immer gefeit?
Musch-Borowska: Also so ein wenig war er schon so etwas wie ein Mythos. Er war immer so etwas wie eine graue Eminenz im Hintergrund, auch während der Zeit, in der er noch politisch aktiver war. Sein letzter großer politischer Auftritt war 1995 bei der Präsidentschaftswahl als Aleksander Kwasniewski gegen Lech Walesa antrat und dann auch Präsident wurde. Da war auch Jacek Kuron einer der Präsidentschaftskandidaten, er bekam damals etwa neun Prozent der Stimmen. Also eigentlich nicht sehr viel, obwohl er ein eben sehr beliebter Politiker im Land war. Und danach hat er sich dann auch aus der Politik zurückgezogen und hat seitdem nur noch im Hintergrund gewirkt, also mitunter bei einigen öffentlichen Auftritten, aber vor allem publizistisch durch Zeitungsartikel und verschiedene Bücher.
Schmitz: Durchaus als Stimme wahrgenommen im Land oder war es eine leise gewordene Stimme, die auch nicht mehr wahrgenommen wurde in den letzten Jahren?
Musch-Borowska: Also seine Stimme wurde in der politischen Diskussion durchaus wahrgenommen. Noch im vergangenen Jahr gehörte Jacek Kuron zu den prominenten Unterzeichnern eines Aufrufes gegen den Irakkrieg, er hat sich gleichzeitig aber auch gegen den Terrorismus ausgesprochen und immer wieder für Menschlichkeit und für Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Er war eine wichtige historische Persönlichkeit und in den vergangenen Jahren nicht mehr so präsent in der politischen Diskussion.
Schmitz: Bernd Musch-Borowska über den Tod des polnischen Politikers und Solidarnosc-Mitbegründers Jacek Kuron.