Archiv


"Das Spiel des Lichts definiert das Objekt"

Er begann mit einem Porträt seines Vaters, flirtete kurz mit dem Impressionismus und brach am Schluss völlig mit bildnerischen Konventionen. Die National Galery in London zeigt einen Rundgang durch die Entwicklung des französischen Malers Cézanne, der wie kein anderer die Moderne einläutete. Zu sehen ist auch das Gemälde "Grandes Baigneuses", das das Museum 1964 gekauft hatte.

Von Hans Pietsch |
    Im Herbst des Jahres 1910 veranstaltete die Londoner Grafton Gallery eine kleine Ausstellung mit dem Titel "Manet und die Neo-Impressionisten" - Arbeiten von van Gogh, Gauguin, Matisse, Picasso. Und Cezanne. Wilde, ungehobelte Gemälde, und die Reaktion war dementsprechend. Vor allem Cézanne wurde verlacht und als "Beleidigung der britischen Öffentlichkeit" beschimpft.

    Erst ein Jahr später, fünf Jahre nach seinem Tod, kaufte ein britischer Sammler einen ersten Cézanne, und bis nach dem Krieg waren es vor allem Privatsammler, die sich seiner annahmen, die Museen machten bis dahin um ihn einen großen Bogen. Heute befinden sich mehr als 80 seiner Werke in britischen Sammlungen, die Schau in der National Gallery stellt eine Auswahl vor.

    Die Mini-Retrospektive ist ein aufschlussreicher und vergnüglicher Rundgang durch die Entwicklung des Malers, der wie kein anderer die Moderne einläutete. Sie beginnt mit einem Porträt des Vaters, das der damals 26-Jährige 1865 direkt auf eine Wand des Familiensitzes Jas de Bouffan in der Nähe von Aix-en-Provence malte. Technisch noch ein wenig zögerlich, doch die Farben - ein Terracotta-Rot und verschiedene Brauntöne - sowie satte Pinselstriche weisen schon auf das hin, was bald kommen wird.
    Mitte der 70er Jahre zeigen sich dann Einflüsse der Impressionisten. Cézanne, nun schon Vater, wohnt mit seiner Partnerin Hortense in Auvers, nicht weit von dem alten Camille Pissarro entfernt, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Das schwere Impasto wird durch eine leichtere, hellere Palette und eine größere Durchsichtigkeit ersetzt. Zwei nebeneinander hängende Darstellungen des Parks von Jas de Bouffan, die eine von 1868, die andere von 1876, zeigen diese Entwicklung.

    Doch auch der Flirt mit dem Impressionismus währt nicht lang. Für eine 1877 entstandene Landschaft mit Wasser verwendet er fast ausschließlich die Spachtel. Noch etwas klotzige Farbflächen alternieren mit delikaten, auf denen er die Farbe sanft und weich verteilt. Oberflächen-Textur, Rhythmus, Muster interessieren ihn.

    Auch Stilleben, vor allem mit Äpfeln, beschäftigen ihn in dieser Zeit. Die Rundungen der Früchte erzielt er durch parallele Pinselstriche vor einem schattenhaften Hintergrund. Diese parallelen Striche sind typisch für seine mittleren Schaffensjahre, genau zu sehen auf einer 1880 entstandenen Darstellung des Chateau de Médan, dem Ort in der Nähe von Paris, wo sein Schulfreund Victor Hugo lebte.

    Der reife Künstler bricht dann völlig mit bildnerischen Konventionen. Er macht Schluß mit der Verbindung von Zeichnung und Farbe - "Zeichne", sagt er zu einem jüngeren Maler-Kollegen, "aber vergiß nicht: das Spiel des Lichts definiert das Objekt." Er verzerrt die Perspektive und benutzt mehrere Standpunkte - der Betrachter hat ja zwei Augen und ist in der Lage, seinen Kopf zu drehen, und damit Dinge von verschiedenen Standpunkten aus gleichzeitig zu sehen. Den Tisch auf dem späten "Stilleben mit Kanne", entstanden in den letzten vier Lebensjahren, lehnt er nach rechts und zwingt uns so, ihn von oben und von der Seite zu sehen.

    Auch eine der fünf Versionen der berühmten "Kartenspieler" ist zu sehen. Sie gehört dem Courtauld Institute und entstand zwischen 1892 und 95 - der Textilfabrikant Samuel Courtauld war einer der emsigsten Sammler, er besaß insgesamt 14 Werke. Und natürlich die "Badenden" aus der Sammlung der National Gallery, die "Grandes Baigneuses" von 1894 bis 1905. Das Museum kaufte das Gemälde 1964, und selbst damals gab es noch in der Presse einen Aufschrei der Entrüstung.

    Diesmal aber des Preises wegen - 495.000 Pfund, eine Riesensumme damals - hätte das Institut vor 50 Jahren nicht geschlafen, so las man, hätte es das Bild für wenig Geld erstehen können. Das monumentale Werk ist nicht nur monumental seiner Größe wegen, sondern auch wegen seiner Komposition und wegen den statuesken nackten Frauenkörpern. Der Maler feiert hier die Einheit von Mensch, in diesem Fall Frau, und Natur.