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Das Stasi-Unterlagengesetz wird novelliert

Die Behörde für die Stasi-Unterlagen kann inzwischen auf über drei Millionen bearbeitete Anträge zurückschauen. Allein im öffentlichen Dienst wurde mehr als 1,7 Millionen Mal überprüft, wie dicht ein Bewerber mit der Stasi auf Tuchfühlung war. Doch die bisherige Praxis der Regelanfrage läuft im Dezember aus.

Von Jacqueline Boysen | 29.11.2006
    " Menschlich fühle ich mich verbunden mit den alten Stasi-Hunden. Ihr allein kennt all mein Leid. "

    Unmengen von Material haben die mehr als 90 000 hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Kollaborateure aufgenommen oder aufgeschrieben. Wie sie die Opposition im eigenen Land unterdrückt haben, was sie an perfiden Mechanismen zur Verfolgung und Gängelung ihrer Opfer erdacht haben - alles ist erhalten. Die Ausbürgerung von Wolf Biermann ist einer von unzähligen Vorgängen, die sich aus den Akten rekonstruieren lassen. All dies dokumentiert die Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheit. Mitstreiter der einstigen DDR-Opposition waren es, die die Hinterlassenschaften der Diktatur vor der Vernichtung bewahrt haben. Und, wie sich der Publizist und einstige Oppositionelle Johannes Beleites erinnert, sie schlugen ein Verfahren vor, wie die Akten in einer freien Gesellschaft zugänglich gemacht werden sollten.

    "Es ist mein größtes politisches Erlebnis, das wir 1990 gesagt haben in Leipzig, wir müssen die Akten erhalten. Ich war da im Volkskammerausschuss, von dort stammt auch das erste Gesetz, das mehr Möglichkeiten bot der Einsichtnahme und eine große Mehrheit fand, da gab es keine Gegenstimme, nur bei der PDS zwei Enthaltungen. Das war der Ausgangspunkt."

    Ausgangspunkt für eine Behörde und für den Umgang mit dem archivierten Material. Seit 1991 regelt das Stasi-Unterlagengesetz, wer auf welchem Wege Informationen aus den staatlich verwalteten Aktenbeständen erhält oder selbst Einblick nehmen darf in "seine Akte". Die Zugangswege für Forscher oder Journalisten sind genau beschrieben. Weltweit ist diese gesetzliche Regelung zur Klärung persönlicher Schicksale wie auch der Geschichte der gesamten Gesellschaft einzigartig. Und identitätsstiftend, so Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete vom Bündnis90/Die Grünen

    "Ich glaube das Wirken der Stasi bleibt gesamtdeutsches Thema. Allein die Zahlen der Anträge, dann sieht man, welche Bedeutung das hat. Die Überprüfung im öffentlichen Dienst 1,7 Millionen. Das Interesse ist ungebrochen, da bin ich gegen jede Form von Schlussstrich."

    War hauptamtlichen wie auch inoffiziellen Tätern von einst die Offenlegung ihrer Schandtaten stets zuwider, zeigt sich manch Geschädigter darüber enttäuscht, dass der Rechtsstaat in der Regel keine Strafe für stasi-gesteuertes Unrecht parat hält. Das aber habe man zum Ende der DDR auch nicht gewollt, so der Ost-Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann, einst Minister für Abrüstung in der einzigen frei gewählten Regierung der DDR und spätere CDU-Bundestagsabgeordneter

    "Es ging um Gerechtigkeit für die Opfer oder die sich Verwaltungsentscheidungen in der DDR nicht erklären konnten, warum sie nicht studieren durften, nicht reisen durften oder was immer. Wir wollten, der einzelne müsse die Chance bekommen, nachzusehen, wer ist denn das gewesen. Wären die Akten vernichtete worden, hätte es nur den Täter gegeben, der Auskunft hätte geben können. Hätte es das nicht gegeben, hätten wir die Aufarbeitung den hauptamtlichen oder inoffiziellen Mitarbeitern überlassen. Nein, uns ging es tatsächlich um Gerechtigkeit für die Opfer."

    Grundsätzlich hat die Aufarbeitung von Regalkilometer füllenden Dokumenten aber nicht allein historischen Erkenntnisgewinn gebracht. Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit, kann inzwischen auf 3,179 Millionen bearbeitete Anträge zurückschauen, allein im öffentlichen Dienst wurden mehr als 1,7 Millionen mal überprüft, wie nah ein Bewerber mit der Stasi auf Tuchfühlung geraten war, und ob diese Nähe ihn heute für ein verantwortungsvolles Amt disqualifiziert. Die Institution, die die Hinterlassenschaft des Geheimdienstes verwaltet, erhält und zugänglich macht, bearbeitet seit 1991 freilich weitergehende Aufträge: Neben der hauseigenen Forschung klärt sie immer häufiger auch Anfragen der Rentenversicherer oder ist für Sicherheitsüberprüfungen von Geheimnisträgern zuständig. Auch in Rehabilitierungverfahren spielen gelegentlich Stasi-Dokumente eine Rolle, so Jens Planer-Friedrich, der im Berliner Bürgerbüro einstige Opfer der SED-Diktatur betreut und berät.

    "Die Akten hatten und haben auch eine symbolische Wirkung, wer sie hat, hat den Zugriff auf die Vergangenheit. Dann war es auch für die Opfer wichtig, das sie erfahren, was los ist. Ich habe hier jemanden, der wurde damals nicht zum Studium zuglassen, aber er konnte nichts beweisen, aber zu seinem eigenen Erschrecken hat er eine dicke Akte, weil er sich mit oppositionellen Leuten getroffen hat. Und der Vorgang war so angelegt, das man ihn rauskicken wollte, er konnte also beweisen, dass er aus politischen Gründen exmatrikuliert wurde, dieser Vorgang dahinter ist erst aus den Akten klar geworden."

    Der Geheimdienst verstand sich als "Schild und Schwert der Partei", als Elite im kämpferischen Arbeiter- und Bauernstaat. Die Aufarbeitung der Relikte dieser Tätigkeit sichere den Rechtsfrieden im vereinigten Deutschland. Dennoch empfiehlt der aus Ostdeutschland stammende Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, nun das Weiterdenken:

    "Ich glaube, dass wir mit dem gebührenden Abstand zur DDR den Blick etwas weiten sollten. Die Fokussierung auf die Stasi, auf Täter und Opfer, muss eigentlich abgelöst werden durch die Betrachtung auch der Alltagskultur, weil alles zusammen erst ein adäquates, valides DDR-Bild zeichnet. Da gibt es Nachholbedarf gerade was das Herrschaftssystem betrifft."

    Tatsächlich ist der Gesetzgeber aufgerufen, das Stasi-Unterlagengesetz zu novellieren. Eines seiner Kernstücke, die so genannte Regelüberprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, war ganz bewusst auf einen Zeitraum von 15 Jahren befristet. Dann nämlich, so die ursprüngliche Annahme, sei ein Elitewechsel in den neuen Bundesländern weitgehend vollzogen, man müsse Bilanz ziehen und das Gesetz den naturgemäß veränderten gesellschaftlichen Umständen anpassen - ein ganz normaler Vorgang: Auch was Gesetz ist, unterliegt einem Wandel. Noch im Spätsommer erklärte Marianne Birthler als Nachfolgerin von Joachim Gauck Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen:

    "Das trifft besonders die Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst. Also diese Regelung läuft aus und es gibt Reformvorschläge, wie ich die Debatte wahrnehme, will man nicht einfach die jetzige Praxis verlängern, sondern den Personenkreis enger fassen als bisher."

    Frau Birthler klang gelassen - nicht ahnend, welche Turbulenzen es um die ihre Arbeit betreffende Gesetzesnovelle noch geben würde. Die Bundesbeauftragte und der Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, in dessen Ressort die Stasi-Unterlagenbehörde fällt, verständigten sich auf einen Novellierungsvorschlag. Kein Schlussstrich - so lautete das Motto der Novelle, erklärte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, SPD, nachdem auch die Fraktionen der Regierungsparteien sowie die Bündnisgrünen einverstanden waren:

    "Es gibt ein paar technische Neuerungen, dann die veränderte Regelüberprüfung, aber da es weiter Interesse gibt, muss der Zugang möglich bleiben, auch eine Überprüfung bei herausgehobenen Positionen im öffentlichen Dienst, im Verdachtsfall, da muss es klare Regeln geben, aber dann werden wir wohl auch überhaupt über die Behörde reden müssen, brauchen wir wohl noch, aber es gibt andere, die die Behörde in das Bundesarchiv übergehen lassen wollen. ich bin da nicht fanatisch."

    Über die Zukunft der einst nach ihrem ersten Leiter benannten Gauck-Behörde wird derzeit noch nicht befunden. Wohl aber lassen sich anhand der Debatte um das Stasi-Unterlagengesetz Tendenzen in der Beurteilung ihrer Arbeit ablesen.
    Vorrangig ist momentan die Gesetzesnovelle, denn hier ist der Bundestag an eine Frist gebunden. Im Einvernehmen wollte man die Regelüberprüfung grundsätzlich verändern. Künftig sollte sich demnach nur noch ein eingeschränkter Personenkreis von Mitarbeitern in herausgehobenen Ämtern auf die einstige Kollaboration mit dem Geheimdienst überprüfen lassen. Und zwar dann, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Tätigkeit bei der Stasi vorlägen. Der juristische Terminus der "Anlassbezogenen Überprüfung" stieß jedoch auf vehementen Protest: Was ist denn ein Verdacht, wer darf ihn äußern? Vormalige Spitzel sind ja bis heute oft unerkannt und erregen gerade kein Misstrauen, so Jens Planer-Friedrich:

    "Nun kann man streiten, wie viel die Regelüberprüfung gebracht hat. Wir machen die Erfahrung, dass immer wieder Leute enttarnt werden an Stellen, wo sie hätten gar nicht hinkommen dürfen."

    In den seltensten Fällen wird Belasteten wirklich gekündigt. Offenliegen sollten ihre Fälle schon, so auch der Gesetzgeber. Die Fraktionen von CDU/CSU und der SPD sowie die Bündnisgrünen im Bundestag folgten bei der Suche nach einer Neuregelung also dem Vorschlag einer eingeschränkten Regelüberprüfung. Im Bundesrat aber regte sich Widerstand: Zur Überraschung vieler folgte das Gremium dem Land Thüringen, das aus Protest einen Gegenentwurf formuliert hatte. Die bisherigen Regelungen zur Überprüfung der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst sollten auf unbestimmte Zeit beibehalten werden. Der Bundestag setze, so hieß es aus Thüringen, ein "verheerendes Signal". Man sollte vielmehr die bisher praktizierte Offenlegung auch persönlicher Akten beibehalten, denn sie ermögliche eine differenzierte Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit ja überhaupt erst, so der thüringische Minister Klaus Zeh, einst Mitglied im Demokratischen Aufbruch:

    "Insofern sind Persönlichkeitsrechte hier gering tangiert. Die Überprüfung greift der Beurteilung ja nicht vor. Ich betrachte die Überprüfung nicht als Stigmatisierung, das Gegenteil ist richtig. Wir haben auch zu Unrecht belastete Personen schützen können mit den Akten. Einer Denunziation aber würden wir nichts mehr entgegenhalten können. Im Gegenteil: wir wissen doch, dass niemand das Handwerk der Denunziation besser versteht als irgendjemand sonst in diesem Land."

    Der Bundesrat also übte Fundamentalkritik, die einige der einstigen Bürgerrechtler sowie Teile der FDP im Bundestag teilten. Darüber hinaus zeigte sich andererseits sehr rasch: Auch unter Juristen war die Vorlage der Regierungsfraktionen nicht unumstritten. Die Neuerungen im vorgelegten Entwurf würden einen restriktiveren Umgang mit den Akten der Staatssicherheit befördern, so der Jurist Johannes Weberling. Als Rechtsanwalt hat er immer wieder Prozesse geführt oder beobachtet, in denen Arbeitgeber rechtliche Konsequenzen für einstige Spitzel einklagten. Dass künftig nicht mehr möglich sein sollte, belasteten Personen ihr einstiges verwerfliches Verhalten in Arbeitsgerichtsprozessen vorzuhalten, kritisierte der Verfasser eines Kommentars zum Staatsunterlagengesetz:

    "Der Herr Spilker, der Chefredakteur der Ostseezeitung, ist der klassische Fall, wo Unterlagen auf den Tisch gekommen sind, der andere Fall ist Herr Bosdorf, der, wie man fairerweise sagen muss, noch nicht entschieden ist. Bei Herrn Spilker sind von Seiten der Behörde neue Erkenntnisse dem Arbeitgeber mitgeteilt worden. Nur so ist die Offenlegung nur so möglich geworden. In Zukunft würde die Mitteilung der Behörde von sich aus würde entfallen."

    Auch die Beschränkung des Personenkreises, bei dem weiterhin die vormalige Nähe zu Mielkes Ministerium überprüft werden sollte, erregte Unmut. Jörn Mothes, Landesbeauftragter für die Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern wandte sich gegen das immer wieder ins Spiel gebrachte Mittel der freiwilligen Selbstauskunft als eventuelle Alternative zur Überprüfung

    "Das Instrument der Selbstauskunft ist nicht Zusammenhang mit der privaten Einsicht in Akten und die rechtliche Nutzung solcher Erkenntnisse danach führt wie wir aus MV wissen, zu Folgeproblemen."

    Auch diejenigen, die grundsätzlich für das Ende der allgemeinen Regelüberprüfung eintreten, wie Richard Schröder, der Theologe an der Humboldt-Universität, hatten Ergänzungswünsche für den Novellierungsentwurf. Schröder monierte, was auch bei den Thüringern ein Motiv ihrer Intervention war: der bekanntlich schwer belastete Sektor Sport müsse sich gleichfalls weiterhin überprüfen lassen.

    "Und zwar weil er mit Vertrauenswürdigkeit zu tun hat, die oberste Regel heißt Fairness, und ich finde, beim Sport sollte bei obersten Funktionären auch im Sport die Überprüfung Vorwürfe klären können."

    Diejenigen, die der allgemeinen Regelüberprüfung mit dem Jahr 17 nach der Wiedervereinigung ein Ende setzen wollen, argumentieren ihrerseits mit einem Begriff aus dem Strafrecht, der Verjährung. Diese freilich wird bei Stasi-Machenschaften nicht angewandt. Doch man könne den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verjährung hier quasi als Muster verwenden, erläutert Arnold Vaatz, Bundestagsabgeordneter der CDU aus Sachsen:

    "Das ist ein Wort, das wir verwendet haben, weil es kein anderes Wort gibt, aber es trifft das Verjährungsprinzip nicht hundertprozentig. Dieses gesamte Kapitel, mit dem wir uns beschäftigen, ist aber die Frage der Eignung für ein bestimmtes Amt, nicht um Strafrechtliches. Wir fragen also, ob Stasi-Mitarbeit generell die Nicht-Eignung bedeutet. Genau genommen geht es um Verhalten, das Nicht-Eignung dauerhaft oder eben nicht dauerhaft begründet. Ich glaube, das ist maßvolle Position."

    Und doch entwickelte sich hier ein auch in der Demokratie selten gewordener Vorgang: Der Deutsche Bundestag musste seine Tageordnung ändern und konnte das Gesetz so, wie es vorlag, nicht beraten und beschließen. Der von den Fraktionen der beiden Regierungsparteien sowie den Bündnisgrünen vorgelegte Gesetzentwurf wurde tatsächlich aufgrund massiver und ganz unterschiedlicher Proteste zurückgezogen. Er wurde korrigiert - lebendige Demokratie, so, wie es sich die DDR-Bürgerrechtler einst erhofft hatten. Johannes Beleites:

    "Ohne dass ich sagen kann, ob ich 100% zufrieden bin, aber es ist am Ende etwas herausgekommen, was besser ist als das, was in beiden Entwürfen bisher stand. Da kann ich nur sagen, so macht Demokratie Spaß."

    Tatsächlich wird die Regelüberprüfung nun weitergeführt, aber sie soll auf einen bestimmten Personenkreis - inklusive der Sportfunktionäre - beschränkt werden. Diese Regelung gilt dann für weitere fünf Jahre. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, SPD will das Verfahren nicht kritisiert wissen, schließlich habe man stets in guter Absicht gehandelt:

    "Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Vorwürfe gegen den alten, wie gegen den jetzigen Entwurf erst recht, wir wollten einen Schluss-Strich ziehen, gänzlich falsch sind. Sie sind unberechtigt. Es war immer unsere Intention, Aufarbeitung fortzusetzen- auf rechtsstaatsgemäße Weise."

    Vom Tisch ist auch das für Arbeitsrechtler problematische so genannte Vorhalteverbot - in bestimmten Einzelfällen also könnten Akten auch vor Gericht, zum Beispiel in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen, genutzt werden. Zerknirscht zeigt sich der Unionsabgeordnete Arnold Vaatz, denn nun hat man sich doch darauf geeinigt, die Recherche bei der Gauck-Behörde auch künftig nicht von einem Verdacht abhängig zu machen.

    "Bei dem Punkt der verdachtsabhängigen Überprüfung, da hatte ich ein starkes Unwohlsein, das war mir sehr suspekt, aber ich hatte immer wieder auch gehört, dass wir verfassungsmäßig nicht frei in dieser Frage. Also ich bin emotional sehr stark auf der Seite derer, die gesagt haben, das ist zu wenig."

    Die Regierungsparteien betonen, ihr neuer Entwurf, dem auch die Bündnisgrünen und die FDP inzwischen zustimmen, erfülle eine doppelte Funktion. Neben den Fragen, die Beschäftigte im öffentlichen Dienst und deren Vergangenheit berühren, will man auch den Aktenzugang grundsätzlich vereinfachen. Dies war insbesondere nach einem Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichts in einem höchst prominenten Fall nötig geworden: Alt-Kanzler Helmut Kohl hatte gegen die Stasi-Unterlagenbehörde geklagt - und recht bekommen. Bestimmte Akten über ihn sind nicht zugänglich, das Persönlichkeitsrecht stehe vor der Forschungsfreiheit. Fortan gewährte man in den Archiven der Stasi Journalisten und Historikern nunmehr vorsichtig Einblick in Akten zu Personen. Der Direktor der Behörde, Hans Altendorf:

    "Die Probleme, die sich beim Zugang von Forschern ergeben, sind vielfältig. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere interne Forschung gut kommuniziert mit denen draußen. Hier aber Diskussionsmöglichkeiten."

    Immer wieder war kritisiert worden, dass Historiker, die unter dem Dach der Behörde der Bundesbeauftragten für die Staatssicherheit arbeiten, privilegiert seien: Ihnen stehen Akten ungeschwärzt zur Verfügung, sie haben gewissermaßen das Recht zu blättern, während anderen vorbereitete, selektierte Bestände gezeigt würden. Er wehre sich dagegen, dass der Staat gewissermaßen vorschreibt, wer was erforscht, so der Autor Johannes Beleites:

    "Dieses Zugangsmonopol der Forschungsabteilung der Behörde gehört aufgelöst, das schränkt die Forschungsfreiheit ein. Nicht dass man die Abteilung auflöst, aber dass man den anderen Historikern auch den Zugang offen gewährt. Das passiert nun, vielleicht wäre es noch besser möglich, aber in dem Thüringer Vorschlag war es gar nicht enthalten."
    Hier war der Gesetzgeber aufgerufen, Klarheit zu schaffen. Forschern und Journalisten soll künftig der Zugriff auf die Hinterlassenschaften der einstigen Tschekisten der DDR erleichtert werden. Der Jurist Johannes Weberling:

    "Die Diskussionen haben gezeigt, dass wir mit unseren Argumenten auf offene Ohren gestoßen sind, insbesondere der Vorwurf, dass Aufarbeitung nicht mehr möglich sein soll, das ist angekommen. Erfreulicherweise wird der Zugriff für Journalisten etc nun leichter, weil der Gesetzgeber klarstellen wird, das war so nicht haltbar. Das Problem, die BStU war an das Kohl-Urteil gebunden. Aber wenn der Gesetzgeber jetzt anders entscheidet, dann haben wir bessere Möglichkeiten zu arbeiten."
    Das bedeutet freilich nicht, dass jetzt Persönlichkeitsrechte nicht mehr geschützt sind. In der Tat sollte nicht vergessen werden, was die Praxis seit 1991 zeigt: Erstens war der Befund bei den 1,7 Millionen Überprüfungen im Öffentlichen Dienst auf Nähe zur Stasi zumeist negativ. Zweitens führt auch ein positiver Befund keineswegs unbedingt dazu, dass der Betroffene ein Abgeordnetenmandat niederzulegen oder eine Uniform wieder auszuziehen hat. Dies Bild freilich prägte die öffentliche Debatte - speziell nach spektakulären Enthüllungen, die zumeist nicht nach den Regelüberprüfungen Schlagzeilen machten, sondern auf der Recherche von Journalisten oder Historikern beruhten. Viel weniger wird dagegen über die positiven Erkenntnisse der Akteneinsicht berichtet. Denn mit schier unermüdlichem Arbeitseifer hat das MfS nicht nur Verrat festgehalten, sondern auch Standhaftigkeit. Und dass man dies auch in Zukunft noch feststellen kann, sei ein wichtiger Beitrag zur Annäherung an die eigene Geschichte, sagt der Oppositionelle Wolf Biermann:

    "Ich war erschüttert, wie viel kluge, tapfere Menschen es gab. Ich wusste das aber nicht. Die konnten ja nicht drüber sprechen, sonst wären sie weg gewesen. Das heißt die Akten zeigen, wie viel einfache Leute tapfer waren. Leute, die beim näheren Hinsehen alles andere als einfach sind."