Dienstag, 21. Mai 2024

Archiv


Das Stück zum Geist der Zeit

In Mirjam Neidharts Stück "Torschusspanik" am Hamburger Thalia Theater geht es ums Kinderkriegen, um die Reproduktionskrise und die stetig schrumpfende Geburtenraten in Deutschland. Jedenfalls hat die Autorin Neidhart viele Stunden lang Interviews geführt, die zunächst nur als Basis eines Theaterstücks dienen sollten, doch dann wurden die Interviewtexte zu Szenen zusammengestellt und es kam etwas heraus, was sich Collage nennt.

Von Michael Laages | 17.02.2007
    Die erste Reaktion ist ja häufig die beste: "Geht mich nix an!" - murrt nach eineinhalb Theaterstunden der Berichterstatter; er ist ja ledig, kinderlos und inzwischen auch schon ein wenig älter, weswegen sich beides möglicherweise auch nicht mehr ändern wird. Betroffenheit also sozusagen minus Null - einerseits. Andererseits: Muss nicht gerade er sich allemal darauf einrichten, demnächst von irgendeiner künftigen Regierung sozial- und steuerpolitisch abgestraft zu werden für das offensichtliche Versagen im Kampf um die Aufrechterhaltung des sozialen Gleichgewichts? Kein Buch geschrieben, kein Bäumchen gepflanzt, kein Kind gezeugt - wer wird ihm mal die Rente zahlen in absehbarer Zeit? Von wegen also: Geht mich nix an! Oder besser: Ginge auch den grauen Hagestolz was an, wenn - ja wenn dieses so genannte Theater-"Stück" sich im Ernst auf den Diskurs über die sozial- und gesellschaftspolitischen Implikationen einlassen würde, die sich aus dem Zeugungsverzicht weiter Kreise der fertilen Bevölkerungsschichten notwendig ergeben.

    Tut es aber nicht - die Schweizer Theaterfrau Mirjam Neidhart hat leider nichts weiter getan als Leuten das Mikrophon hin zu halten, die es offenbar nicht lassen können, die eigenen und eigentlich völlig belanglosen Motivchen für dieses und jenes halbwegs öffentlich auszubreiten. Und so wird dann halt all das fahrig zusammen gefaselt, was im Medienzeitalter in den nachmittäglichen Plapper-Shows mit irgendwelchen Jürgen Flieges entsorgt wird. Vernünftigerweise.

    Neidharts soziologisches Sample ist nicht viel mehr als die auf sechs Schauspiel-Stimmen verteilte Versammlung einiger, sehr-sehr weniger ernsthafter und beinahe dramatischer Figuren - und einer erdrückenden Übermacht beredsamer Idioten. Dass das Mittelmaß regiert, ist zwar schon länger bekannt - aber das Theater zumal bemüht sich doch für gewöhnlich um die Anhebung des Durchschnitts; schon weil es gemeinhin mit Stücken umgeht, literarischem Material also, ja womöglich gar einem Gleichnis, dass ein starkes Stück Phantasie mit poetischer Kraft in ein Stück von unser aller gemeinsamem Selbst verwandelt. Nichts davon hat dieses Stimmengewirr - und die Inszenierung von Simone Blattner lässt denn auch keinen Augenblick vergessen, dass sie aus der Defensive heraus entstanden ist. Unentwegt nämlich versucht sie sich der Zumutungen des Textes zu erwehren - indem sie das Personal auf ein fahrbares Sofa ganz in Rosa setzt, chorisch sprechen oder gelegentlich auch schon mal singen lässt; wodurch der Text-Krempel dann immerhin nach ganz schlechtem Schlager schmeckt. Als wär's so ironisch gemeint. Ist es aber auch nicht.

    Von "Dokumentartheater" kann erst recht nicht die Rede sein - eine gemeinsame Lesung hätte allemal genügt; vielleicht unter der übermütterlichen Schirmherrschaft von Ursula von der Leyen, und am Mutter- oder Vatertag. Vielleicht an beiden.

    "Torschusspanik" ist ein ziemlich drastischer Beleg für die Notwendigkeit der Einhaltung einiger Grundvereinbarungen im Theater: dass in irgendeiner Art und Weise szenisch, womöglich dramatisch gedacht wird; dass selbst alltägliche Sprache einer minimalen Behauptung von Form bedarf, um auf der Bühne zu wirken; dass es nicht genügen darf als Anforderung an einen Theatertext, dass das Thema die Autorin oder den Autor "beschäftigt" und (in diesem Fall) sie (und er, der Dramaturg) möglichst wenig am originalen Plauder-Material verändert hat. Und schon gar nicht genügt es, dass -ja!- ein Thema "in der Luft" liegt. Genau da bleibt es, wenn das Theater keinen Ton dafür findet. So lange der nicht da ist, gilt die alte Regel: Finger weg!