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"Das System hat nicht versagt"

Angesichts der aktuellen außergewöhnlichen Herausforderung weist der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Kritik am Hochwasserschutz zurück. Der Schwerpunkt der Investitionen werde in Zukunft auf Maßnahmen liegen, die die Flüsse langfristig entlasten.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.06.2013
    Christiane Kaess: Mitgehört am Telefon hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU. Guten Morgen!

    Joachim Herrmann: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Herrmann, ist das für Bayern ein Jahrhunderthochwasser?

    Herrmann: Ganz eindeutig ja, mindestens ein Jahrhunderthochwasser. Wir haben ja gerade gehört, in Passau haben wir einen Pegelstand gehabt in der vergangenen Nacht, wie seit 500 Jahren nicht mehr. Das ist wirklich eine völlig außergewöhnliche Situation. Natürlich ist das nicht in jedem Ort in Bayern so. Es gibt auch Orte Gott sei Dank, wo das Hochwasser hinter der Situation von vor elf Jahren zurückgeblieben ist. Aber insgesamt, auch in der Gesamtbelastung im Freistaat, ist das wirklich eine absolute Ausnahmesituation.

    Kaess: Nun ist viel in den letzten Jahren in den Hochwasserschutz investiert worden. Warum haben die Maßnahmen nicht überall gewirkt?

    Herrmann: Sie haben an vielen Orten positiv gewirkt. Ich habe mich selbst in den letzten beiden Tagen an einer Reihe von Orten davon überzeugt, auch dort, wo nicht die ganz große Katastrophe eingetreten ist, wo Landräte mir erklärt haben, jawohl, die Investitionen haben sich bezahlt gemacht und gerade deshalb sind wir verschont geblieben. Überall dort, wo es aber erfolgreich war, stehen natürlich diese Orte verständlicherweise im Moment nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung, weil dort die Katastrophe nicht eingetreten ist. Wir haben aber in der Tat noch einiges zu tun. Wir haben ja ein langjähriges Investitionsprogramm und auch aus den Worten von Oberbürgermeister Dupper haben Sie ja entnommen, in der Tat: Wir müssen auch im Verlauf der Flüsse bei der Frage Rückhaltemöglichkeiten, Polder beispielsweise entlang der Donau und anderer Flüsse, wo wir dann entsprechend Regenwassermengen sozusagen aufnehmen können, wo die abgeleitet werden können, um den Flusslauf nicht noch weiter zu belasten. In diese Dinge müssen wir weiter investieren. Und das wird jetzt natürlich eine entscheidende Herausforderung auch für die nächsten Jahre sein, erstens Geld bereitzustellen und das dann auch möglichst schnell umzusetzen. Man muss wissen: Beispielsweise auch bei manchen betroffenen Landwirten stößt natürlich nicht jede dieser Maßnahmen immer nur auf Begeisterung, denn einen höheren Wasserdamm zu bauen oder solche Polderflächen zu bauen, bedeutet natürlich auch Eingriff in deren Eigentum, in deren landwirtschaftliche Flächen.

    Kaess: Aber, Herr Herrmann, noch mal die Nachfrage: Der Hochwasserschutz ist ja nichts Neues. Wir sehen jetzt Bilder, wo ganze Innenstädte unter Wasser stehen. Deshalb noch mal die Nachfrage: Wo hat das System versagt?

    Herrmann: Das System hat nicht versagt. Wenn Sie ein Wasser haben, wie es seit 500 Jahren nicht mehr aufgetreten ist, dann, denke ich, wird keiner behaupten können, warum ist dem nicht vorgesorgt worden. Und es ist am Beispiel Passau auch so, dass sicherlich niemand jetzt vorschlagen kann, eine, was weiß ich, drei Meter hohe Mauer rund um die Altstadt von Passau zu bauen. Das würde letztendlich mit dem Lebensgefühl der Menschen kaum vereinbar sein. Wir müssen also jetzt sorgfältig schauen, was kann sinnvollerweise getan werden, wo können wir noch weiter investieren. Und noch einmal: Wir haben schon sehr viel investiert, das war erfolgreich an vielen Stellen. Und dort, wo es jetzt nicht erfolgreich war oder wo Dämme beispielsweise gebrochen sind, dort muss sorgfältig analysiert werden, wie können wir das für die Zukunft verhindern, was können wir hier noch weiter tun. Wir haben seitens der Staatsregierung auch schon klar gestern angekündigt, wir wollen noch mehr Geld dafür bereitstellen. Wir erwarten allerdings auch vom Bund ganz klar eine noch stärkere Unterstützung.

    Kaess: Wir haben schon in dieser Sendung Kritik gehört vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Der hat bei uns im Programm gesagt, ein Vertreter vom BUND hat bei uns im Programm gesagt, das Wasserschutzkonzept aus dem Jahr 2001 ist nur teilweise umgesetzt worden. Zu viel ist auf technische Aspekte und den Katastrophenschutz gesetzt worden, aber der ökologische Hochwasserschutz, der ist eigentlich außen vor geblieben, zum Beispiel, dass bestimmte Gebiete bebaut wurden, die eigentlich nicht bebaut hätten werden sollen. Warum hat man das rechtlich nicht durchgesetzt?

    Herrmann: Wir sind, gerade was die Bebauung von Hochwasserschutzgebieten anbetrifft, in den letzten Jahren sehr restriktiv gewesen. Ich denke, gerade entlang der Donau wird das kaum ernsthaft behauptet werden können. Da kann es, kann ich nicht beurteilen, wenige Ausnahmefälle geben, aber insgesamt ganz klar ja. Entscheidend ist auch das Konzept für die weitere Entwicklung entlang der Donau, das wir ja gerade erst im letzten halben Jahr endgültig beraten und beschlossen haben. Hier ist jetzt festgelegt, und zwar vor einigen Monaten festgelegt worden, dass hier gerade dem Thema Hochwasserschutz entlang der Donau, gerade im Bereich zwischen Regensburg und Passau, absolute Priorität zukommt, dass auch dieser Hochwasserschutz Vorrang hat vor dem Ausbau der Donau als solchen, und genau das wird in den nächsten Jahren jetzt auch ein Schwerpunkt sein.

    Kaess: Herr Herrmann, wir wissen, dass Gerhard Schröder für seinen Wahlsieg 2002 das Elbe-Hochwasser geholfen hat, weil er sich als tatkräftiger Helfer in der Not präsentieren konnte. Wenn heute der bayerische Ministerpräsident Seehofer zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die überfluteten Städte tourt, dann sieht das fast so aus, als würde die Union auch auf diese Karte setzen.

    Herrmann: Da findet kein Wahlkampf statt, sondern ganz konkrete Hilfe. Da gibt es auch überhaupt keine parteipolitischen Konstellationen. Oberbürgermeister Dupper von Passau ist von der SPD und ich von der CSU. Hier werden keine parteipolitischen Auseinandersetzungen geführt, sondern im Moment sind alle, die in Verantwortung stehen, gefragt, erstens im Moment bestmögliche Hilfe zu organisieren und dann die richtigen Konzepte auch für den Ausbau des Hochwasserschutzes in den nächsten Jahren zu entwickeln. Und gerade dort, wo die Not am größten ist, ist es, glaube ich, auch wichtig, dass die Menschen die Solidarität auch auf allen politischen Ebenen spüren und dass jetzt natürlich dann auch konkrete Hilfe geleistet wird, denn es geht kurzfristig an manchen Stellen auch darum, einfach aufzuräumen.

    Kaess: Und diese konkrete Hilfe auch finanziell wird die bayerische Landesregierung leisten?

    Herrmann: Wir haben gestern bereits angekündigt, dass wir 150 Millionen Euro zur Verfügung stellen werden. Das sind 50 Prozent mehr als beim letzten Mal. Und es wird auf jeden Fall hier allen Menschen, die hier entsprechend fürchterliche Schäden erlitten haben, auch ganz konkret geholfen werden.

    Kaess: …, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.

    Herrmann: Ich danke Ihnen auch – alles Gute.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.