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"Das System muss durchlässiger werden"

Bundesministerin Annette Schavan hat sich für eine stärkere Verzahnung von Bildungsthemen mit der Familien- und Sozialpolitik ausgesprochen. Verbesserungswürdig sind nach Ansicht der CDU-Politikerin die Übergänge zwischen den verschiedenen Bildungsphasen. Die Entscheidung für eine Schule und Schulart dürfe nicht zur Sackgasse werden.

Moderation: Sandra Schulz | 13.06.2008
    Sandra Schulz: Eine "Bildungsrepublik Deutschland" hat Bundeskanzlerin Merkel gefordert. Nach dem Bildungsbericht, den die Kultusministerkonferenz gestern vorgelegt hat, sind Wunsch und Wirklichkeit offenkundig nicht deckungsgleich. Geringe Studierendenzahlen, zu hohe Abbruchquoten an den Universitäten, aber auch dies: 40 Prozent, also annähernd jeder zweite Hauptschulabgänger kann zeitnah nicht in eine Berufsausbildung vermittelt werden. Das Handwerk schlägt Alarm. Jeder vierte Jugendliche sei nicht ausbildungsfähig, so der Befund des Generalsekretärs des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Schleyer. Einen nationalen Bildungsgipfel hat Bundeskanzlerin Merkel für den Herbst angekündigt. Dessen Vorbereitung liegt in den Händen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen!

    Annette Schavan: Guten Morgen Frau Schulz.

    Schulz: Frau Schavan, wie viel Eingeständnis steckt eigentlich in dem Ziel, Bildungsrepublik Deutschland werden zu wollen? Sind wir das nicht?

    Schavan: Dahinter steckt die Überzeugung, dass Bildung ein ressortübergreifendes Thema ist, das immer stärker mit der Familienpolitik, mit der Sozialpolitik zusammengedacht werden muss, damit wirklich jeder Jugendliche eine Chance bekommt. Und dass das noch nicht so ist, dass wir nicht gut genug sind, das zeigt natürlich auch der Bildungsbericht.

    Schulz: Frau Schavan, wir hätten eine Vertrauenskrise und keine Qualitätskrise im Bildungssystem. Das haben Sie im Zuge der Streitigkeiten um die G8-Reformen im Frühjahr gesagt. Sehen Sie sich von dem Bildungsbericht bestätigt in dieser Meinung?

    Schavan: Ja, denn natürlich gibt es in Deutschland sehr gute Schulen, auch. Es gibt unsere berufliche Bildung, von der alle auch international sagen, das ist ein Pfund, das ist ein Grund, warum wir eine international geringe Jugendarbeitslosigkeit haben. Aber es gibt viele Fragen: Wie viel Mobilität gibt es in Deutschland, wer von einem Bundesland zum anderen wechselt? Und vor allen Dingen - das wird ja auch das zentrale Thema des Bildungsgipfels sein - die Übergänge müssen besser funktionieren: von der frühkindlichen Bildung in die Schule, von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Bildung. Das System muss durchlässiger werden. Die Entscheidung für eine Schule und Schulart darf nicht zur Sackgasse werden.

    Schulz: Aber wenn wir kein Qualitätsproblem haben, sondern nur ein Vertrauensproblem, wozu ist dann überhaupt der Bildungsgipfel nötig?

    Schavan: Nun, dass Vertrauenskrise vor der Qualitätsfrage steht, heißt nicht, dass es nicht auch im Blick auf Qualität Weiterentwicklungsbedarf gibt, also bessere Orientierung, individuelle Förderung für die Schüler, die sich schwer tun. Das ist keine Frage - und in dem Zusammenhang war es ja genannt - primär des Gymnasiums, sondern das ist eine Frage im Blick auf die Schülergruppe, von der wir auch aus den PISA-Studien wissen, dass sie mehr brauchen als bislang geleistet wurde. Da geht es um das Sprachthema. Da geht es um individuelle Förderung. Da geht es um Jugendliche, die eine Qualifizierung nach der anderen machen und dennoch nicht zum Ziel kommen. Es muss zielgenauer gefördert werden.

    Schulz: Und das sind alles Bundessachen? Darum jetzt der nationale Bildungsgipfel?

    Schavan: Das ist nach wie vor seit 60 Jahren in Deutschland die erste Aufgabe der Länder. Aber unbestritten auch: Wer auf föderale Systeme in den USA, Kanada oder in der Schweiz schaut, weiß, es gibt eine gemeinsame Verantwortung. Deshalb ist der gestrige Tag ja vor allen Dingen auch die klare Aussage: Der Bund und die Länder wollen eine gemeinsame Verantwortung wahrnehmen bei unterschiedlichen Aufgaben. Der Bund ist stark beteiligt, wenn es um die berufliche Bildung geht - übrigens auch die Unternehmen in Deutschland. Die Länder sind stark gefragt, wenn es um die Schulen geht. Viele freie Träger sind im Spiel, wenn es um die berufliche Bildung geht. Nur klar ist: Wir können uns nicht leisten, über Zuständigkeiten zu streiten. Das ist beendet. Wir haben einen wirklichen Durchbruch erzielt.

    Schulz: Dieser Streit der Zuständigkeiten ist ja neu entflammt jetzt durch diesen Bildungsbericht und auch durch Ihren Vorstoß in der letzten Woche. Die Länder monieren, dass das Bundesministerium immer mit erhobenem Zeigefinger agiere und sich in die Bildungspolitik der Länder einmische. Heißt das, dass die Länder da zu empfindlich sind?

    Schavan: Das ist kein wirklicher Streit. Das ist manchmal auch Reflex. Aber die Botschaft des gestrigen Tages - wir haben ja auch mit den Ministerpräsidenten gestern zusammen gesessen - ist: wir wollen gemeinsam den Weg hin zur Bildungsrepublik. Wir wollen ein Bildungssystem, das international wirklich auf der Höhe der Zeit ist. Und alle politischen Ebenen sagen - das finde ich eine ganz zentrale Aussage -, wir werden die Schulen, die in Entwicklungsprozessen sind, die neue Impulse setzen, auch unterstützen. Insofern ist das ein sehr ermutigendes Zeichen. Für Zuständigkeitsdebatten hat niemand in der Öffentlichkeit Verständnis.

    Schulz: Verständnis hat niemand, aber geführt werden sie trotzdem. Sie warnen ja vor dem Kompetenzgerangel. Ist das auch Selbstkritik?

    Schavan: Nein! Das ist insofern keine Selbstkritik, als ich schon als Kultusministerin gesagt habe, wir brauchen gemeinsame Bildungsstandards. Es ist nie ein Gegensatz zwischen der selbständigen Entwicklung in den Ländern - da gibt es auch einen Wettbewerb zwischen den Ländern; das befördert übrigens auch Qualität - und der Tatsache, dass es gemeinsame Ziele für Deutschland geben muss. Dieses Land lebt davon, dass gute Bildung und Ausbildung vorhanden ist, gefördert wird und so jeder Jugendliche die Chance bekommt, wirklich auch beruflich selbständig zu werden, die Erfahrung macht, gebraucht zu werden.

    Schulz: Aber Frau Schavan, wenn Sie vor einem Kompetenzgerangel warnen und das nicht als Selbstkritik meinen, dann ist das doch zwangsläufig Kritik an den Ländern und damit eben genau dieser Streit um Kompetenzen.

    Schavan: Wir kritisieren uns nicht gegenseitig, sondern wir haben einen Bildungsbericht, und wir haben eine Reihe anderer Berichte, die uns sehr genau zeigen, wo liegen die Stärken des Bildungssystems und wo liegen die Schwächen. Eigentlich kann man schon ausgehend auch übrigens von der Wissenschaftspolitik sagen: Wir haben in dieser Legislaturperiode ein sehr viel besseres Verhältnis zwischen Bund und Ländern als je zuvor, und wir haben die Bereitschaft, über die Ressorts hinaus zu sagen, es sollen ganz konkrete Maßnahmen vereinbart werden in der jeweiligen Zuständigkeit, um das Bildungssystem besser zu machen. Das ist ein ganz wichtiger Impuls gegen dieses mangelhafte Vertrauen, das vorhanden ist.