Samstag, 20. April 2024

Archiv


Das Thorner Katrinchen

Nikolaus Kopernikus ist sicherlich der bekannteste Sohn der polnischen Stadt Torun, ehemals Thorn. Berühmt ist die Stadt aber vor allem für eine süße Spezialität, die an Weihnachten denken lässt, in Polen aber ein Ganzjahresgebäck ist: der Pfefferkuchen.

Von Katrin Kühne | 09.12.2012
    Michal und ich schlendern, begleitet vom Klang der Glocken von der nahen Marienkirche, über den Altstädter Markt im polnischen Torun, dem ehemaligen Thorn. Der Platz im Zentrum der Altstadt prunkt mit spätgotischem Backsteinrathaus inklusive wuchtigem Uhrturm. An der Ecke des Baus grüßt der geistige Übervater der Stadt in Bronze: der Astronom Nikolaus Kopernikus.

    Gegenüber zieht ein hell erleuchteter Laden meinen Blick auf sich - "Kopernik" und "Pierniki" steht da drüber. Übersetzt also "Pfefferkuchen von Kopernikus." Torun gilt als die Lebkuchenhauptstadt unserer polnischen Nachbarn, erfahre ich von Michal.

    "Im Mittelalter war Torun sehr reich. Es war umgeben von den üppigen Kornfeldern des Kulmer Landes. Honig gab es auch in Hülle und Fülle. An der Weichsel gelegen war es bereits im 14. Jahrhundert Mitglied der Städte-Hanse. Hier wurden exotische Gewürze gehandelt, wie beispielsweise Muskatnuss. All die Dinge, die es braucht, um guten Lebkuchen herzustellen."

    Jetzt aber geht es zum - jawohl so eines gibt es hier - Lebkuchen-Museum. Anna, die junge Museumsleiterin, empfängt uns in der Eingangshalle, wo es verführerisch nach "Pierniki" duftet.

    "Den ersten Eindruck, den man bekommt, wenn man das Kopernikus-Haus betritt, ist der Geruch unseres Lebkuchen-Museums. Die Kuratoren der Ausstellung wollen alle Sinne der Besucher aktivieren - riechen, schmecken, hören, sehen und fühlen. Natürlich sind wir hier an einem einzigartigen Ort. Es ist vermutlich das Wohnhaus der Kaufmannsfamilie Kopernikus. Das Gebäude mit den Ausstellungen über den Astronomen und über unsere Lebkuchen gehört zum Bezirksmuseum von Torun."

    Anna steigt mit uns hinab in die mittelalterlichen Kellergewölbe, wo die Pfefferkuchensammlung untergebracht ist. Während einer Museumsführung kann man dort auch selber Lebkuchen backen, daher der Duft.

    Im ersten der Ausstellungsräume faszinieren bis zu ein Meter hohe, manchmal beidseitig verzierte Relief-Figurinen. Es sind originale Lebkuchenformen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

    "Hier schauen wir sozusagen dem Holzschnitzer in seiner mittelalterlichen Werkstatt bei der Arbeit zu. Nach einem eigenen Entwurf arbeitete er die Pfefferkuchenform vorsichtig aus dem Holzblock heraus. Einmal verschnitzt und die ganze Arbeit war umsonst. Die Form musste perfekt sein, sonst kommen beim Backen die feinen Konturen nicht heraus."

    Herzstück des Museums ist eine Sammlung von fast 300, vorwiegend aus Torun stammenden Lebkuchen-Holzformen. Dokumente belegen, dass bereits im 14. Jahrhundert ein gewisser Nicolas Czan seine Lebkuchen den Rittern des Deutschen Ordens, die Thorn ja 1233 gegründet hatten, in ihre Burg lieferte. Die Hochzeit der Zierlebkuchen aber war das Barock-Zeitalter.

    "Hier haben wir die kostbaren 'Königspfefferkuchen', wenn auch als Kopien. Die Originalformen sind seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Abformungen aus den 20er-Jahren hatten in Krakau überlebt. Sie zeigen zwei polnische Königspaare: Sigismund III., sowie Wladislaw IV. und ihre Gemahlinnen. Diese vermutlich ehemals vergoldeten Prunkgebäcke waren von der Stadt Torun den Herrschern anlässlich ihrer Vermählung als Hochzeitsgeschenke übergeben worden. Beachten Sie nur die feinen Strukturen der Kleiderstoffe, der Spitzen und Perücken."

    Diese Zierpfefferkuchen sind nicht eßbar, sondern steinhart. Nicht gut für die Zähne, wie Anna lachend im nächsten Raum erklärt. Hier kann man beide Lebkuchensorten - hart und weich - befühlen beziehungsweise probieren. Mürbe werden sie durch Zugabe von Backpulver oder früher Potasche.

    "Das englische Wort 'gingerbred' setzt sich aus Ingwer und Brot zusammen. Das polnische 'Pierniki' und das deutsche 'Pfefferkuchen' haben als Namensursprung den Pfeffer, wie Ingwer damals ein Synomym für exotische Gewürze."

    Viel Honig, "starker Schnaps" und Roggenmehl waren im Mittelalter neben den kostbaren Gewürzen die Hauptbestandteile der ja auch "Honigkuchen" genannten Toruner Spezialität.

    "Hier haben wir unsere bekannteste Form, die 'Katarzynka' oder 'Katharinchen'. Wenn wir an Toruner Lebkuchen denken, handelt es immer um diese Form der sechs auf der Basis eines Rechtecks zusammengefügten Kreise. Hier ein besonders schönes altes Exemplar mit Blumen in den separierten Kreisen. Heute haben die Katharinchen eher die Form von kleinen Wolken."

    Der Name geht sicherlich auf die Heilige Katharina von Alexandria zurück. Die sechs Kreise sollen vermutlich an die Glieder der Eisenkette erinnern, mit der sie der Legende nach aufs Rad geflochten wurde, um den Märtyrertod zu erleiden.

    Mit Beginn des 19. Jahrhunderts war Torun preußisch geworden und Thorner Katharinchen wurden zum Verkaufsschlager der modernen Lebkuchenfabriken von Hermann Thomas und von dem Hoflieferanten Gustav Weese. Das traditionelle Lebküchler und das damit verbundene Schnitzerhandwerk für die Zierformen verschwand. Dafür entwickelten sich die Verpackungen, die gestanzten und bemalten Blechtruhen, zu kleinen Kunstwerken. Auf ihnen wurde in Deutsch und in Polnisch für die Leckereien geworben.

    "Eine Art von Pfefferkuchen wurde fast überall in Europa gebacken, nicht nur hier oder in Deutschland. Es ist etwas, was unsere Kulturen miteinander verbindet."
    NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG: Eine Lebkuchenform
    Eine Lebkuchenform (Katrin Kühne)