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Das Tier als Schauobjekt

Reizvolle Schnitte und Überblendungen bietet "Nützlich, süß und museal. Das fotografierte Tier." Das von Ute Eskildsen herausgegebene Katalogbuch zur Ausstellung "Das fotografierte Tier" im Essener Folkwang-Museum kommt ohne Schockfotos aus und zeigt dabei, wie der Mensch das Tier zum Schau- und manchmal auch Lustobjekt macht.

Von Michael Rutschky | 03.05.2006
    Die Ausstellung über "Das fotografierte Tier" im Essener Folkwang-Museum kann nicht mehr besichtigt werden, sie ist geschlossen. Aber das satte Katalogbuch steht für Kauf und Studium weiterhin bereit. 13 Kapitel versammeln ein heterogenes Material, von historischen Amateuraufnahmen bis zu William Wegmans künstlerischen Szenen mit Weimaranern, und schon die Kapitel selber verhalten sich gegeneinander inkompatibel. "Hase" und "Pferd" und "Jagd" heißen die ersten drei; "Unterhaltung" und "Bildmodelle" und "Bücher" die letzten. Dabei erzeugt die Heterogenität reizvolle Schnitte und Überblendungen.

    So scheinen Walter Schels' Schafsporträts von 1984 - rätselhaft ausdruckslose Tierköpfe en face - völlig andere Wesen abzubilden als etwa Louis-Auguste Bisson um 1845, der preisgekrönte Tiere auf einem Viehmarkt fotografierte. Doch gibt es auch ein vereinheitlichendes Motiv dieses Buches. Das Verhältnis der Menschengattung zu den Tieren, lautet die durchgehende Botschaft, ist tief und grundsätzlich gestört. "Nützlich, süß und museal", lautet ja der Haupttitel, und im Grunde signalisieren alle drei Worte menschliches Fehlverhalten. Dass Tiere als Nahrungsmittel gezüchtet und geschlachtet werden, dass sie für medizinische Versuche ebenso taugen wie für Liebes- und Zärtlichkeitszuwendungen - auf fundamentale Weise läuft hier etwas schief - ja sogar in dem bewundernden Blick, den man auf Juha Sionpääs starr in die Kamera schauenden finnischen Bären von 1991 richtet.

    Dabei kommt der Band ohne Schockfotos aus. Madame d'Ora hat in den Schlachthöfen weitaus schrecklichere Aufnahmen gemacht als hier vertreten. Dasselbe gilt für dokumentierte Tierversuche. Was die Vernutzung durch Liebe angeht, so darf der pink gefärbte Pudel nicht fehlen; doch fände man bei Lisette Model oder Diane Arbus oder Elliott Erwitt weit krasseres Material. Apropos Erwitt: Sein Markenzeichen sind Witzfotos mit Hunden, sie fehlen in diesem Band glücklicherweise. Für Witze sind Tiere in der Tat schlecht geeignet.

    Also, das Schuldgefühl, das die Tierfotografien grundiert. Ute Eskildsen und Hans-Jürgen Lechtreck zitieren in ihrer Einleitung kulturkritische Prognosen, die Tierwelt werde überhaupt verschwinden. Und sie referieren, was die besondere Sünde des Anschauens angeht - also auch des Anschauens der Tiere in diesem Band - einen berühmten Text von John Berger, der darin eine Unterart des Kolonialismus erkennt, wie er sich die Fremde unterwirft.

    Man kann in solchen Gedanken das Echo der Frankfurter Schule hören, die den Urgrund der gesellschaftlichen Entfremdung in der Unterwerfung und Ausbeutung der Natur sah. Man kann sich an Michel Foucault erinnert fühlen, der auch im Schauen (und Wissen) die gesellschaftliche Kontrolle am Werk sah, eine weit gründlichere Kontrolle als die durch offene Repression. Und man kann einen der mächtigsten Mythen sich auswirken sehen, den Mythos vom
    Paradies: der Garten, der die Welt ist, und wo Löwe und Lamm und Mensch und Puter und Dogge und Eisbär in Liebe und Frieden miteinander leben. Nur die Fische sind benachteiligt; sie werden ja von vielen Vegetariern - Vorboten des Paradiesgartens -, die Säugetierfleisch streng vermeiden, ohne Scheu und Hemmung verspeist.

    Jeder Besuch im Zoo kann von der Sogkraft dieses Phantasmas überzeugen. Kinder macht der Wunsch, mit dem Seehund zu kosen oder sich im schönen Fell des Tigers zu vergraben, schier närrisch. Dass die Zoo-Shows im Nachmittagsfernsehen ein solcher Erfolg sind, gehört hierher. Wenn der Giraffe ihr Baby entfällt, dreht sich dem menschlichen Zuschauer vor Rührung das Herz herum. Gern liest der Großstädter in der Zeitung, dass wilde Tiere seine neuen Nachbarn sind, Füchse und Wildschweine, und den Vogelbestand größerer Reichtum auszeichnet als draußen auf dem Land. In Kanada sollen sich Braunbären um ihre eigene Domestizierung bewerben.

    Solche Paradiesnachrichten sagen nicht, dass der große Garten um die Ecke bloß wartet. Aber sie dienen ebensowenig einfach der Schuldabwehr, weil wir mit unserem Raubtiergebiss andere Tiere verzehren oder medizinische Versuche mit ihnen anstellen. Bei aller kulturkritischen Grundorientierung ist auch dies Buch voll von solchen Paradiesnachrichten, Tierfotos, die anzuschauen eine schwer zu erklärende überirdische Freude macht. Nehmen wir ein besonders krasses Beispiel, das Bild eines so genannten Rapportierhundes aus dem Ersten Weltkrieg, der über einen Schützengraben setzt - aus dem heraus er von unten aufgenommen wurde -, um einen Bericht an die vorderste Front zu bringen. Der grandiose Sprung des Tieres, seine Funktionslust und Vitalität verorten ihn in einer Welt, die jenseits des mörderischen Menschenkrieges liegt, n dem womöglich auch er gleich getötet wird, was ihn aber nicht beschäftigt.