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Das Tier im Menschen

Worin sich die Tiere vom Menschen unterscheiden, beschäftigte das Symposium "Das Tier im Menschen" in Nürnberg. Die Frage ist, ob die Menschen bei ihren kulturellen Fähigkeiten einen Sonderstatus genießen und wie viel Tier noch im Menschen ist.

Von Carsten Schroeder |
    Animalisch, von dunklen Trieben gesteuert, nur mühsam von Kultur und Erziehung im Zaum gehalten. Oder einzigartig in der Evolution durch Sprache, Intelligenz, ausgeprägtem Sozialverhalten und freiem Willen – das sind die beiden Richtungen, zwischen denen sich die Suche nach dem Tier im Menschen bewegt. Wer den Unterschied zwischen Mensch und Tier beschreiben will, kommt nicht umhin, sich mit den nächsten Verwandten des Menschen zu beschäftigen, den Primaten oder Menschenaffen. Deshalb wird die Suche nach dem Tier im Menschen auch zu einer Suche nach dem Menschlichen im Tier.

    Volker Sommer ist Professor für evolutionäre Anthropologie in London und Primatologe. Er hat verschiedene Affenarten über Jahrzehnte in freier Wildbahn beobachtet.

    "Für mich gibt es zwischen Mensch und Tier keine feste Grenze, weil in der Evolution alles fließend ist. Das ist ja nur in einem Querschnitt überhaupt feststellbar, dass wir sagen, es gibt Arten, die sich unterscheiden. Wenn sie jetzt diesen Längsschnitt betrachten, also die historische Dimension, dann kommen die ja irgendwann einmal wieder zusammen in der Zeitentiefe bei gemeinsamen Vorfahren. Insofern sind diese Grenzziehungen nur etwas, was in unserem Kopf stattfindet."

    Ebenso, wie es unter Menschen unterschiedliche Begabungen gibt, hat auch Volker Sommer unter den von ihm beobachteten Affen unterschiedliche Charaktereigenschaften und Lernfähigkeiten kennengelernt.

    "Wenn man das Mal plakativ ausdrücken will: Es gibt dumme Menschen und kluge, schüchterne und neugierige Menschen. Und genau diese Persönlichkeitsmerkmale finden sie eben auch bei anderen Tieren, als bei den Menschen."

    Dass Menschenaffen sich intelligent verhalten, ist schon häufig beobachtet worden, teilweise mit verblüffenden Ergebnissen. Für Aufsehen sorgte vor einiger Zeit ein Versuch an der Universität Kyoto in Japan, bei dem Wissenschaftler einen Schimpansen nicht nur darauf trainierten, die Zahlen von eins bis neun, die zufällig auf einem Bildschirm angeordnet wurden, in der richtigen Reihenfolge anzutippen, sondern dies auch dann zu tun, wenn die Zahlen nur kurz zu sehen waren und anschließend sofort verdeckt wurden. Zuletzt genügten Schimpanse Ayumo wenige Zehntelsekunden, um sich die Kombination der Zahlen einzuprägen. Ein Experiment, bei dem viele Menschen kläglich scheitern würden. Japanische Studenten brauchten mehrere Monate Training, um ähnliche Leistungen zu erbringen. Die Wissenschaftler stellt die Fähigkeit des Schimpansen vor Rätsel. Volker Sommer:

    "Dass dieser vierjährige Schimpanse Ayumu das so schnell kann, dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze: Er mag ein hervorragendes fotografisches Gedächtnis haben und die Idee ist, dass Schimpansen in ihrer natürlichen Umgebung Tausende von Fruchtbäumen mental einordnen müssen in einer Art Vogelperspektive. Und da gehen die in ihrem Kopf Tausende von Möglichkeiten durch, wo sie jetzt hingehen könnten."

    Aber ist dies schon ein Zeichen von Intelligenz? Zurückhaltend bei der Bewertung dieses Experimentes ist die Verhaltensforscherin Professorin Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum an der Universität Göttingen. Das sei geübt:

    "Ich sehe diese Ergebnisse da mit einem Schimpansen, der die Zeichen ganz schnell erkennen kann, skeptisch. Inzwischen ist die Studie auch gemacht worden, wenn man einen Menschen hinsetzt, der vier Monate lang nichts anderes macht, der kann das genauso gut wie ein Schimpanse. Also, der Schimpanse hat ja nichts anderes mehr gemacht, als dieses Spiel zu spielen. Jeder Videogamer würde sagen: Das kann ich auch."

    Sie selbst erforscht zurzeit die Rolle der Stimme beim Menschen und beim Tier, in erster Linie, wie Emotionen vermittelt werden.

    "Es gibt natürlich eine Reihe von Lauten, bei Kindern, bei Neugeborenen, wie bei Erwachsenen, auf die wir angeborene Reaktionen haben. Also Entsetzensschreie, schrille Schreie sind etwas, was jeden in Angst und Schrecken versetzt erstmal. Und das ist so unangenehm für uns, dass wir erstmal versuchen, das abzustellen. Und genauso geht es einer Affenmutter, die dieses Geschrei, also wir nennen es Geschrei, das sieht auch genauso aus, wenn man sich das anguckt, dann versucht die Affenmutter auch dies Geschrei abzustellen, weil das Problem ist, wenn ich das Schreien höre, kann ich sonst nichts mehr hören."

    Ob nun Mutterliebe oder Affenliebe. Das Animalische im Menschen hat auch seine schönen und starken Seiten und ist keineswegs nur bedrohliche Triebhaftigkeit. Besonders schwierig wird die wissenschaftliche Diskussion um das Tier im Menschen allerdings dann, wenn es um Sexualität geht, wenn moralischer Anspruch und Realität aufeinanderstoßen und sich oft genug zu widersprechen scheinen. Wie also steht es um die zwischenmenschliche Liebe? Ist der Mensch von Natur aus monogam veranlagt und treu? Die zahlreichen Beziehungskrisen des Alltags sprechen eine andere Sprache. Oder ist der Mensch im Gegenteil im Grunde polygam und hedonistisch veranlagt? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, meint Professor Thomas Junker von der Universität Tübingen, der dort Geschichte der Biowissenschaften lehrt und sich viel mit evolutionärer Psychologie beschäftigt.

    "Was sich ganz deutlich herauskristallisiert, ist, dass Menschen eine Tendenz zur Paarbindung haben, zum Aufbau emotionaler Beziehungen über eine längere Zeit. Das kann auch so etwas wie Freundschaft beinhalten. Wir sind ja auch in der Lage Freundschaften aufzubauen, das heißt, wir bauen über längere Fristen emotionale tiefe Beziehungen auf, die dann auch eine Paarbindung sein können. Und der wesentliche Grund, warum wir das machen, ist, dass wir dies machen müssen, aus biologischen Gründen, aus zwei biologischen Gründen: Die Sorge für den Nachwuchs, das wäre die Paarbindung. Und so etwas wie Freundschaft, das bedeutet, dass wir in diesen sozialen Gruppen, in denen wir sind, auch über längere Zeit miteinander umgehen müssen, uns helfen müssen. Und dass wir nur so erfolgreich sein können und auch waren in der Evolution. Nur so waren Menschen erfolgreich, wenn sie sich geholfen haben und eben nicht sofort den anderen verraten haben bei der nächsten Gelegenheit."

    Ein Mechanismus, der Menschen im Laufe der Evolution dabei geholfen habe, enge Beziehungen aufzubauen, so Junker weiter, seien Kunst und Kultur. Nun gibt es allerdings kaum etwas Schwierigeres, als Übereinstimmung in der Frage zu finden, was Kultur eigentlich ist und wo sie beginnt. Können in einer Frühphase auch Tiere Kultur haben? Die Archäologin und Paläoanthropologin Dr. Miriam Haidle vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main spricht da lieber von kulturellen Kapazitäten der Tiere:

    "Ja, auch Tiere haben kulturelle Kapazitäten. Man sieht das schon, den kulturellen Samen möchte ich das nennen, sind sogenannte sozial übertragene Informationen, die schon Bienen haben. Das sind Informationen, die ganz, ganz schnell genutzt werden, die aber keine Tradition ausbilden, also keine Langzeitauswirkung auf das Verhalten haben. Tradition haben gewisse Affen zum Beispiel, neukaledonische Krähen haben das auch, wo es dann darum geht, dass sie eine längerfristige Auswirkung auf das Verhalten haben, die dann auch in der Population sich zeigen, also nicht nur individuell das Verhalten prägen, sondern ein ganzes Gruppenverhalten prägen."

    Zu den Wurzeln des kulturellen Gruppenverhaltens gehören beispielsweise Begrüßungszeremonien oder bestimmte Techniken, die Nahrung zu waschen. Diese dann aber weiterzuentwickeln und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, ist nur etwas, was dem Menschen vorbehalten blieb.