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Das Tor zu Europa

Mindestens zwei Millionen rumänische Arbeitskräfte sind nach dem EU-Beitritt des Landes nach Westeuropa ausgewandert- inoffiziell wird sogar von vier Millionen gesprochen. Für die Unternehmer in Rumänien ist das ein herber Verlust, ihnen fehlen die Fachkräfte, vor allem in der Baubranche. Deshalb werden zunehmend asiatische Gastarbeiter ins Land geholt: aus China, Indien und Pakistan. Keno Verseck berichtet.

    Im Bukarester Norden, gleich neben der U-Bahnstation Pipera. Hier errichtet das mittelständische rumänisch-italienische Baunternehmen Coifer einen Bürokomplex. Der Fahrer eines Bulldozers schiebt gerade Bauschutt beiseite. Ein paar Schritte entfernt steht Marian Stanciu und schaut nervös auf den riesigen, halbfertigen Neubau. Im Sommer ist Übergabetermin. Die Zeit drängt also. Der 29jährige Bauleiter läuft in sein Containerbüro, wechselt hektisch ein paar Worte mit einer Kollegin, dann erklärt er sein Problem.

    "Uns fehlen vor allem Bauarbeiter, aber auch Ingenieure und Leute mit Hochschulabschluss. Die Krise auf dem Arbeitsmarkt rührt nicht nur daher, dass so viele Menschen aus Rumänien weggegangen sind. In den letzten zwei Jahrzehnten haben auch viele eher Betriebswirtschaft oder Jura studiert. Das waren die gefragten Berufe. Nach einer langen Zeit der Stagnation erleben wir nun einen Bauboom und massive Investitionen in die Infrastruktur, haben aber nur wenige Spezialisten."

    Wie Coifer sein Arbeitskräfteproblem zu lösen versucht, ist zwanzig Meter neben Stancius Büro zu erfahren. Dort steht ein großer Wohncontainer, der Aufenthaltsraum für drei Dutzend Inder, die auf der Baustelle arbeiten. Sebastian Chacko schaut dem Koch über die Schulter und atmet den Duft von Curry und gebratenen Pilzen ein. Chacko ist 38, kommt aus dem südindischen Bundesstaat Kerala und arbeitet seit neun Monaten als Schweißer bei Coifer. Um besser zu leben und mehr Geld zu verdienen, sei er gekommen, sagt Chacko, außerdem sei Rumänien jetzt in der EU, und das wäre die Chance für viele Inder nach Europa zu kommen.

    " For better life and more money. Because this is our chance to come to Europe. Now Romania is also in European Union. We think so. "

    Coifer war eine der ersten Firmen in Rumänien, die Gastarbeiter eingestellt haben. Sie kommen neben Indien vor allem aus China und Pakistan. Nach offiziellen Angaben sind es bisher lediglich einige Tausend. Doch die Nachfrage ist riesig, sagt Roxana Prodan, eine der führenden rumänischen Unternehmerinnen für die Vermittlung von Gastarbeitern.

    " Rumänien wünscht sich natürlich, dass ein Teil seiner Bürger, die im Ausland arbeiten, zurückkehrt. Ich persönlich glaube nicht daran, dass das schnell geschehen wird. Wenn Sie eine Bukarester Straße entlang laufen, sehen Sie in jedem Schaufenster Stellengesuche. Praktisch jeder Unternehmer braucht Arbeiter. Die meisten meiner Kunden haben, bevor sie kommen, schon alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft: Arbeitsamt, Anzeigen, Bekannte. Und alle stellen als erstes die Frage: Wann können die Gastarbeiter bei uns anfangen?"

    Allein schon der Dachverband der rumänischen Bauunternehmer hat 150.000 freie Stellen gemeldet. Doch die rumänischen Behörden machen es den Unternehmern nicht leicht. Ein Kontingent von gerade einmal 10.000 Gastarbeitern bewilligte das Arbeits- und Sozialministerium für dieses Jahr. Und wer Arbeiter aus einem Nicht-EU-Land anstellen will, muss sich auf eine langwierige Prozedur gefasst machen. Davon berichtet mit etwas Groll auch Aurelia Deacu, die Leiterin der Personalabteilung bei Coifer.

    " Es gab Augenblicke, in denen wir Verträge unterschrieben haben und sie nur mit Verspätung erfüllen konnten. Weil es so schwer ist, Arbeitskräfte zu bekommen, haben wir uns für Arbeiter aus Indien entschieden. Letztes Jahr im Februar haben wir angefangen, die ersten herzuholen. Das Ganze hat sechs Monate gedauert, und es war sehr schwierig, die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen zu bekommen. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so lange dauert."