Zizek versteht das Subjekt nicht einfach als sich selbst durchschauendes Bewußtsein, also als Urgrund allen Handelns und Erkennens. Er leugnet keineswegs die dunklen Seiten der Subjektivität. Trotzdem sieht Zizek im Subjekt nicht den Ursprung allen Übels im Abendland: "Ist es wirklich so, daß die totalitären Erscheinungen des 20. Jahrhunderts, Stalinismus, Faschismus, eine konsequente Folge des Nihilismus der neuzeitlichen Subjektivität sind? Oder ist es genau das Entgegengesetzte, daß die sogenannten totalitären Erscheinungen im Gegensatz dazu eine Abwehrbildung gegen die radikalen Konsequenzen des neuzeitlichen Subjekts sind?"
Das Unbehagen im Subjekt ist ein eher philosophischer, weniger essayistischer Text als Zizeks letztes Buch "Die Pest der Phantasmen". Trotzdem, das ist seine Eigenart, beschränkt er sich keineswegs auf Internas aus der Philosophie, sondern bezieht sich unmittelbar auf aktuelle Debatten über politische und soziale Themen. Die Subjektivität ist heute deswegen wieder wichtig, weil die Alltagswelt zunehmend von Reflexionsprozessen beherrscht wird. Im Anschluß an den Münchner Soziologen Ulrich Beck mit seiner These von einer reflexiven zweiten Moderne geht auch Zizek davon aus, daß die Menschen heute über sehr viele Dinge nachdenken und selber entscheiden müssen, z.B. wie sie sich durch ihr Berufsleben schlängeln, ob sie eine Familie gründen wollen oder wie sie für das Alter vorsorgen. Aber auch diese zweite Moderne hat ihre Schattenseiten. Zizek dazu: "Wir wissen alle, wie Adorno und Horkheimer mit Dialektik der Aufklärung auf die dunkle Seite, die ein inhärentes Produkt von Aufklärungsprozessen selbst ist, unsere Aufmerksamkeit lenken wollen. Ich denke, daß auch die zweite Modernität, die von Ulrich Beck und Anthony Giddens entwickelt wurde, in diese Dialektik der Aufklärung noch verwickelt ist, und diese andere Seite sind speziell die Phänomene wie sogenanntes irrationelles Verbrechen, junge Neonazis und Skinheads auf unseren Straßen."
Der Reflexionszwang in der zweiten Moderne erhält eine überraschende zusätzliche Dimension. Beispielsweise fragt der Patient den Psychoanalytiker heute nicht mehr, was sein nächtlicher Traum bedeuten könnte. Er liefert vielmehr selber gleich die Interpretation und erklärt dem Analytiker, daß der Traum ihn als Zwangsneurotiker ausweise. Skinheads sagen heute ebenfalls nicht, daß sie nicht wissen, warum sie gewalttätig sind. Auch sie liefern häufig gleich ihre Gründe ab: "Sie sagen oft: "Ich tue, was ich tue, weil, als ich jung war, hatte ich keine Mutterliebe, hatte keine eigentliche Vaterautorität. Sie geben selbst die eigentliche soziopsychologische Analyse. Was Sozialpsychologen vor 20 Jahren als Analyse vorschlugen, das machen Neonazis und Skinheads heute selbst und dennoch tun sie das. Hier sieht man, was heute geschieht. Es ist eine radikale Reflexivierung. Es gilt nicht mehr die alte marxistische Ideologie-Definition: Sie wissen es nicht, aber sie tun es. Sie wissen sehr wohl, was sie tun, und dennoch tun sie es".
Um diese Dialektik einer reflexiven Moderne zu verstehen, setzt sich Zizek im ersten Teil seines Buches mit Heideggers Kant-Rezeption auseinander. Zizek entdeckt einen Begriff in der Philosophie Kants, der besser noch als Heideggers Analysen diese Dialektik der zweiten Moderne zu erfassen vermag, nämlich den Begriff des Bösen: "Man tue das Böse, aber man tue das nicht aus pathologischen Gründen, Lust etc. sondern man tue Böses aus Prinzip. Das war unakzeptabel für Kant. Aber genau damit hat Kant eine gewisse Dimension eröffnet, die sehr interessant ist. Es gibt eine Interpretation, die besagt, daß hier Kant schon ohne die Möglichkeit des Totalitarismus im 20. Jahrhundert zu kennen, diese eröffnet hatte. Das heißt Leute wie Eichmann, die sagten, ich bin ein Kantianer, ich habe nur meine Pflicht getan, was genau die Realisation des kantischen diabolischen Bösen ist."
In der Tat legitimiert sich der Wahnsinn heute nicht mehr nur mit höheren Gründen. Wenn algerische Terroristen ihre Opfer langsam bei Bewußtsein verbluten lassen, dann berufen sie sich noch auf ihren Gott. Aber längst gehört auch jene Gewalt zum Alltag, die das Böse als Böses tun will, wenn sie beispielsweise ihre verständnisvollen liberalen Eltern aus der 68er-Generation anders nicht mehr beeindrucken können.
Die Reflexivierung in der zweiten Moderne stärkt also nicht automatisch das Subjekt - worum es Zizek geht -, sondern behindert häufig die Authentizität des Subjekts. Das liegt einerseits an allerlei Ablenkungen, die ein authentisches, wirklich wirksames Handeln des Subjekts verhindern: "Was ich hier einführen soll, ist genau diese Situation von inauthentischer Aktivität. Es gibt viele Beispiele. Etwa dieses idiotische japanische Spielzeug, Tamagotchi. Es ist ein sehr interessantes Spielzeug, das wie eine Metapher für heutige, sagen wir naiv, inauthentische Subjektivität ist. Es gibt zwei Züge, die ein Tamagotchi von einem gewöhnlichen Spielzeug wie einem kleinen Hündchen unterscheiden. Erstens ist das Tamagotchi nur ein Bildschirm mit Knöpfen. Es ist einem Lebewesen nicht mehr ähnlich. Ein Stoff-Hund imitiert ein Lebewesen. Aber beim Tamagotchi gibt es keine imaginäre Ähnlichkeit. Es ist nur ein Bildschirm. Und zweitens können wir mit einem gewöhnlichen Stoff-Hund - er ist ja tot, passiv - tun was wir wollen. Aber ein Tamagotchi bombardiert uns die ganze Zeit mit Ansprüchen. Und wir finden darin unser Vergnügen, diese Ansprüche zu realisieren. Es ist der Boß, es kommandiert, es terrorisiert uns. Das ist ein ganz symbolisches Spiel: nichts passiert. Wir sind die ganze Zeit aktiv, aber nichts passiert."
Die Krise der Subjektivität liegt aber nicht nur an diversen Ablenkungen und Unterhaltungen mittels moderner Medien. Andererseits herrscht der Verlust an authentischer Subjektivität in einer um sich greifenden Praxis, die folgenlos bleibt, obwohl sie vielfältiges Nachdenken verlangt. Diverse Aktivitäten erweisen sich immer häufiger nur als Ersatzhandlungen, weil man das, was man wirklich tun möchte, nicht tun darf. Der Sinn der Ersatzhandlung dabei ist, daß sich nichts verändert, daß alles so bleibt, wie es ist. Eine derartige inauthentische Aktivität, die ein authentisches Handeln des Subjekts verhindern soll, die das Subjekt als solches aufheben soll, beherrscht heute vor allem die Politik: "Etwa vor 15 Jahren hat die Linke im Westen, die akademische Linke, erfahren, daß der Kapitalismus bleiben wird. Man kann das nicht wirklich verändern. Also wechselt man das Terrain und spielt unsere kleinen feministischen, antirassistischen usw. Spiele. Alle diese heutigen Linken, z.B. Tony Blair, akzeptieren grundsätzlich die Ökonomie als passive Szene, wo man nichts wirklich verändern kann. Ökonomie ist entpolitisiert. Man spricht nicht mehr von politischer Ökonomie. Genau deshalb kann man partizipieren an diesen kulturellen, feministischen, antirassistischen Anstrengungen und so weiter wie eine Hyperaktivität, eine hysterische Aktivität. Natürlich unterstütze ich alle diese Kämpfe. Aber dennoch finde ich etwas Unauthentisches auch daran. Wir tun all das, wir sind hyperaktiv, weil wir sehr gut wissen, auf der Ebene, wo es wirklich entscheidend ist, das heißt Ökonomie, Globalisierung, Kapital et cetera, daran können wir nichts tun."
Der Verlust der Authentizität, die Krise des Subjekts hängt für Zizek also vornehmlich mit der Vorherrschaft des Kapitalismus zusammen. Eine authentische Subjektivität dürfte sich demnach nicht von anderen Themen oder von diversen Unterhaltungen ablenken lassen, sondern müßte eigentlich das Thema Wirtschaft wieder politisieren. Ob das nicht eine etwas traditionelle marxistische Position ist, der wie dem Neoliberalismus nichts anderes als das ewige Lied vom Primat der Wirtschaft einfällt, könnte ein Vorwurf an Zizek sein. Seine dezidiert linke Position gerät dabei zwangsläufig in gefährliche Nähe zu rechten Populisten wie Jörg Haider und Le Pen, die für Zizek momentan die einzigen sind, die es wagen, das Thema Wirtschaft zu politisieren: "Paradoxerweise sind es rechte Politiker, natürlich im Rahmen einer populistischen Manipulation, aber dennoch sind sie die einzigen, die die Ökonomie zumindest auf eine gewisse Weise politisieren. Und ich denke, daß das wirklich eine linksradikale politische Dimension eröffnet, daß das der einzige eigentliche Akt war, Ökonomie wirklich zu politisieren."