Burkhard Müller-Ullrich: Jean Paul, ein Dichter, zu dessen Lebzeiten es den Begriff Kinder- oder Jugendliteratur überhaupt noch nicht gab, der aber Bücher schrieb, an denen Jung und Alt gleichermaßen Freude haben, Jean Paul wurde vor 250 Jahren im oberfränkischen Wunsiedel geboren und damit 50 Jahre vor Georg Büchner, dessen rundes Jubiläum auch gerade gefeiert wird. Aber während die große Büchner-Ausstellung in Darmstadt pünktlich an diesem Wochenende beginnt, kommt die große Jean-Paul-Ausstellung mit sieben Monaten Verspätung, aber immerhin, sie kommt, und zwar im Max-Liebermann-Haus in Berlin, kuratiert von Angela Steinsiek. Frau Steinsiek, was ist das Moderne an Jean Paul?
Angela Steinsiek: Das wirklich Moderne an ihm ist, dass für ihn einfach Literatur Sprache ist und dass bei ihm Literatur zur Literatur wird. Ein Blick in die Exzerpt-Hefte und ihre von Jean Paul hergestellten Ordnungssysteme verrät, dass bei diesem Autor jede Sprache unter der Hand zu Literatur wird, und das meint wirklich jede Sprache und jedes Genre. Es ist gerade da das Unerwartete, das er aus den ungezählten Büchern aussiebt und in seine Exzerpt-Hefte einträgt.
Müller-Ullrich: Ich hatte eingangs Georg Büchner erwähnt. Ist Jean Paul auch ein politischer Kopf gewesen?
Steinsiek: Jean Paul war ein politischer Kopf, das kann man sicher mit Fug und Recht behaupten. Er war ein Gegner der Fürstenherrschaft und ein Befürworter der Revolution, aber lehnte diese Auswüchse der Revolution eben ab. In seinen politischen Schriften, die nicht besonders viel rezipiert sind, da übt er sich doch irgendwie in Dunkelheit und trifft keine besondere Aussage. Es ist nicht so, dass er eine bestimmte Position bezieht.
Müller-Ullrich: Sie haben die Ausstellung ja "Dintenuniversum" genannt, ein typisches Paulsches Wort, was auch zeigt, wie in sich versponnen, obwohl lá pour lá war es nicht, aber doch ein wenig hermetisches Erzählen, eine Art Selbstgespräch in vielfacher, in vielstimmiger Weise. Aus was für einem Nachlass können Sie schöpfen? Der liegt in Berlin und ist ungeheuer groß. Warum liegt er in Berlin?
Steinsiek: Der liegt in Berlin, weil sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo die Familie den Nachlass verkaufen wollte. Der wurde München angetragen, der wurde Nürnberg angetragen, die haben alle dankend abgelehnt und dann hat sich sozusagen Berlin erbarmt, diesen Nachlass zu kaufen. Der ist 40.000 Seiten stark. Ein Drittel dieses Nachlasses besteht aus Exzerpt-Heften. Das sind gebundene Hefte mit kaligrafischen Titelblättern, die zunächst einmal eine erschriebene Bibliothek für ihn waren und dann tatsächlich diese Schreibwerkstatt. Das geht über Gedankenblitze, Entwürfe, auch Manuskripte selbst sind da. Aus diesem Nachlass schöpfen wir und der steht auch im Zentrum der Ausstellung.
Müller-Ullrich: Literaturausstellungen sind natürlich eine etwas mühsame Sache. Selbst die Schönsten in Marbach oder wo auch immer, sie zeigen Blätter, beschriebenes Papier. Haben Sie noch was anderes?
Steinsiek: Wir haben natürlich versucht, diese Blätter zum sprechen zu bringen, nämlich indem wir mit diesem Blick in die Dichterwerkstatt einfach den Besucher lenken, zum Beispiel Filiationen herstellen, wo es von der Idee bis in das gedruckte Werk geht. Wir haben eine Porträtgalerie Jean Pauls, wo erstmals alle wichtigen Jean-Paul-Porträts nebeneinander gezeigt werden.
Müller-Ullrich: Er war ja ein Star damals. Dann gab es so eine Delle in der Rezeption und dann ging es eigentlich Anfang des 20. Jahrhunderts erst wieder los.
Steinsiek: Ja, Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich mit Stefan George, der ihn dann für seine Ästhetik vereinnahmt hat.
Müller-Ullrich: …, was ja eigentlich seltsam ist, weil George uns nicht vor Augen steht als eine Humorbombe.
Steinsiek: Genau. Aber es hat da jeder auch seinen Jean Paul gelesen, wie er ihn besonders bewundert hat, und die ganzen Stücke dazwischen ausgelassen, und das gilt ganz insbesondere auch für Stefan George, der ihn zum größten Dichter der Deutschen erklärt hat, die ganzen Abschweifungen aber für Unkraut erklärt hat in dem Blumenbeet.
Müller-Ullrich: Jetzt lese ich was bei Ihrer Ausstellung von Schülerlaboren und habe immer so ein bisschen das Gefühl, oh je, sind das Gimmicks, oder was hat man sich darunter vorzustellen?
Steinsiek: Labor ist da tatsächlich nicht wörtlich gemeint. Die sitzen nicht wie wir früher in einem Sprachlabor und müssen Vokabeln üben, sondern Labor meint Workshop. Und die Idee dahinter ist, dass die einfach etwas über Literatur lernen, und das im Nebeneinander mit der Ausstellung ist natürlich einfach einzigartig. Das kann man nicht jederzeit den Schülern bieten.
Müller-Ullrich: Aber Jean Paul hätte es gefallen, denn er war ja ein großer Pädagoge.
Steinsiek: Er war ein sehr großer Pädagoge, in dem Sinne, wie er eben ein großer Frauenschwarm war, nämlich er hat sein Leben zu einem Schreiben gemacht. In seinem Nachlass finden sich zahlreiche Tagebücher über seine Kinder und er konnte praktisch seine Kinder nicht erziehen, ohne eine Erziehlehre zu schreiben, und umgekehrt. Man hat den Eindruck, dass etwas nur in der Wirklichkeit existiert, wenn es tatsächlich aufgeschrieben ist.
Müller-Ullrich: Angela Steinsiek, Kuratorin der Ausstellung "Jean Paul. Dintenuniversum" in Berlin. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Angela Steinsiek: Das wirklich Moderne an ihm ist, dass für ihn einfach Literatur Sprache ist und dass bei ihm Literatur zur Literatur wird. Ein Blick in die Exzerpt-Hefte und ihre von Jean Paul hergestellten Ordnungssysteme verrät, dass bei diesem Autor jede Sprache unter der Hand zu Literatur wird, und das meint wirklich jede Sprache und jedes Genre. Es ist gerade da das Unerwartete, das er aus den ungezählten Büchern aussiebt und in seine Exzerpt-Hefte einträgt.
Müller-Ullrich: Ich hatte eingangs Georg Büchner erwähnt. Ist Jean Paul auch ein politischer Kopf gewesen?
Steinsiek: Jean Paul war ein politischer Kopf, das kann man sicher mit Fug und Recht behaupten. Er war ein Gegner der Fürstenherrschaft und ein Befürworter der Revolution, aber lehnte diese Auswüchse der Revolution eben ab. In seinen politischen Schriften, die nicht besonders viel rezipiert sind, da übt er sich doch irgendwie in Dunkelheit und trifft keine besondere Aussage. Es ist nicht so, dass er eine bestimmte Position bezieht.
Müller-Ullrich: Sie haben die Ausstellung ja "Dintenuniversum" genannt, ein typisches Paulsches Wort, was auch zeigt, wie in sich versponnen, obwohl lá pour lá war es nicht, aber doch ein wenig hermetisches Erzählen, eine Art Selbstgespräch in vielfacher, in vielstimmiger Weise. Aus was für einem Nachlass können Sie schöpfen? Der liegt in Berlin und ist ungeheuer groß. Warum liegt er in Berlin?
Steinsiek: Der liegt in Berlin, weil sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo die Familie den Nachlass verkaufen wollte. Der wurde München angetragen, der wurde Nürnberg angetragen, die haben alle dankend abgelehnt und dann hat sich sozusagen Berlin erbarmt, diesen Nachlass zu kaufen. Der ist 40.000 Seiten stark. Ein Drittel dieses Nachlasses besteht aus Exzerpt-Heften. Das sind gebundene Hefte mit kaligrafischen Titelblättern, die zunächst einmal eine erschriebene Bibliothek für ihn waren und dann tatsächlich diese Schreibwerkstatt. Das geht über Gedankenblitze, Entwürfe, auch Manuskripte selbst sind da. Aus diesem Nachlass schöpfen wir und der steht auch im Zentrum der Ausstellung.
Müller-Ullrich: Literaturausstellungen sind natürlich eine etwas mühsame Sache. Selbst die Schönsten in Marbach oder wo auch immer, sie zeigen Blätter, beschriebenes Papier. Haben Sie noch was anderes?
Steinsiek: Wir haben natürlich versucht, diese Blätter zum sprechen zu bringen, nämlich indem wir mit diesem Blick in die Dichterwerkstatt einfach den Besucher lenken, zum Beispiel Filiationen herstellen, wo es von der Idee bis in das gedruckte Werk geht. Wir haben eine Porträtgalerie Jean Pauls, wo erstmals alle wichtigen Jean-Paul-Porträts nebeneinander gezeigt werden.
Müller-Ullrich: Er war ja ein Star damals. Dann gab es so eine Delle in der Rezeption und dann ging es eigentlich Anfang des 20. Jahrhunderts erst wieder los.
Steinsiek: Ja, Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich mit Stefan George, der ihn dann für seine Ästhetik vereinnahmt hat.
Müller-Ullrich: …, was ja eigentlich seltsam ist, weil George uns nicht vor Augen steht als eine Humorbombe.
Steinsiek: Genau. Aber es hat da jeder auch seinen Jean Paul gelesen, wie er ihn besonders bewundert hat, und die ganzen Stücke dazwischen ausgelassen, und das gilt ganz insbesondere auch für Stefan George, der ihn zum größten Dichter der Deutschen erklärt hat, die ganzen Abschweifungen aber für Unkraut erklärt hat in dem Blumenbeet.
Müller-Ullrich: Jetzt lese ich was bei Ihrer Ausstellung von Schülerlaboren und habe immer so ein bisschen das Gefühl, oh je, sind das Gimmicks, oder was hat man sich darunter vorzustellen?
Steinsiek: Labor ist da tatsächlich nicht wörtlich gemeint. Die sitzen nicht wie wir früher in einem Sprachlabor und müssen Vokabeln üben, sondern Labor meint Workshop. Und die Idee dahinter ist, dass die einfach etwas über Literatur lernen, und das im Nebeneinander mit der Ausstellung ist natürlich einfach einzigartig. Das kann man nicht jederzeit den Schülern bieten.
Müller-Ullrich: Aber Jean Paul hätte es gefallen, denn er war ja ein großer Pädagoge.
Steinsiek: Er war ein sehr großer Pädagoge, in dem Sinne, wie er eben ein großer Frauenschwarm war, nämlich er hat sein Leben zu einem Schreiben gemacht. In seinem Nachlass finden sich zahlreiche Tagebücher über seine Kinder und er konnte praktisch seine Kinder nicht erziehen, ohne eine Erziehlehre zu schreiben, und umgekehrt. Man hat den Eindruck, dass etwas nur in der Wirklichkeit existiert, wenn es tatsächlich aufgeschrieben ist.
Müller-Ullrich: Angela Steinsiek, Kuratorin der Ausstellung "Jean Paul. Dintenuniversum" in Berlin. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.