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Das Ungeheuer Familie

Der Film "Das Fest" von Thomas Vinterberg war damals ein voller Erfolg. Nun hat sich der Regisseur für eine Fortsetzung des Familiendramas entschieden - auf der Theaterbühne. Wieder läuft alles auf eine Enthüllung hinaus.

Von Sven Ricklefs |
    Da ist dieser Blick ganz am Ende des Films "Das Fest", dieser Blick, mit dem Christian, der Älteste, seinem Vater nachschaut. Den hat man gerade gebeten, die Frühstückstafel zu verlassen, damit die anderen weiter essen können. Es ist der Morgen nach dem Fest, nach dem 60. Geburtstag des Vaters und Christian hat in seinen drei Trinksprüchen davon erzählt, wie es war, als sie klein waren, wie es war, wenn "Vater baden wollte", wenn er sie Lose ziehen ließ, ihn und seine Schwester, die jetzt tot ist, weil sie die Erinnerung nicht mehr aushielt. Er ließ sie Lose ziehen, wen von den beiden er diesmal vergewaltigen sollte.

    Fast hätte man Christian nicht geglaubt, fast hätten die Familie und ihr Verdrängungsapparat funktioniert, doch nun hat der Vater gesagt, du hast gut gekämpft mein Junge und ist gegangen. Und Christian schaut ihm nach und schlägt dann die Augen nieder. Danach: Blackout, der Film ist zu Ende und eine infame Spieluhr spielt ihre kleine unschuldige Musik, aber in diesem Blick liegt alles: das es vorbei ist, ausgesprochen ist, aber eben auch schon, dass damit nichts vorbei ist, dass das Gift der frühen Verletzung keine Halbwertszeit hat, sondern wirken wird, ein Leben lang. Mehr ist nicht zu sagen.

    Thomas Vinterbergs Film "Das Fest" war nicht nur ästhetisch eine Bombe, die mit ihren Dogmaregeln längst Filmgeschichte geschrieben hat. Nein, die Geschichte des Fests ist ein per se ein Sprengsatz, erzählt sie doch in kaum überbietbarer Härte von dem Ungeheuer Familie, von Verbrechen und Verdrängung in der Keimzelle der Gesellschaft. Warum aber diese Geschichte fortschreiben? Warum deutlicher machen, was nicht mehr zu verdeutlichen ist? Und: Warum die Gefahr eingehen, an einen Welterfolg anknüpfen zu müssen? Thomas Vinterberg wird wissen warum, warum er das Risiko eingegangen ist. Deutlich allerdings konnte er es in Wien nicht machen.

    "Ach Gott bewahre, jetzt seid ihr also alle miteinander wieder hier bei mir in der Stube. Ganz genauso, als wie ihr klein wart. Also das geht mir jetzt wirklich ans Herz."

    Fast ist der Plot derselbe, nur dass man damals zum Geburtstag des Vaters anreiste und nun zu seiner Beerdigung. Und war die Geburtstagsgesellschaft eine riesige, so ist man nun auf die engste Familie beschränkt. Doch wieder hat man sich lange nicht gesehen, wieder schimmern hinter den mal flapsigen mal aggressiven Dialogen alte Konstellationen und Verletzungen hervor und wieder läuft alles auf eine Enthüllung hinaus:

    Christian: "Sag Mutter, dass ich sie anrufe, ich glaube, sie wird mich für längere Zeit nicht sehen. Ich fahr jetzt nach Hause und ich nehme Pia mit."

    Kim: "Hehe, heh heh ist es so schlimm?"

    Christian: "Ich hab was getan, was ich besser hätte nicht tun sollen."

    Kim: "Was meinst du, einen Seitensprung? Macht doch jeder mal."

    Christian: "Schlimmer, Kim, viel schlimmer!"

    Dass Menschen, die als Kinder missbraucht wurden, Gefahr laufen von Missbrauchsopfern zu Missbrauchstätern zu werden, ist eben so wahr wie es auch schon wieder ein Klischee ist. Und genau in diese Klischeefalle ist Thomas Vinterberg mit der Fortschreibung von seinem Fest getappt. Und so ist es diesmal Christian, der sich an einem Kind vergeht, seinem Neffen, dem Sohn seines Bruders, der oben duscht, während die anderen unten das Essen bereiten. Es ist nicht das erste Mal. Wieder hat sich Vinterberg an die Archaik mythischer Themen herangeschrieben, diesmal ist es im Showdown nicht der Vater-Sohn-Konflikt sondern der Bruderzwist, doch ließ jener einen atemlos betroffen und auch ästhetisch schwer beeindruckt zurück, lässt dieser nun in seiner Vorhersehbarkeit eher kalt.

    Das liegt sicherlich auch daran, dass Vinterberg bei seinem Theaterregiedebüt nicht mehr gelungen ist, als die Inszenierung eines leidlich gut gespulten Konversationsstücks. Sicherlich hat Vinterberg auf der Bühne des Burgtheaters brillante Schauspieler wie etwa Martin Wuttke als Christian oder Corinna Kirchhoff als Mutter zur Verfügung, doch dass gerade diese beiden immer mal wieder auch der Gefahr zitternd-pathetischer Überzeichnung erliegen, zeigt, dass Vinterberg die theatrale Ökonomie der Gefühle noch lange nicht beherrscht. Nichts aber "ist schlimmer als das Mittelmaß" hat dieser Regisseur einmal gesagt, der im Film seine Mittel ebenso perfekt beherrscht wie er sie ständig wechselt, um sich nicht zu wiederholen. An diesem Satz aber muss er sich nun auch im Theater messen lassen. Und so ist das beste an dem "Begräbnis", dass man sich im Vorfeld noch einmal "Das Fest" anschauen muss. Ob man danach noch ins Theater geht, sei jedem selbst überlassen.