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Das Verhältnis zwischen Hilfsorganisationen und Medien

Simon: Die Affäre um das deutsche Flüchtlingsschiff Cap Anamur droht zu einer Belastung zwischen den Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu werden. Die Bundesregierung hat die italienische Regierung aufgefordert, die drei festgenommenen Deutschen sofort freizulassen. Die Menschenrechtsbeauftragte Claudia Roth sagte, die Verhaftung von Cap-Anamur-Chef Bierdel, des Kapitäns und des ersten Offiziers sei eine Kriminalisierung derer, die Leben gerettet hätten, statt Flüchtlinge ihrem Schicksal auf hoher See zu überlassen. Diskrete Verhandlungen sind auch deshalb nicht möglich, weil Presse, Radio und Zeitung längst ausgiebig über die Affäre berichten. Am Telefon ist nun Thilo Bode, der Geschäftsführer der Organisation Foodwatch und lange Jahre Chef von Greenpeace International. Herr Bode, wie viel Medienaufmerksamkeit ist gut für eine Hilfsorganisation oder Nichtregierungsorganisation?

    Bode: Das kommt immer auf das Thema drauf an, um das sich die Organisation kümmert. Die humanitäre Situation im südlichen Europa ist natürlich eine ganz große Katastrophe, und meiner Meinung nach kann man da gar nicht genug Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen.

    Simon: Wie weit sollten denn Organisationen gehen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen?

    Bode: Möglichst so weit, dass die Politik auch reagiert. Wir haben ja die Situation in Europa, dass die Asylpolitik nicht klar ist. Das heißt, Italien wehrt sich gegen Flüchtlinge, weil der Boden, den die Flüchtlinge zuerst betreten, dieses Land muss auch Asyl geben. Europa hat auch keine konsistente Afrika-Politik, um dort die Armut zu bekämpfen. Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass man die Aufmerksamkeit erweckt. Die offizielle Politik möchte das Thema lieber totschweigen. Also ich finde das wichtig, was Cap Anamur macht, und die Medien haben nach meiner Meinung eine große Verpflichtung, darüber zu berichten.

    Simon: Und auch weiter darüber zu berichten?

    Bode: Ja, aber natürlich. Wir haben hier ein Problem, was Europa noch lange verfolgen wird, was noch schwerwiegender werden wird. Es ist viel interessanter darüber zu berichten als über das neuste Kopfweh von Frau Merkel.

    Simon: Bei den Effekten, die die Berichterstattung bei den Zuschauern, Zuhörern und Lesern erzielt, glauben Sie, dass diese Bilder und Schlagzeilen von der Cap Anamur einen nachhaltigen Effekt auch haben werden?

    Bode: Ich meine, mit der Zeit werden sich die Bilder eingraben. Es hängt ja auch von den Medien ab, inwieweit sie nicht nur an der Oberfläche hängen bleiben, sondern die dahinter liegende Problematik beleuchten. Ich habe bisher noch wenig gehört über die Afrika-Politik von Europa. Ich habe noch wenig Kritik gehört über die Asylpolitik, die, wie gesagt, völlig unzureichend ist. Die Medien, die erst drauf springen und sich jetzt darüber mockieren - das ist vielleicht etwas PR-mäßig -, sollten sich selber anfassen und fragen, warum sie nicht tiefer gehen.

    Simon: Das heißt, das Problem ist Ihrer Ansicht nach nicht das Ereignis selber, was eben dargestellt wird, sondern die Art, wie man sich damit auseinandersetzt?

    Bode: Das Ereignis ist dramatisch. Das muss dokumentiert werden. Die politische Diskussion ist danach nicht mehr zu steuern. Das kann man nicht verhindern. Hier können sich die einzelnen Player sozusagen klug oder weniger klug verhalten. Sie müssen natürlich auch immer aufrichtig sein und die Wahrheit sagen. Aber dass das an die Öffentlichkeit gezerrt werden muss, ist absolut notwendig.

    Simon: Wenn Sie jetzt von Aufrichtigkeit und Wahrheit sprechen, es ist ja zu Beginn der Cap-Anamur-Geschichte auch immer bis zum Schluss die Rede davon gewesen, dass es sich um 37 Afrikaner aus Darfur, dem Krisengebiet im Westen des Sudan, handelt. Das ist wohl nicht so eindeutig - man muss das so vorsichtig bis jetzt sagen, weil nichts bewiesen ist. Schaden solche möglicherweise falschen Informationen der Sache selber?

    Bode: Die schaden auf jeden Fall der Sache selber. Da muss man sehr vorsichtig sein. Ich weiß nicht, wer diese Informationen gestreut hat. Es ist zwar für Insider eigentlich relativ klar, dass die Flüchtlinge möglicherweise aus dem Sudan stammen können, aber nicht aus Darfur - da kommen nur ganz wenige her. In diesem Vorfall wird ja unheimlich viel berichtet. Da müssen erst noch einige Sachen aufgeklärt werden. Aber wenn falsche Informationen von wem auch immer gestreut werden, ist das immer nachteilig. Deshalb ist es auch für die Presse sehr wichtig, dass sie unterscheidet zwischen dem, was sozusagen an der Oberfläche schwimmt und was substantiell dahintersteckt. Substantiell steckt das Flüchtlingsproblem von Afrika dahinter, und da ist es schon fast egal, möchte man fast zynischerweise sagen, ob es sich um Leute aus dem Tschad, aus dem Sudan oder aus Nigeria handelt.

    Simon: Die Regierungen sind in dem Fall jetzt mit der Cap Anamur jeglichen Schattens beraubt, oder, sagen wir mal, einer geschützten Ebene, auf der sie sonst Verhandlungen führen können. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil?

    Bode: Ich verstehe Ihre Frage nicht. Die Cap Anamur hat Flüchtlinge auf hoher See aufgenommen, hat einen Notfall gemeldet und läuft eine Küste an. Da muss man sich jetzt darüber unterhalten, ob das Schiff korrekt gehandelt hat oder nicht, oder ob die Notfallsituation tatsächlich eingetreten war. Selbstverständlich ist es ganz normal, dass die Regierungen auch mit privaten Organisationen verhandeln und verhandeln müssen. Warum nicht?

    Simon: Was ich meine, ist, ob der Druck nicht im Augenblick so stark auf die Italiener, dass sie bemüht sein werden, überhaupt keine Konzessionen in der Öffentlichkeit zu machen?

    Bode: Das kann schon sein, aber das kann man nicht ändern. Das ist ja auch, wie gesagt, der Sinn der ganzen Geschichte, dass man Druck auf die Politik ausübt, denn die Politik muss sich dieses Themas annehmen. Die Politik hätte es am liebsten, niemand würde sich darum kümmern und man würde die Leute absaufen lassen.

    Simon: Sie haben früher bei Greenpeace International für viele schlagzeilenträchtige Ereignisse gestanden. Haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass sich so etwas abnutzt?

    Bode: Das nutzt sich dann ab, wenn der Anlass nicht ernst ist. Also wenn der Anlass ernst ist und man glaubwürdig machen kann, dass es sich um ein wirklich wichtiges Problem handelt, dann wird so etwas immer wieder in die Presse kommen. Was gefährlich ist, ist, wenn man routinemäßig Sachen wiederholt oder wenn es zu einem Ritual wird, dann nutzt es sich natürlich ab. Ich glaube eher, dass diese Flüchtlingskatastrophen, wie gesagt, uns noch begleiten werden.

    Simon: Wie erklären Sie sich, dass in der Umweltpolitik viel öfter zu solch spektakulären Aktionen gegriffen wird als bei dem Problem Flüchtlinge, was ja nun wirklich ein schreiendes und seit langem gravierendes ist?

    Bode: Das weiß ich nicht. Es hängt vielleicht damit zusammen, dass es viele Organisationen gibt und gab, die sich erst mal um das Umweltproblem gekümmert haben und es dort natürlich einige Anlässe gibt. Diese aktivistische Flüchtlingshilfe ist auch eine relativ begrenzte Angelegenheit, die auch nicht so häufig auftaucht. Daran sehe ich eine Erklärung. Ansonsten bin ich mir nicht ganz sicher, wie ich die Frage beantworten soll.

    Simon: Das heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, dass Sie nicht davon ausgehen, dass dieser Aktion viele in dieser Art folgen werden?

    Bode: Ja, das kommt ganz darauf an, wie sich die Flüchtlingssituation entwickelt. Der Kapitän von der Cap Anamur hat ja gesagt, er möchte das wieder machen. Das finde ich auch richtig, dass er das wieder macht. Ob es richtig ist, das öffentlich zu sagen, ist eine andere Frage. Aber eins ist klar: Wenn Europa seine Politik gegenüber Afrika nicht ändert und weiterhin so zynische Politik betreibt wie auch gegenüber dem Sudan, dann wird sich natürlich die Flüchtlingsproblematik verschärfen, und auch diese Aktionen werden sich verschärfen, denn es ist eine humanitäre Pflicht, dass man den Leuten hilft.

    Simon: Vielen Dank für das Gespräch.