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Das Verlangen einer Minderheit

Thomas Meineckes Erzählband "Feldforschung" entstand in Zusammenhang mit der Ausstellung "Das achte Feld" im Kölner Museum Ludwig, in deren Mittelpunkt der Themenbereich Geschlecht und Gender in der zeitgenössischen Kunst steht. Während im Katalog gewichtige Essays über die Geschichte der marginalisierten Sexualität in der Kunst zu lesen sind, stellt Meinecke auf 140 Seiten seine ganz persönliche Assoziationen zur Ausstellung vor.

Von Simone Hamm |
    Höflich fragt der Mann im Trenchcoat den Wirt, ob er ein Bier trinken dürfe. Er nimmt sein Glas vom Tresen und setzt sich an einen Tisch zu anderen Männern. Er spricht nicht. Er erhebt sich und zieht aus der linken Innentasche seines Trenchcoats einen Revolver. Er macht zwei Schritte rückwärts und feuert quer über den Tisch. Dann geht er in aller Ruhe zur Tür, geht langsam die Straße hinauf, wirft Trenchcoat und Revolver in eine Mülltonne. Ein paar Häuserblöcke weiter lässt er sich widerspruchslos von den inzwischen alarmierten Polizisten festnehmen.

    Der Mann heißt Ronald Edward Gay und das Backstreet Cafe, in dem er einen Menschen getötet und etliche andere verletzt hat, ist ein Cafe, in dem sich Schwule treffen. Ronald Edward Gay mag seinen Nachnamen nicht. Gay bedeutet fröhlich, ausgelassen, aber auch schwul. Seine Söhne haben ihren Namen umändern lassen. Gay wird zum Schwulenhasser. Er will aufräumen mit den Schwulen. Am 22. September 2000 wird er zum Mörder.

    Mister Gay ist eine der Erzählungen aus Thomas Meineckes Buch "Feldforschung". Dieser Erzählband entstand in Zusammenhang mit der Ausstellung "Das achte Feld" im Museum Ludwig. In Köln wird daran erinnert, "dass nicht nur die "Mona Lisa" ihr Spiel mit dem Geschlecht treibt und nicht nur Barock und französischer Neoklassizismus das Androgyne feiern, sondern die Erotik der Minderheit ganz selbstverständlich auch in der zeitgenössischen Kunst eine bedeutende Rolle spielt", wie es im Katalog heißt. Die Erotik der Minderheit, das ist nicht nur Homosexualität, sondern auch das dritte Geschlecht, sind die Hermaphroditen. Und auch die Transvestiten. Von ihnen leitet sich der ambitiöse Titel der Ausstellung ab.

    "Das achte Feld", bezieht sich auf eine Regel im Schach. Der Bauer ist die Spielfigur mit dem geringsten Bewegungsradius und dem niedrigsten Wert. Wenn er es aber schafft, auf das achte Feld zu gelangen, kann er zur Dame werden.

    Im dicken Katalog kann man etwa einen Essay der Genderphilosophin Judith Butler oder etwas über die Geschichte der marginalisierten Sexualität in der Kunst lesen. Im schmalen Bändchen "Feldforschung" sind Thomas Meineckes ganz persönliche Assoziationen zu dieser Ausstellung nachzulesen. Aber natürlich erschließen sich die Erzählungen auch jedem, der die Ausstellung und den dazugehörigen Katalog nicht kennt. Meinecke erzählt zunächst eine Geschichte wie die von Ronald Edward Gay, fügt einen oder mehrere Subtexte hinzu, Vorstellungen, wie die Geschichte auch gewesen sein könnte, jede Menge Klatsch und Tratsch, Gerüchte, gewispert oder herausgeschrieben.

    Warum haben Cindy Crawford und Richard Gere eine ganzseitige Anzeige schalten lassen, in der sie ihren Fans versicherten, heterosexuell zu sein? Warum haben das auch Nicole Kidman und Tom Cruise immer wieder betont? Waren Keanu Reeves und der Schallplattenmogul David Geffen miteinander verheiratet? Waren Robert Mapplethorpe und Patti Smith ein Paar? Darüber diskutieren Meineckes Personen heftig.

    Meineckes Thema ist Sex. In allen Variationen. Seine Protagonisten plappern munter darauf los, für einschlägig nicht so bewanderte Leser gibt es viel Gossip zu erfahren von Grenzgängern, die weder männlich noch weiblich sind, von Berühmtheiten, die ein Doppelleben führen, von Megastars, die merkwürdige Sexualpraktiken mit Wüstenspringmäusen pflegen. Von einer Frau, die sich als jungen, HIV infizierten Stricher ausgibt, der seine Geschichte aufgeschrieben hat und damit einen Megaseller landet. Man erfährt all das, was man in den Gazetten im Wartezimmer des Zahnarztes so nicht liest. Klatsch von aufgeklärten, sexuell offenen Intellektuellen, die das, worüber sie unermüdlich diskutieren, überall finden: in Zeitungen, Seminararbeiten, Internetforen. Sie verschlingen theoretische Abhandlungen ebenso wie Artikel über Popmusik. Sie diskutieren über Dekonstruktivisten und über Judith Butlers Thesen. Und natürlich steht alles gleichwertig nebeneinander: Kühne Gedanken, Geschwätz, Wissenschaftskritik, Gerüchte aus der Subkultur, geschickt montiert von Thomas Meinecke. Das liest sich recht kurzweilig, ist unterhaltsam und amüsant und schockiert weit weniger als die Ausstellung "Das achte Feld".

    Hier wie da jedoch - beim Gucken wie beim Lesen - fühlt man sich bisweilen als Voyeur und möchte es so genau dann doch nicht wissen, wer mit wem und warum und die Geschichte mit der Wüstenspringmaus. Aber vielleicht ist gerade auf diese Geschichte jetzt jemand neugierig geworden.

    Thomas Meinecke:
    "Feldforschung"
    (Suhrkamp Verlag).

    Frank Wagner (Hrsg.):
    "Das achte Feld"
    (Verlag Hatje & Cantz)