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Das Vermächtnis des Judah Folkman

Medizin. - Judah Folkman wurde berühmt, weil er einen Weg entdeckt hatte, wie er Krebsgeschwüre aushungern konnte - seine Wirkstoffe schalteten quasi Tumoren die Sauerstoff- und Energieversorgung ab. Anfang des Jahres starb der Forscher, doch die Entwicklung seiner Entdeckungen schreitet fort.

Von Arndt Reuning | 09.09.2008
    In einem der oberen Stockwerke des St. Kerp Research Building am Children’s Hospital Boston gibt es einen Konferenzraum, der auch tagsüber meistens abgedunkelt ist. An einer Wand hängt dort eine weiße Tafel, über und über mit einer etwas krakeligen Schrift bedeckt. Das Besondere an der Tafel: eine riesige Glasscheibe ist darauf geschraubt, die die Aufzeichnungen schützen soll - erklärt die Wissenschaftlerin Ofra Benny, die hier mit Judah Folkman zusammen gearbeitet hat.

    "In diesem Raum haben wir wöchentlich unser Labortreffen abgehalten. Dr. Folkman hat dann über unsere neuen Experimente gesprochen und über seine Ideen. Auf diese Tafel hier hat er einige seiner letzten Fragen geschrieben, die er uns gestellt hat. Die meisten davon gehören zu aktuellen Projekten, an denen wir nun weiter arbeiten. Wir hoffen, dass wir einige dieser Ziele, die er uns gesteckt hat, erreichen können. Und dass wir noch mehr Therapien finden werden, die auf seinen Ideen beruhen."

    Dabei könnte ein Wirkstoff eine wichtige Rolle spielen, den ein Mitarbeiter von Judah Folkman schon vor über zwanzig Jahren entdeckt hatte. Ein Zufallsfund. Don Ingber hatte damals im Labor künstliches Gewebe gezüchtet. Ein Pilz hatte eine der Zellkulturen verunreinigt. Anstatt sich darüber zu ärgern, nahm der Forscher die Petri-Schale genauer unter die Lupe.

    "Er sah dann, dass die Verunreinigung das Wachstum bestimmter Zellen gehemmt hat - jener Zellen, die die Blutgefäße bilden. Er isolierte dann aus dem Pilz ein Molekül, Fumagillin, und veränderte es chemisch ein klein wenig. Dieses Molekül ist äußerst wirksam, wenn es darum geht, das Wachstum der Adern zu unterbinden."

    Und das nicht nur in der Zellkultur, sondern auch im Tierversuch. Als der neue Wirkstoff dann aber in der Klinik an Patienten erprobt wurde, zeigte er deutliche Nebenwirkungen. Er verursachte Benommenheit, Gedächtnisverluste und Depressionen. Offenbar konnte er die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im zentralen Nervensystem Schaden anrichten. Und damit verschwand er dann erst einmal wieder in der Schublade. Bis ihm dann vor einigen Jahren neue Aufmerksamkeit zuteil wurde, als die Forscher aus Boston über Konzepte nachdachten, wie sie die Nebenwirkungen ausschalten könnten.

    "Eine Möglichkeit besteht darin, die Größe des Moleküls zu ändern – so dass es nicht ins Gehirn vordringen kann. Das geht, indem man es an ein anderes großes Molekül dran hängt, zum Beispiel an ein fadenförmiges Kettenmolekül. Die Länge der Kette kann man ändern und damit die Größe des Wirkstoffmoleküls beeinflussen."

    Ofra Benny hat das abgewandelte Fumagillin mit einem ganz besonderen Kettenmolekül verknüpft: die eine Hälfte der Kette stößt Wasser ab, die andere Hälfte zieht Wasser an. Wenn die Forscherin diese Moleküle gut mit Wasser vermischt, dann lagern sich die Ketten von selbst zu kleine Kügelchen zusammen: Im Kern der Anti-Krebs-Wirkstoff, umgeben von der inneren, wasserabweisenden Schicht, und von der äußeren wasseranziehenden Schicht. Diese Hülle schützt den Wirkstoff vor den Verdauungssäften im Magen. Und sie verhindert, dass die Kügelchen ins Gehirn gelangen. Im Krebsgewebe aber sammeln sie sich an.

    "Die Blutgefäße, die in den Tumor hineinreichen, sind alles andere als normal – ihre Struktur ist nicht normal. Sie sind sehr durchlässig. Jede Art von diesen winzig kleinen Kügelchen, ob mit Wirkstoff oder ohne, neigt deshalb dazu, sich im Tumor anzuhäufen."

    Bisher funktioniert das nur im Tierversuch. Das zwanzig Jahre alte, wiederbelebte Anti-Krebs-Mittel lässt bei Mäusen Tumore schrumpfen und wandert dabei nicht ins Gehirn. Ob das Präparat, das den Namen Lodamin erhalten hat, bei Menschen ähnlich gute Ergebnisse zeigt, wollen die Wissenschaftler aus dem Folkman-Labor als nächstes herausfinden. Bis der Wirkstoff auf den Markt gelangt, könnten noch einige Jahre vergehen. Aber einen langen Atem müssen Krebsforscher offenbar sowieso haben.