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Das Vermögen der Kunst

Bei Klaus Illi wird ausgekehrt. Vor einem Foto des Münchner Königsplatzes hat der Künstler zwei Besen installiert, die auf Vorbeieilende mit Kehrbewegungen im Marschschritt reagieren. Plötzlich sind all die großen Themen wieder da, die im Alltag der Künstlerreise so selten angesprochen wurden: Holocaust und Israelisch-Palästinensischer Krieg.

Von Natascha Freundel |
    Die 30 Künstler nähern sich der verführerisch offenen Thematik "Das Vermögen der Kunst" durchaus auf historischen Pfaden, aber – ganz anders als die große Israel-Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau – sehr behutsam, eigensinnig, eindringlich. Die Kuratorin Yael Katz Ben Shalom etwa, die Initiatorin des Projekts, hat bei Erfurt auf dem ehemaligen Gelände der Firma "Topf und Söhne", die das KZ Buchenwald mit Verbrennungsöfen bestückte, Videos gedreht – mit jugendlichen Besetzern aus der Anarcho-Szene:

    "Ich denke nicht, dass ich irgendwie ne bessere Person oder 'ne moralischere Person bin, weil ich hier bin und hier politische Arbeit mache. Aber ich versteh einfach nicht, dass so viele Leute ihre Augen davor verschließen, dass es dieses Gelände hier gibt. Es gab mehr als genügend Öffentlichkeitsarbeit, es stand so oft in der Zeitung, dass es dieses Gelände hier gibt, und ich kann das einfach nicht verstehen, dass Menschen das so egal ist."

    Orte, die beinah vergessen sind. Sie standen auch auf dem kühn auf Überforderung ausgerichteten Programm der zehntägigen Künstlerreise. Im vom Braunkohletagebau bedrohten Heuersdorf im Leipziger Land erlebten die Israelis eine andere Geschichte von Heimatkonflikt, und im Uranabbaugebiet Ronneburg bei Weimar lernten sie das Fürchten vor der atomaren Strahlung. Im Vergleich zur Reise wirkt die Ausstellung erfrischend klar, wohl strukturiert. Auch vor dem Hintergrund der schreiend bunten Tapete aus Pressefotos und Schlagzeilen, mit der die Ausstellungsräume teilweise ausgestattet wurden. Die Leiterin des Kunsthauses Dresden, Christiane Mennecke:

    "Die Kunst stellt eben, und das wird über diese Gegenüberstellung sehr, sehr schön deutlich, ganz, ganz andere Bilder her. Sie bezieht sich eben auf den Alltag sehr häufig, also nicht das spektakuläre Ereignis in dem Moment, wo’s passiert. Also nicht, wo die Bombe einschlägt sozusagen, da sind die populären Medien dabei. Aber die Kunst nimmt dieses Bild auf fünf Jahre danach."

    Wie etwa auf Roi Kupers Fotografien mit dem Titel "Ansar", aufgenommen zu Beginn der zweiten Intifada, 2003. Im Gefangenenlager "Ansar 3" in der Negev-Wüste wurden Tausende Palästinenser festgehalten, darunter Akademiker und Dichter. Auf den Fotos des Israelis Kuper liegt das Lager leer, reglos und sinnlos in der gleißenden Sonne. Besonders ungewöhnlich auch die palästinensischen Werke: Die nach Gewürzen duftenden Decken der Hannan Abu Hussein etwa oder die Fotos aus einer psychiatrischen Anstalt in Betlehem von Raed Bawayeh.

    Die Menschen auf diesen Bildern sind nicht in erster Linie Opfer des Konflikts, sie sind in vielerlei Hinsicht verstört oder zerstört, aber doch voller Würde. Alles in allem ist dieses Projekt "Vermögen der Kunst" ein gewagtes. Von Heuersdorf ins Berliner Kaufhaus des Westens, vom Potsdamer Einsteinturm in den Atomschutzbunker unter dem Kurfürstendamm, und von dort weiter nach "Tropical Islands" in Berlin-Brand. Die zehntägige Fahrt, sie war ein gewagter Versuch der Neuorientierung durch Desorientierung, eine Expedition auf Abwegen und Umwegen, eine Horizonterweiterung nicht nur für die Palästinenserin Salwa Alenat, die zum ersten Mal in Europa sein durfte:

    "”Ich möchte nicht nur den israelisch-palästinensischen Kampf sehen und sonst nichts, ich möchte nicht von diesem Konflikt dominiert werden. Ich möchte die Welt sehen, andere Menschen und andere Konflikte.""

    Informationen zur Ausstellung:
    Reise: 26. Juli – 4. August 2005
    Ausstellung: 5. August – 18. September 2005