Dieses neue Erlebnis können die Zyprioten seit dem 23. April täglich haben. Bis dahin trennte Stacheldraht seit 29 Jahren die Insel Zypern in zwei Teile. In der Hauptstadt der Insel, Nikosia, geht die Demarkationslinie mitten durch die Stadt. 29 Jahre lang war es nur vereinzelt möglich, die sie zu überqueren. Seit dem 23. April ist alles anders. Denn die Führung der türkischen Zyprioten mit dem greisen Chef Rauf Denktash erlaubte plötzlich Tagestouren über die Demarkationslinie. Inzwischen haben über 200 000 griechische und über 50 000 türkische Zyprioten die neue Freizügigkeit genutzt, um den jeweils anderen Teil der Insel zu besuchen. Eine etwa 60jährige griechische Zypriotin erklärt in der Warteschlange ihre Geduld:
Ich möchte mein Haus wiedersehen. Auch wenn es kaputt sein sollte, ich möchte in mein Dorf gehen.
Ein türkischer Zypriote wartet in der anderen Schlange. Sein Ziel ist das gleiche.
Ich möchte die Orte wiedersehen, an denen ich früher gelebt habe. Das ist ein sehr glücklicher Tag.
Auf Zypern leben etwa 540 000 Zyperngriechen und 170 000 Zyperntürken. Die Insel ist seit 1974 geteilt. Damals putschten rechtsradikale griechische Zyprioten mit Hilfe der in Athen regierenden Militärjunta. Zum Präsidenten ernannten sie Nikos Sampson, der sich als brutaler "Türkenschlächter" einen Namen gemacht hatte. Als Antwort auf diesen Putsch und zum Schutz der Zyperntürken marschierte die türkische Armee auf Zypern ein und besetzte 37 Prozent der Insel. 170 000 Zyperngriechen wurden aus den besetzen Gebieten in den griechisch-zypriotischen Süden vertrieben. In umgekehrter Richtung flohen 50 000 Zyperntürken aus dem Süden in den türkisch-zypriotischen Norden.
Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen hat es allerdings schon vor 1974 gegeben. Erst 1960 ist die vormalige britische Kolonie Zypern selbstständig geworden. Doch die ausgehandelte, komplizierte Machtbalance zwischen den Zyperntürken und den Zyperngriechen zerfiel bald. Viele Zyperngriechen wollten die Wiedervereinigung mit Griechenland, was die Zyperntürken entschieden ablehnten. Zu Weihnachten 1963 überfielen zyperngriechische Extremisten türkische Zyprioten. Es entbrannte ein kurzer Bürgerkrieg, vor allem geschürt von den extremistischen Gruppierungen beider Seiten. Tausende von türkischen Zyprioten flohen aus bis dahin gemischten Dörfern und Stadtteilen in moslemische Viertel Nikosias und Gebiete an der Nordküste, die vorwiegend von Zyperntürken bewohnt waren.
Anders als im geteilten Deutschland gab es seit 1974 über die Demarkationslinie hinweg keine familiären Kontakte. Auch hat die Regierung der Zyperngriechen jeglichen Handel mit dem zyperntürkischen Norden verboten. Das dortige Regime rief die "Türkische Republik Nordzypern" aus, die aber nur von der Türkei anerkannt worden ist. Die Zyperngriechen taten alles, um die von ihnen als Besatzungsregime bezeichnete Administration international und wirtschaftlich zu isolieren. Der zyperntürkische Führer Denktash wiederum verbot seiner Bevölkerung 29 Jahre lang den freien Zugang zum anderen Teil des Landes.
Seit zwei Wochen strömen Zyperngriechen in den Norden, Zyperntürken in den Süden. Sie machen dabei oft bewegende emotionale Erfahrungen. Zwei griechische Zyprioten berichten nach dem Besuch in ihren alten Häusern, aus denen sie 1974 fliehen mussten:
Wir haben unser Haus gesehen. Es war sehr angenehm. Die Zyperntürken, die jetzt darin wohnen, haben uns sehr gastfreundlich empfangen, uns zum Tee eingeladen und gesagt, wir sollen bald wiederkommen.
"Sehr gut, sehr gut " sei es wieder hier zu sein, sagt ein 84 jähriger Zyperntürke. Er spricht griechisch, weil er bis 1974 im griechischen Teil Nikosias als Polizist gearbeitet hat. Nun sitzt er mit älteren Zyperngriechen im Kafeneion und fragt nach einem Kollegen, zu dem er seit 30 Jahren keinen Kontakt hatte.
Mein Freund ist zwar gestorben, habe ich erfahren. Trotzdem ist es schön, das Dorf nach so langer Zeit wiederzusehen. Es gibt viele neue Häuser und auch die Kneipe ist neu.
Die jungen Zyprioten, die ebenfalls in Scharen die Grenze passieren, sind vor allem neugierig. Der türkische Norden ist viel ärmer als der vor allem durch den Tourismus wohlhabende griechische Süden. Aber er hat Charme und Ruhe. Hier ist vieles um einiges billiger. Die griechischen Zyprioten spazieren durch die Städte und Dörfer und haben in Kneipen, Restaurants und Geschäften bisher umgerechnet über drei Millionen Euro ausgegeben - eine willkommene Einnahmequelle für den wirtschaftlich zurückgebliebenen türkisch-zypriotischen Norden.
Im zyperngriechischen Süden sind überall junge Familien und Gruppen von jungen Zyperntürken zu sehen. Sie gehen in die billigeren Schnellimbisse. McDonalds, das es im türkischen Norden nicht gibt, hat ein Umsatzplus von 60 Prozent gemeldet. Sie erkunden die Einkaufsläden und Konsumpaläste, wenngleich sie nur selten etwas kaufen.
Die Preise sind viel höher als auf der türkischen Seite. Aber die Shoppingcenter sind wirklich gut.
Mir gefallen die Geschäfte hier. Sie sind ganz anders als bei uns, so modern wie in England. Bei uns gibt es Läden wie Marks and Spencer oder Topshop nicht.
Die militärisch gesicherte Demarkationslinie war ein Symbol für Spannungen, eine ständige Erinnerung an Feindschaft und Gewalt zwischen den Volksgruppen. Die Grenzöffnung scheint den meisten Zyprioten eine große Last von der Seele genommen zu haben. Überall auf der Insel herrscht eine frohe Stimmung. Das Interesse, die andere Seite und die andere Volksgruppe kennnenzulernen, ist groß. Aber die zahlreichen Begegnungen zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken haben eine über das menschliche hinausgehende politische Bedeutung, meint der in Nikosia lehrende Politologe Naisi Kisuljürek:
Zypernfrage ist auch eine Frage danach, ob die Menschen zusammen leben können oder nicht - nach den ethnischen Konflikten. Und jetzt hat man gesehen, dass die Menschen sich sehr brüderlich wiedergetroffen haben.
Sie scheinen zusammenleben zu können - eine hoffnungsvolle Entwicklung. Dabei gab es noch vor zwei Monaten zu Hoffnungen überhaupt kein Anlass. Denn am 10. März waren die jüngsten und bisher intensivsten Bemühungen der UNO um eine Wiedervereinigung der Insel vor allem am Widerstand des Führers der Zyperntürken, Denktash, gescheitert. Da die Zyperngriechen und Zyperntürken nicht in der Lage waren, selbst in den Verhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen, hatte UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen umfassenden Plan zu Wiedervereinigung vorgelegt. Sein Ziel war es, bis April 2003 eine Wiedervereinigung unter Dach und Fach zu haben, damit das gesamte Zypern und nicht nur der griechisch-zypriotische Teil Mitglied in der Europäischen Union werden kann.
Der Annan-Plan stellt einen Kompromiss dar. Danach soll das neue vereinigte Zypern aus einer Föderation zweier weitgehend souveräner Teilstaaten mit einer schwachen Zentralregierung bestehen. Im Bundesparlament und im zukünftigen Präsidium sollen die türkischen Zyprioten große, weit über ihren proportionalen Anteil an der Bevölkerung hinausgehende Mitentscheidungs- und Vetorechte haben. Damit greift der Annan-Plan die Angst der Zyperntürken, von der griechischen Mehrheit einfach dominiert zu werden, auf und kommt ihrer Forderung nach Eigenstaatlichkeit entgegen.
Im Gegenzug soll das Territorium des zyperntürkischen Nordens von 37 Prozent der Insel auf 29 Prozent reduziert werden. Die große Mehrheit - nicht alle! - der 1974 geflohenen Zyperngriechen können, zum Teil etappenweise in den nächsten 15 Jahren, in ihre alte Heimat zurückgehen.
Beide Seiten hatten Bedenken gegen den Plan: Die Zyperngriechen wollten die Rückkehr von mehr Flüchtlingen erreichen, die Zyperntürken wollten weniger Land und damit weniger Umsiedlungen in ihrem Gebiet erzwingen. Letztlich lehnte Denktash den Annan-Plan ab. Auch zur Forderung des UNO-Generalsekretärs, den Plan zur Volksabstimmung vorzulegen, sagte er Nein.
Obwohl die Hauptschuld des Scheiterns Denktash und der ihn unterstützenden türkischen Regierung in Ankara zugeschrieben wird, ist auch die zyperngriechische Seite für den Fehlschlag mitverantwortlich. UNO-Generalsekretär Annan stellte in einem Bericht an den Sicherheitsrat fest:
Ich bedaure, dass die Zyperngriechen nicht mehr getan haben, um die Zyperntürken davon zu überzeugen, dass sie wirklich für eine Kompromisslösung sind. Insbesondere unter den Zyperngriechen gibt es eine starke Abneigung dagegen, zu akzeptieren, dass es letztlich nicht um die Alternative zwischen einem Kompromiss entsprechend meines Planes und irgendeinem 'besseren' Plan gab, sondern dass die Alternative war: Dieser Plan oder gar keine Einigung.
Noch im Februar, mitten in den Verhandlungen über den UNO-Plan, wählten die Zyperngriechen einen neuen Präsidenten: Tassos Papadopoulos. Er hatte im Wahlkampf seinem Konkurrenten, dem langjährigen Amtsinhaber Cleridis, eine zu nachgiebige Verhandlungsposition vorgeworfen und sich selbst als jemand profiliert, der dafür sorgen werde, dass alle zyperngriechischen Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurückkehren könnten.
Enttäuscht über das Scheitern der Verhandlungen waren vor allem die Zyperntürken. Eine breite Bewegung hatte sich in den vorangegangenen Monaten für die Wiedervereinigung der Insel und gegen die kompromisslose Haltung von Denktash eingesetzt. Bei der größten Demonstration waren 70 000 Menschen auf die Straße gegangen - jeder dritte Zyperntürke hatte daran teilgenommen.
Der Norden der Insel ist arm. In den Städten sind 6 von 10 Menschen, auf dem Land jeder vierte arbeitslos. Von einem EU-Beitritt eines wiedervereinigten Zyperns würden die Zyperntürken am meisten profitieren. Doch nach dem Scheitern der Verhandlungen stellte am 16. April in Athen nur der griechische Teil Zyperns den Antrag auf Aufnahme in die EU. Dass Denktash eine Woche später die Grenzen öffnete, hat mit diesem EU-Beitritt zu tun, meint der Politologe Kisuljürek.
Nach dem EU-Beitritt von Zypern hatten wir neue Voraussetzungen, das viele türkische Zyprioten rüberkommen wollten zum Arbeiten. Da hat er einen Schritt gemacht von sich aus, die Türen aufgemacht, weil sonst würden viele türkische Zyprioten einfach rüberlaufen, weil die Wirtschaftslage im Norden ist wirklich schlecht.
Denktash wollte dieser Entwicklung offensichtlich zuvorkommen - und damit gleichzeitig gegenüber der innenpolitischen Opposition Punkte machen. Denn im Herbst stehen im türkischen Teil Zyperns Wahlen an. Ohne einschneidende Maßnahmen, die den türkischen Zyprioten das Leben auf der geteilten Insel erleichtern, kann Denktash nicht mit einer Wiederwahl rechnen.
Ein weiterer Grund für die Grenzöffnung sind die Interessen des Mutterlandes Türkei. Die Regierung in Ankara, die Denktashs Blockade-Politik bei den Verhandlungen mit Annan zumindest toleriert hat, ist daran interessiert, vom Status quo in Zypern wegzukommen. Denn nächstes Jahr wird darüber entschieden, ob die EU-Kommission den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befürwortet. Ohne Bewegung in der Zypernfrage ist nicht mit einem Ja der EU zu rechnen. Die gegenwärtige türkische Regierung unter Ministerpräsident Erdorgan weiß das - und sie will den EU-Kurs fortsetzen, auch wenn es in der politischen und militärischen Elite des Landes darüber durchaus geteilte Meinungen gibt.
Die Regierung der griechischen Zyprioten begriff anfangs nicht die historische Situation der Grenzöffnung. Sie warnte sogar ihre Bevölkerung davor, sich von der zyperntürkischen Administration Visa ausstellen zu lassen. Die Zyperngriechen scherten sich allerdings nicht um die legalistischen Kapriolen ihrer Regierung. Dennoch: Die Freude des Regierungssprechers Kyprios Chrisostomidis über die Grenzöffnung ist nach wie vor verhalten:
Es ist natürlich gut, dass sich jetzt alle Zyprioten auf Zypern frei bewegen können. Aber das Zypern-Problem ist damit nicht gelöst. Wir brauchen Zusammenarbeit, um eine praktikable Lösung für die Wiedervereinigung und den Abzug der türkischen Besatzungstruppen zu erreichen.
Die Zyperngriechen möchten möglichst sofort in Verhandlungen über den UNO-Plan eintreten. Solche Verhandlungen werden von der zyperntürkischen Seite allerdings abgelehnt. Sedar Denktash, hoher Politiker der Zyperntürken und Sohn ihres Führers Rauf Denktash:
Niemand redet jetzt über den Annan-Plan. Das kümmert niemanden. Jetzt gehen die Leute auf die andere Seite, um ihre Häuser oder alte Freunde zu sehen. Ich glaube, wir sollten die aufgesetzten Pläne einfach vergessen. Die Menschen beider Seiten werden allein eine gangbare Lösung finden.
Tatsächlich scheint im Augenblick die Zeit der einseitigen Maßnahmen zu sein. Sieben Tage nach der von Denktash verfügten Grenzöffnung hob die Regierung der Zyperngriechen die ökonomische Blockade gegenüber dem Norden auf. Bisher war jegliche Wirtschaftsbeziehung mit den Zyperntürken verboten. Von nun an sollen im Norden Zyperns hergestellte Produkte auch in den Süden und in die EU verkauft werden können. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob dies tatsächlich ernst gemeint ist. Bisher lehnte die Führung der Zyperngriechen Importe aus dem zyperntürkischen Norden entschieden ab. Schließlich könnten die landwirtschaftlichen Produkte aus Ländereien stammen, die griechischen Zyprioten gehörten. Öffentlich wiederrufen hat sie solche Propagandaargumentationen bisher nicht. Im Gegenteil: Mit der selben Begründung riet die Regierung der Zyperngriechen davon ab, im türkischen Teil in Hotels zu übernachten - diese könnten ja ehemals griechischen Zyprioten gehört haben.
Andere von der Regierung angekündigte Maßnahmen sind weniger umstritten. So sollen die Abschlüsse türkisch-zypriotischer Schulen und Hochschulen im Süden anerkannt werden. Bürger aus dem Norden werden ungehindert im Süden arbeiten dürfen. In den weiterführenden Schulen des Südens wird Türkisch Pflichtfach werden. An der Demarkationslinie wollen die griechischen Zyprioten ihre Anti-Personenminen räumen. Und schließlich schlagen sie vor, zu den Olympischen Spielen 2004 ein Team zu entsenden, dass auch türkische Zyprioten umfasst. Das Ziel der Maßnahmen beschreibt Regierungssprecher Chrisostomidis:
Die türkischen Zyprioten sollen in den Genuss aller Rechte kommen, die auch die griechischen Zyprioten haben, einschließlich des Rechts zu arbeiten, sich frei bewegen und Berufe ausüben zu können.
Ein Ende der jeweils einseitig erklärten vertrauensbildenden Maßnahmen ist damit wohl noch nicht erreicht. Am 9. Mai wird der türkische Ministerpräsident Erdorgan dem Norden Zyperns einen Besuch abstatten. Zeitungen spekulieren, dass er dann auch eine Reduzierung der gegenwärtig circa 35 000 auf Zypern stationierten türkischen Soldaten verkünden wird. In der Diskussion ist ebenfalls, einige Gebiete bei Famagusta an die Zyperngriechen zurückzugeben. Diese Gebiete sind, obwohl sie zum türkisch-zypriotischen Teil der Insel gehören, nicht bewohnt. Ihre Rückgabe wäre also nicht mit Umsiedlungen türkischer Zyprioten verbunden.
Trotz dieser vertrauenbildenden Maßnahmen scheut sich die griechisch-zypriotische Regierung bisher vor direkten Gesprächen mit der Führung der Zyperntürken. Deren Regierung wird nach wie vor als illegales Besatzungsregime angesehen, dessen Aufwertung oder gar Anerkennung unter allen Umständen verhindert werden müsse. Politisch behindert diese Haltung sicherlich eine Kooperation zwischen den Volksgruppen. Denn diese ist ohne die gewählten Repräsentanten nur schwer zu entwickeln.
Die bisher verkündeten Maßnahmen beider Seiten kommen einer kleinen Revolution gleich. 29 Jahre lang herrschte Misstrauen zwischen den Führungen und zwischen den Völkern. Jetzt kommen sich Hunderttausende Zyprioten aus den beiden Völkern menschlich näher. Die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen wird ebenfalls positive Auswirkungen haben, meint der Vertreter der EU-Kommission auf Zypern, Adrian van der Meer:
Die Aufhebung des Handelsembargos ist ein wichtiges Element, nicht nur für den freien Handel, sondern auch um Vertrauen auf der Insel zu schaffen.
So beginnen sich auf Zypern so etwas wie nachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Welche Dynamik entsteht, ist aber noch nicht abzusehen. Der Wiedervereinigungsplan von UNO-Generalsekretär Annan liegt zwar nach wie vor auf dem Tisch. Doch nicht nur Denktash lehnt ihn ab. Auch in der Bevölkerung auf beiden Seiten sind die Bedenken stark. Ein junger Zyperntürke meint:
Der Annan-Plan muss in Kraft gesetzt werden. Aber wir brauchen einige Veränderungen. Wir müssen als eigenständiger Staat anerkannt werden.
Eine Zyperngriechin:
Der Plan kann die Grundlage für Verhandlungen sein. Aber er ist nicht die Lösung selbst. Wir brauchen viele Änderungen.
Änderungen am Annan-Plan sind jedoch nur sehr schwierig zu erreichen. Denn der Plan ist ein ausgewogener Kompromiss. Versucht man einen Baustein zu verändern, ist das gesamte Gebäude einsturzgefährdet. Der Politologe Naisi Kisuljürek:
Es können bestimmte Sachen verhandelt werden, aber nicht große Änderungen. Was wir brauchen, ist ein politischer Wille zur Lösung, nicht einen Verhandlungsprozess.
Ein solcher Wille ist zumindest beim Führer der Zyperntürken Rauf Denktash gegenwärtig nicht vorhanden. Aber er muss sich im Herbst Wahlen stellen. Und vielleicht drängt die türkische Regierung, um ihrem Ziel einer EU-Mitgliedschaft näher zu kommen, auf eine umfassende Lösung. Doch selbst wenn es nicht zu solch einer vertraglich vereinbarten Wiedervereinigung kommt: Der Entspannungs-Frühling auf Zypern ist an sich schon eine gute Nachricht.
Ich möchte mein Haus wiedersehen. Auch wenn es kaputt sein sollte, ich möchte in mein Dorf gehen.
Ein türkischer Zypriote wartet in der anderen Schlange. Sein Ziel ist das gleiche.
Ich möchte die Orte wiedersehen, an denen ich früher gelebt habe. Das ist ein sehr glücklicher Tag.
Auf Zypern leben etwa 540 000 Zyperngriechen und 170 000 Zyperntürken. Die Insel ist seit 1974 geteilt. Damals putschten rechtsradikale griechische Zyprioten mit Hilfe der in Athen regierenden Militärjunta. Zum Präsidenten ernannten sie Nikos Sampson, der sich als brutaler "Türkenschlächter" einen Namen gemacht hatte. Als Antwort auf diesen Putsch und zum Schutz der Zyperntürken marschierte die türkische Armee auf Zypern ein und besetzte 37 Prozent der Insel. 170 000 Zyperngriechen wurden aus den besetzen Gebieten in den griechisch-zypriotischen Süden vertrieben. In umgekehrter Richtung flohen 50 000 Zyperntürken aus dem Süden in den türkisch-zypriotischen Norden.
Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen hat es allerdings schon vor 1974 gegeben. Erst 1960 ist die vormalige britische Kolonie Zypern selbstständig geworden. Doch die ausgehandelte, komplizierte Machtbalance zwischen den Zyperntürken und den Zyperngriechen zerfiel bald. Viele Zyperngriechen wollten die Wiedervereinigung mit Griechenland, was die Zyperntürken entschieden ablehnten. Zu Weihnachten 1963 überfielen zyperngriechische Extremisten türkische Zyprioten. Es entbrannte ein kurzer Bürgerkrieg, vor allem geschürt von den extremistischen Gruppierungen beider Seiten. Tausende von türkischen Zyprioten flohen aus bis dahin gemischten Dörfern und Stadtteilen in moslemische Viertel Nikosias und Gebiete an der Nordküste, die vorwiegend von Zyperntürken bewohnt waren.
Anders als im geteilten Deutschland gab es seit 1974 über die Demarkationslinie hinweg keine familiären Kontakte. Auch hat die Regierung der Zyperngriechen jeglichen Handel mit dem zyperntürkischen Norden verboten. Das dortige Regime rief die "Türkische Republik Nordzypern" aus, die aber nur von der Türkei anerkannt worden ist. Die Zyperngriechen taten alles, um die von ihnen als Besatzungsregime bezeichnete Administration international und wirtschaftlich zu isolieren. Der zyperntürkische Führer Denktash wiederum verbot seiner Bevölkerung 29 Jahre lang den freien Zugang zum anderen Teil des Landes.
Seit zwei Wochen strömen Zyperngriechen in den Norden, Zyperntürken in den Süden. Sie machen dabei oft bewegende emotionale Erfahrungen. Zwei griechische Zyprioten berichten nach dem Besuch in ihren alten Häusern, aus denen sie 1974 fliehen mussten:
Wir haben unser Haus gesehen. Es war sehr angenehm. Die Zyperntürken, die jetzt darin wohnen, haben uns sehr gastfreundlich empfangen, uns zum Tee eingeladen und gesagt, wir sollen bald wiederkommen.
"Sehr gut, sehr gut " sei es wieder hier zu sein, sagt ein 84 jähriger Zyperntürke. Er spricht griechisch, weil er bis 1974 im griechischen Teil Nikosias als Polizist gearbeitet hat. Nun sitzt er mit älteren Zyperngriechen im Kafeneion und fragt nach einem Kollegen, zu dem er seit 30 Jahren keinen Kontakt hatte.
Mein Freund ist zwar gestorben, habe ich erfahren. Trotzdem ist es schön, das Dorf nach so langer Zeit wiederzusehen. Es gibt viele neue Häuser und auch die Kneipe ist neu.
Die jungen Zyprioten, die ebenfalls in Scharen die Grenze passieren, sind vor allem neugierig. Der türkische Norden ist viel ärmer als der vor allem durch den Tourismus wohlhabende griechische Süden. Aber er hat Charme und Ruhe. Hier ist vieles um einiges billiger. Die griechischen Zyprioten spazieren durch die Städte und Dörfer und haben in Kneipen, Restaurants und Geschäften bisher umgerechnet über drei Millionen Euro ausgegeben - eine willkommene Einnahmequelle für den wirtschaftlich zurückgebliebenen türkisch-zypriotischen Norden.
Im zyperngriechischen Süden sind überall junge Familien und Gruppen von jungen Zyperntürken zu sehen. Sie gehen in die billigeren Schnellimbisse. McDonalds, das es im türkischen Norden nicht gibt, hat ein Umsatzplus von 60 Prozent gemeldet. Sie erkunden die Einkaufsläden und Konsumpaläste, wenngleich sie nur selten etwas kaufen.
Die Preise sind viel höher als auf der türkischen Seite. Aber die Shoppingcenter sind wirklich gut.
Mir gefallen die Geschäfte hier. Sie sind ganz anders als bei uns, so modern wie in England. Bei uns gibt es Läden wie Marks and Spencer oder Topshop nicht.
Die militärisch gesicherte Demarkationslinie war ein Symbol für Spannungen, eine ständige Erinnerung an Feindschaft und Gewalt zwischen den Volksgruppen. Die Grenzöffnung scheint den meisten Zyprioten eine große Last von der Seele genommen zu haben. Überall auf der Insel herrscht eine frohe Stimmung. Das Interesse, die andere Seite und die andere Volksgruppe kennnenzulernen, ist groß. Aber die zahlreichen Begegnungen zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken haben eine über das menschliche hinausgehende politische Bedeutung, meint der in Nikosia lehrende Politologe Naisi Kisuljürek:
Zypernfrage ist auch eine Frage danach, ob die Menschen zusammen leben können oder nicht - nach den ethnischen Konflikten. Und jetzt hat man gesehen, dass die Menschen sich sehr brüderlich wiedergetroffen haben.
Sie scheinen zusammenleben zu können - eine hoffnungsvolle Entwicklung. Dabei gab es noch vor zwei Monaten zu Hoffnungen überhaupt kein Anlass. Denn am 10. März waren die jüngsten und bisher intensivsten Bemühungen der UNO um eine Wiedervereinigung der Insel vor allem am Widerstand des Führers der Zyperntürken, Denktash, gescheitert. Da die Zyperngriechen und Zyperntürken nicht in der Lage waren, selbst in den Verhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen, hatte UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen umfassenden Plan zu Wiedervereinigung vorgelegt. Sein Ziel war es, bis April 2003 eine Wiedervereinigung unter Dach und Fach zu haben, damit das gesamte Zypern und nicht nur der griechisch-zypriotische Teil Mitglied in der Europäischen Union werden kann.
Der Annan-Plan stellt einen Kompromiss dar. Danach soll das neue vereinigte Zypern aus einer Föderation zweier weitgehend souveräner Teilstaaten mit einer schwachen Zentralregierung bestehen. Im Bundesparlament und im zukünftigen Präsidium sollen die türkischen Zyprioten große, weit über ihren proportionalen Anteil an der Bevölkerung hinausgehende Mitentscheidungs- und Vetorechte haben. Damit greift der Annan-Plan die Angst der Zyperntürken, von der griechischen Mehrheit einfach dominiert zu werden, auf und kommt ihrer Forderung nach Eigenstaatlichkeit entgegen.
Im Gegenzug soll das Territorium des zyperntürkischen Nordens von 37 Prozent der Insel auf 29 Prozent reduziert werden. Die große Mehrheit - nicht alle! - der 1974 geflohenen Zyperngriechen können, zum Teil etappenweise in den nächsten 15 Jahren, in ihre alte Heimat zurückgehen.
Beide Seiten hatten Bedenken gegen den Plan: Die Zyperngriechen wollten die Rückkehr von mehr Flüchtlingen erreichen, die Zyperntürken wollten weniger Land und damit weniger Umsiedlungen in ihrem Gebiet erzwingen. Letztlich lehnte Denktash den Annan-Plan ab. Auch zur Forderung des UNO-Generalsekretärs, den Plan zur Volksabstimmung vorzulegen, sagte er Nein.
Obwohl die Hauptschuld des Scheiterns Denktash und der ihn unterstützenden türkischen Regierung in Ankara zugeschrieben wird, ist auch die zyperngriechische Seite für den Fehlschlag mitverantwortlich. UNO-Generalsekretär Annan stellte in einem Bericht an den Sicherheitsrat fest:
Ich bedaure, dass die Zyperngriechen nicht mehr getan haben, um die Zyperntürken davon zu überzeugen, dass sie wirklich für eine Kompromisslösung sind. Insbesondere unter den Zyperngriechen gibt es eine starke Abneigung dagegen, zu akzeptieren, dass es letztlich nicht um die Alternative zwischen einem Kompromiss entsprechend meines Planes und irgendeinem 'besseren' Plan gab, sondern dass die Alternative war: Dieser Plan oder gar keine Einigung.
Noch im Februar, mitten in den Verhandlungen über den UNO-Plan, wählten die Zyperngriechen einen neuen Präsidenten: Tassos Papadopoulos. Er hatte im Wahlkampf seinem Konkurrenten, dem langjährigen Amtsinhaber Cleridis, eine zu nachgiebige Verhandlungsposition vorgeworfen und sich selbst als jemand profiliert, der dafür sorgen werde, dass alle zyperngriechischen Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurückkehren könnten.
Enttäuscht über das Scheitern der Verhandlungen waren vor allem die Zyperntürken. Eine breite Bewegung hatte sich in den vorangegangenen Monaten für die Wiedervereinigung der Insel und gegen die kompromisslose Haltung von Denktash eingesetzt. Bei der größten Demonstration waren 70 000 Menschen auf die Straße gegangen - jeder dritte Zyperntürke hatte daran teilgenommen.
Der Norden der Insel ist arm. In den Städten sind 6 von 10 Menschen, auf dem Land jeder vierte arbeitslos. Von einem EU-Beitritt eines wiedervereinigten Zyperns würden die Zyperntürken am meisten profitieren. Doch nach dem Scheitern der Verhandlungen stellte am 16. April in Athen nur der griechische Teil Zyperns den Antrag auf Aufnahme in die EU. Dass Denktash eine Woche später die Grenzen öffnete, hat mit diesem EU-Beitritt zu tun, meint der Politologe Kisuljürek.
Nach dem EU-Beitritt von Zypern hatten wir neue Voraussetzungen, das viele türkische Zyprioten rüberkommen wollten zum Arbeiten. Da hat er einen Schritt gemacht von sich aus, die Türen aufgemacht, weil sonst würden viele türkische Zyprioten einfach rüberlaufen, weil die Wirtschaftslage im Norden ist wirklich schlecht.
Denktash wollte dieser Entwicklung offensichtlich zuvorkommen - und damit gleichzeitig gegenüber der innenpolitischen Opposition Punkte machen. Denn im Herbst stehen im türkischen Teil Zyperns Wahlen an. Ohne einschneidende Maßnahmen, die den türkischen Zyprioten das Leben auf der geteilten Insel erleichtern, kann Denktash nicht mit einer Wiederwahl rechnen.
Ein weiterer Grund für die Grenzöffnung sind die Interessen des Mutterlandes Türkei. Die Regierung in Ankara, die Denktashs Blockade-Politik bei den Verhandlungen mit Annan zumindest toleriert hat, ist daran interessiert, vom Status quo in Zypern wegzukommen. Denn nächstes Jahr wird darüber entschieden, ob die EU-Kommission den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befürwortet. Ohne Bewegung in der Zypernfrage ist nicht mit einem Ja der EU zu rechnen. Die gegenwärtige türkische Regierung unter Ministerpräsident Erdorgan weiß das - und sie will den EU-Kurs fortsetzen, auch wenn es in der politischen und militärischen Elite des Landes darüber durchaus geteilte Meinungen gibt.
Die Regierung der griechischen Zyprioten begriff anfangs nicht die historische Situation der Grenzöffnung. Sie warnte sogar ihre Bevölkerung davor, sich von der zyperntürkischen Administration Visa ausstellen zu lassen. Die Zyperngriechen scherten sich allerdings nicht um die legalistischen Kapriolen ihrer Regierung. Dennoch: Die Freude des Regierungssprechers Kyprios Chrisostomidis über die Grenzöffnung ist nach wie vor verhalten:
Es ist natürlich gut, dass sich jetzt alle Zyprioten auf Zypern frei bewegen können. Aber das Zypern-Problem ist damit nicht gelöst. Wir brauchen Zusammenarbeit, um eine praktikable Lösung für die Wiedervereinigung und den Abzug der türkischen Besatzungstruppen zu erreichen.
Die Zyperngriechen möchten möglichst sofort in Verhandlungen über den UNO-Plan eintreten. Solche Verhandlungen werden von der zyperntürkischen Seite allerdings abgelehnt. Sedar Denktash, hoher Politiker der Zyperntürken und Sohn ihres Führers Rauf Denktash:
Niemand redet jetzt über den Annan-Plan. Das kümmert niemanden. Jetzt gehen die Leute auf die andere Seite, um ihre Häuser oder alte Freunde zu sehen. Ich glaube, wir sollten die aufgesetzten Pläne einfach vergessen. Die Menschen beider Seiten werden allein eine gangbare Lösung finden.
Tatsächlich scheint im Augenblick die Zeit der einseitigen Maßnahmen zu sein. Sieben Tage nach der von Denktash verfügten Grenzöffnung hob die Regierung der Zyperngriechen die ökonomische Blockade gegenüber dem Norden auf. Bisher war jegliche Wirtschaftsbeziehung mit den Zyperntürken verboten. Von nun an sollen im Norden Zyperns hergestellte Produkte auch in den Süden und in die EU verkauft werden können. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob dies tatsächlich ernst gemeint ist. Bisher lehnte die Führung der Zyperngriechen Importe aus dem zyperntürkischen Norden entschieden ab. Schließlich könnten die landwirtschaftlichen Produkte aus Ländereien stammen, die griechischen Zyprioten gehörten. Öffentlich wiederrufen hat sie solche Propagandaargumentationen bisher nicht. Im Gegenteil: Mit der selben Begründung riet die Regierung der Zyperngriechen davon ab, im türkischen Teil in Hotels zu übernachten - diese könnten ja ehemals griechischen Zyprioten gehört haben.
Andere von der Regierung angekündigte Maßnahmen sind weniger umstritten. So sollen die Abschlüsse türkisch-zypriotischer Schulen und Hochschulen im Süden anerkannt werden. Bürger aus dem Norden werden ungehindert im Süden arbeiten dürfen. In den weiterführenden Schulen des Südens wird Türkisch Pflichtfach werden. An der Demarkationslinie wollen die griechischen Zyprioten ihre Anti-Personenminen räumen. Und schließlich schlagen sie vor, zu den Olympischen Spielen 2004 ein Team zu entsenden, dass auch türkische Zyprioten umfasst. Das Ziel der Maßnahmen beschreibt Regierungssprecher Chrisostomidis:
Die türkischen Zyprioten sollen in den Genuss aller Rechte kommen, die auch die griechischen Zyprioten haben, einschließlich des Rechts zu arbeiten, sich frei bewegen und Berufe ausüben zu können.
Ein Ende der jeweils einseitig erklärten vertrauensbildenden Maßnahmen ist damit wohl noch nicht erreicht. Am 9. Mai wird der türkische Ministerpräsident Erdorgan dem Norden Zyperns einen Besuch abstatten. Zeitungen spekulieren, dass er dann auch eine Reduzierung der gegenwärtig circa 35 000 auf Zypern stationierten türkischen Soldaten verkünden wird. In der Diskussion ist ebenfalls, einige Gebiete bei Famagusta an die Zyperngriechen zurückzugeben. Diese Gebiete sind, obwohl sie zum türkisch-zypriotischen Teil der Insel gehören, nicht bewohnt. Ihre Rückgabe wäre also nicht mit Umsiedlungen türkischer Zyprioten verbunden.
Trotz dieser vertrauenbildenden Maßnahmen scheut sich die griechisch-zypriotische Regierung bisher vor direkten Gesprächen mit der Führung der Zyperntürken. Deren Regierung wird nach wie vor als illegales Besatzungsregime angesehen, dessen Aufwertung oder gar Anerkennung unter allen Umständen verhindert werden müsse. Politisch behindert diese Haltung sicherlich eine Kooperation zwischen den Volksgruppen. Denn diese ist ohne die gewählten Repräsentanten nur schwer zu entwickeln.
Die bisher verkündeten Maßnahmen beider Seiten kommen einer kleinen Revolution gleich. 29 Jahre lang herrschte Misstrauen zwischen den Führungen und zwischen den Völkern. Jetzt kommen sich Hunderttausende Zyprioten aus den beiden Völkern menschlich näher. Die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen wird ebenfalls positive Auswirkungen haben, meint der Vertreter der EU-Kommission auf Zypern, Adrian van der Meer:
Die Aufhebung des Handelsembargos ist ein wichtiges Element, nicht nur für den freien Handel, sondern auch um Vertrauen auf der Insel zu schaffen.
So beginnen sich auf Zypern so etwas wie nachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Welche Dynamik entsteht, ist aber noch nicht abzusehen. Der Wiedervereinigungsplan von UNO-Generalsekretär Annan liegt zwar nach wie vor auf dem Tisch. Doch nicht nur Denktash lehnt ihn ab. Auch in der Bevölkerung auf beiden Seiten sind die Bedenken stark. Ein junger Zyperntürke meint:
Der Annan-Plan muss in Kraft gesetzt werden. Aber wir brauchen einige Veränderungen. Wir müssen als eigenständiger Staat anerkannt werden.
Eine Zyperngriechin:
Der Plan kann die Grundlage für Verhandlungen sein. Aber er ist nicht die Lösung selbst. Wir brauchen viele Änderungen.
Änderungen am Annan-Plan sind jedoch nur sehr schwierig zu erreichen. Denn der Plan ist ein ausgewogener Kompromiss. Versucht man einen Baustein zu verändern, ist das gesamte Gebäude einsturzgefährdet. Der Politologe Naisi Kisuljürek:
Es können bestimmte Sachen verhandelt werden, aber nicht große Änderungen. Was wir brauchen, ist ein politischer Wille zur Lösung, nicht einen Verhandlungsprozess.
Ein solcher Wille ist zumindest beim Führer der Zyperntürken Rauf Denktash gegenwärtig nicht vorhanden. Aber er muss sich im Herbst Wahlen stellen. Und vielleicht drängt die türkische Regierung, um ihrem Ziel einer EU-Mitgliedschaft näher zu kommen, auf eine umfassende Lösung. Doch selbst wenn es nicht zu solch einer vertraglich vereinbarten Wiedervereinigung kommt: Der Entspannungs-Frühling auf Zypern ist an sich schon eine gute Nachricht.