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Das wahre Gesicht Shakespeares

Britische Wissenschaftler haben angeblich das wahrscheinlich einzige authentische Portrait Shakespeares identifiziert. Alle anderen Bilder wären somit entweder Fälschungen oder stellten eben jemand anderen dar. "Searching for Shakespeare" heißt eine Ausstellung in der National Portrait Gallery in London, die nun dieses einzig wirklich verlässliche Portrait zeigen will.

Von Walter Bohnacker |
    Shakespeares Totenmaske
    Shakespeares Totenmaske (AP)
    Geburtstag feiert die Galerie mit zwei großen Ausstellungen - und mit einem Spendenaufruf. In der einen Schau mit dem Titel "Ikonen und Idole" blickt man zurück auf die Porträtmalerei der letzten 25 Jahre. Im Mittelpunkt der anderen steht das wohl bedeutendste Bild im Besitz des Hauses: das so genannte "Chandos"-Porträt.
    Es wurde der Galerie in ihrem Gründungsjahr 1856 vermacht. Seither bildet es den Grundstock und Eckpfeiler ihrer Sammlungen. Im Katalog trägt es die Chiffre "NPG One". Heute ist "NPG Eins" die englische Ikone schlechthin. Schließlich zeigt es keinen anderen als William Shakespeare. Aber ist er's wirklich?

    Das Ölbild entstand irgendwann zwischen 1603 und 1610. Soviel steht fest. Gesichert ist heute auch, dass es im Lauf der Jahrhunderte mehrfach übermalt wurde und häufig seinen Besitzer wechselte. Es zeigt einen etwa 40-jährigen Mann mit kahler Stirn, fusseligem Bart und mit einem Ring im linken Ohr.

    Dieser Ohrring kam erst jetzt zum Vorschein: bei systematischen Röntgenuntersuchungen und radiologischen Datierungen durch die Kunstexperten der National Gallery. Sie wollten sich und der Shakespeare-Gemeinde Klarheit verschaffen, welches Porträt nun tatsächlich den Mann aus Stratford darstellen könnte und welche nicht. Schon lange hat man geahnt: Nicht allen Malern saß Shakespeare Modell.

    Anwärter auf das "wahre" Shakespeare-Bildnis gibt es fast so viele wie im Streit um die Autorschaft seiner Werke. Was die Malerei angeht, ist sich das Expertenteam in der National Gallery unter Leitung von Tanya Cooper relativ sicher. Der Dichter des "Hamlet" blickt uns, wenn überhaupt, nur auf dem "Chandos" entgegen. Alle anderen Kandidaten - sechs sind es insgesamt - scheiden aus:

    Die gelbe Pigmentfarbe des Ohrrings sei bis Mitte des 17. Jahrhunderts in Mode gewesen, danach nicht mehr, so Cooper. Dies an sich erlaube schon eine relativ genaue Datierung des Bildes. Hinzu komme die Kleidung des Porträtierten und die für die damalige Porträtmalerei typische ovale Einfassung des Oberkörpers.

    Keine Chance, als Shakespeare anerkannt zu werden, hat das nicht minder berühmte "Flower"-Porträt im Besitz der Royal Shakespeare Company, das immerhin die erste Folio-Ausgabe seiner Werke schmückt. Es erwies sich als eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert. Lediglich das Holz, auf dem es gemalt ist, stammt aus Shakespeares Zeit.

    Auch das "Grafton"-Bild ist nach Meinung der Experten aus dem Rennen. Es trägt als Aufschrift das Zeichen "W+S" und die Zahlen 24 und 1588. Jahr und Alter passen zwar auf Shakespeare, nur war der zur Entstehungszeit des Gemäldes mit einer fahrenden Theatertruppe unterwegs. Die Ausgaben für die teure Seide des Porträtierten hätte er sich zu jenem Zeitpunkt wohl kaum leisten können, vom Honorar für den Maler ganz zu schweigen.

    Zu nennen wäre auch die so genannte Davenant-Terracottabüste, die in einem Londoner Club aufbewahrt wird und schon lange als unecht galt. Die Mainzer Anglistin Hildegard Hammerschmidt-Hummel jedoch hält sie für echt: Sie müsse zu Lebzeiten des Dichters entstanden sein. Zu auffällig, so die Professorin, seien die Übereinstimmungen mit der Grabbüste Shakespeares, der in Darmstadt lagernden Totenmaske und dem "Chandos"-Porträt.

    Die Suche nach dem echten Shakespeare ist die Jagd nach einem Phantom, sie hat Züge eines kriminalistischen Puzzlespiels, mehr Handlungsstränge als jedes seiner Dramen und mindestens so viele Prätendenten wie am elisabethanischen Hof.

    "Wir haben zwar nicht den absoluten Beweis, dass der Herr mit dem Ohrschmuck wirklich der Gesuchte ist," sagt Tanya Cooper, "aber wir haben auch keinen, dass er's nicht ist."

    Die Untersuchungen sämtlicher in Frage kommenden Gemälde deuteten allesamt auf das "Chandos"-Porträt als das authentischste aller Shakespeare-Gesichter hin. Es sei sehr wahrscheinlich, dass wir ihm hier - und nur hier - in die Augen sehen.

    Trotz aller Indizien bleibt Shakespeare der große Unbekannte. Schon sein Freund Ben Jonson riet: Wer den "süßen Schwan von Avon" sucht, vertiefe sich lieber in die Stücke als in sein Gesicht. Will sagen: Jeder mache sich selbst sein Shakespeare-Bild, ob mit oder ohne Porträt.

    Und der Spendenaufruf? 1,6 Millionen Pfund werden benötigt für den Erwerb eines Porträts des Dichters John Donne. Im Unterschied zu dessen Zeitgenossen Will ist man sich in London ganz sicher: das ist wirklich John.


    "Searching for Shakespeare"
    National Portrait Gallery, London
    2. März - 29. Mai 2006
    www.npg.org.uk/live/woshakespeare.asp