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Das wahre Sommermärchen

Italien, Sommer 1990: Deutschland wird zum bisher letzten Mal Fußball-Weltmeister. Torwarttrainer Sepp Maier begleitet den Triumph vom ersten Tag an mit seiner neu gekauften Videokamera. Fast 22 Jahre später zeigt er seinen spektakulären Film erstmals der Öffentlichkeit – Titel: "We are the champions".

Von Wolf-Sören Treusch | 10.03.2012
    "Hier ist Sepp Maier."

    Kein geringerer als Reporterlegende Heribert Fassbender war von den Festivalmachern auserkoren, den Maier Sepp zu befragen. Aber er kam kaum dazu. Die Katze von Anzing schnappte sich das Mikro und gab es nicht wieder her.

    "Ihr müsst euch vorstellen: Diesen Film habe ich vor 22 Jahren gemacht. Heutzutage ein Videofilm machen, ist ja keine Kunst. [Gehst an den Computer hin, machst Schnitt, Schnitt, blubdiblub, einen Film draus, Musik, dann macht er einen.] Aber ich war drei Tage, drei Nächte dort gesessen, habe rum geschnitzt, von V8 auf Video umgepolt, Musik gemacht und Titel rein gemacht, ja, bist du denn blöd, habe ich mir gedacht."

    In Berlin gestern Abend traf er auf ein ungemein gut gelauntes und amüsierwilliges Publikum. Vor 22 Jahren war die Stimmung in der Nationalmannschaft wohl ähnlich, sonst hätte Sepp Maier das an manchen Stellen wie ein niedliches Heimvideo anmutende Werk bestimmt nicht drehen können.

    "Habe die Siegesfeiern alle gefilmt, aber ich habe natürlich meinen Kollegen, weil sie immer gesagt haben: ‚Sepp, was machst denn da’? – ‚Ja, filmen’. – ‚Für wen filmst du das? Willst das vielleicht verkaufen’? – ‚Nein’, habe ich gesagt, ‚wenn wir Weltmeister sind, kriegt jeder eine CD, und das könnt ihr nach 20, 25 Jahren wieder anschauen, und dann freut euch mal, dass Weltmeister geworden seit’. Ich bin es 74 gewesen, aber ich habe keinen gehabt, der gefilmt hat. Da sind Sachen dabei, die siehst du normal nie. Jetzt schauen wir uns den endlich einmal an."

    Und dann tauchen sie alle wieder auf, die Idole der späten 80er, frühen 90er Jahre: Pierre Littbarski, wie er sich im Trikot unter der Dusche einseift; Franz Beckenbauer im wenig vorteilhaften Polo-Shirt, Rudi Völler, wie er vor dem Spiegel seine Haarpracht ordnet, und Bundeskanzler Helmut Kohl, der einen Plastikbecher in die Kamera hält, während im Hintergrund die Jungens die Schampusflasche kreisen lassen. Und Lothar Matthäus, nackt, mit dem WM-Pokal vor dem Geschlecht. Weniger Distanz geht nicht, ganz anders als bei Sönke Wortmanns Sommermärchen-Film 2006."

    "Wenn Wortmann in der Kabine mit seinem Team drehte, dann haben die Jungens – den Bauch einziehen mussten sie nicht, denn sie waren austrainiert – aber die anderen Gerätschaften doch eher dezent zur Seite gepackt, während das bei Sepp schon reine Pornografie ist."

    "So ein Schmarrn."

    Sepp Maiers Videotagebuch vom Titelgewinn 1990 ist wahrlich kein filmisches Kunstwerk.

    Aber es ist authentisch und ehrlich, voll alberner Effektblenden und kruder Musikeinspielungen, kurzum: ein unschätzbares Dokument aus den Kindertagen des Videozeitalters. Dem Publikum in Berlin gefiel es."

    "Schön. Erfrischend."

    "Voll großartig. Sehr super. Und äußerst emotional. Ein großartiger Film."

    "Mir hat der super gut gefallen, sehr experimentelles Kino von Sepp Maier, sehr interessanter Einsatz von grafischen Elementen, und zwischendurch hätte man gedacht, es sei eher ein Landschafts- und Architekturfilm eines interessierten Beobachters, ne, aber toll."

    Ja gut, ich finde es schön, dass nach 22 Jahren noch so ein großes Interesse an dem Film besteht, und ich hoffe, dass demnächst Deutschland wieder Weltmeister wird, dass der Film nicht mehr so aktuell ist."