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"Das war damals geheim und das soll auch heute geheim bleiben"

Im deutschen Vancouver-Team stehen auch Athleten des ostdeutschen Wintersportzentrums Oberwiesenthal im Erzgebirge. Dort hat die Aufarbeitung der DDR-Altlasten nicht wirklich stattgefunden. Viele Ex-Stasi-Mitarbeiter sind weiter im Amt.

Von Thomas Purschke | 21.02.2010
    Im deutschen Vancouver-Team stehen auch Athleten des ostdeutschen Wintersportzentrums Oberwiesenthal im Erzgebirge, genannt seien nur Skilangläufer René Sommerfeldt oder Rodel-Olympiasiegerin Tatjana Hüfner. Dieser Tage ist der Sport in Oberwiesenthal wieder einmal von der Vergangenheit eingeholt worden.

    Wie anderenorts auch in der ehemaligen DDR hat die Aufarbeitung der Altlasten nicht wirklich stattgefunden. Viele der ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit sind weiter im Amt. Das ist die Erkenntnis aus einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung von Birthler-Behörde Chemnitz und sächsischer Landeszentrale für Politische Bildung in Annaberg über Stasi-Spitzel im einstigen SC Traktor Oberwiesenthal.

    Mehr als 3000 inoffizielle Stasi-Mitarbeiter waren im DDR-Leistungssport aktiv, circa 20 davon hat es nach jetzigem Forschungsstand im Sportclub Oberwiesenthal gegeben. Deren Führungsoffiziere befanden sich in der Stasi-Kreisdienststelle in Annaberg.

    Einer der prominentesten Stasi-Zuträger war Ernst Scherzer, der zu den besten alpinen Skifahrern der DDR gehörte und 1964 in Innsbruck 13. im Spezial-Slalom war. Als die DDR nach 1968 die Förderung des alpinen Rennsports einstellte, wurde er Trainer und, ab 1976, Wachs-Experte der DDR-Skisprung-Nationalmannschaft. Scherzer hatte sich im Juli 1977 zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit der Stasi verpflichtet. Sein Deckname lautete IM "Berg". Bis zum Mauerfall '89 lieferte er der Stasi Informationen über Athleten und Funktionärskollegen. Dazu heute befragt, räumt der inzwischen 72-jährige Scherzer seine Mitarbeit ein, "aus heutiger Sicht" sei dies ein "großer Fehler", sagt er.

    Auch ein anderer DDR-Alpiner von Weltklasse, Eberhard Riedel vom SC Traktor Oberwiesenthal, der 1961 in Adelboden in der Schweiz den Riesenslalom gewann, hatte sich im November 1962 schriftlich zur Zusammenarbeit mit der Stasi verpflichtet. Er war "Geheimer Informant" mit Decknamen "Winter". Allerdings wurde seit Juli 1963 zu ihm keine Verbindung hergestellt wegen seiner Kandidatur zur DDR-Volkskammer, in der er dann von 1967 bis 1971 Mitglied war.

    Stasi-Mitarbeiter "IM Richter" war auch der Rennschlitten-Olympiasieger von 1976, Dettlef Günther. Als Rodeltrainer beim SC Traktor Oberwiesenthal hatte er seit November 1976 für seine Spitzeldienste mehrfach Geldprämien kassiert.

    Oberwiesenthals Skisprung-Cheftrainer Joachim Winterlich, der langjährige Coach von Olympiasieger Jens Weißflog, hatte sich im März 1987 als IM "Hans Richard" bei der Stasi verpflichtet. Von September 1981 bis zum Juli 1982 hatte Winterlich laut Aktenlage die Bezirksparteischule der SED besucht. Handschriftlich quittierte Winterlich mit seinem Decknamen im Februar 1988 eine 100 Mark-Prämie aus – Zitat- "Anerkennung für die bisher gute Unterstützung anlässlich des 38. Jahrestages der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit". Hinweise auf eine Erpressung von Winterlich zur Mitarbeit durch die Stasi, die sein Ex-Schützling Jens Weißflog im November 2009 bei einer Podium-Diskussion im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig behauptete, sind in der Stasi-IM-Akte von Winterlich nicht enthalten. Heute betreut der 68-jährige Winterlich übrigens als Chefcoach die bulgarischen Skispringer.

    Zu erwähnen ist auch der dreifache Olympiasieger in der Nordischen Kombination Ulrich Wehling aus Oberwiesenthal, der laut Aktenlage von 1978 an konspirativ mit der Stasi zusammengearbeitet und auch über Kameraden berichtet hatte, auch wenn bis heute keine Verpflichtungserklärung aufgefunden wurde. Der SED-Mann Wehling, der später stellvertretender Generalsekretär des DDR-Skiverbandes wurde, ist seit 1992 beim Weltskiverband Sportdirektor für die Nordische Kombination.

    Die Stasi benutzte bei der Überwachung des Spitzensports in Oberwiesenthal neben Sportlern, Trainern, Pädagogen, Medizinern und Technikern auch linientreue Funktionäre. Darunter waren der langjährige Chef des Sportclubs Oberwiesenthal Lothar Werner, der von der Stasi als Gesellschaftlicher Mitarbeiter GMS "Werner" geführt wurde, sowie dessen Nachfolger Wolfgang Wernicke, der ab April 1986 bis zum Fall der Mauer als IM "Friedrich" Informationen lieferte.

    Bemerkenswert ist auch die Personalie des ab 1982 in Oberwiesenthal tätigen Club-Arztes, Klaus-Dieter Reißig, der für die Rennschlittensportler zuständig war. Reißig hatte sich im März 1983 als IM "Paul" zur konspirativen Zusammenarbeit mit der Stasi verpflichtet und dafür mehrere Geldprämien erhalten. Darauf angesprochen, entgegnet der heutige niedergelassene Arzt in barschem Ton: "Das war damals geheim und das soll auch heute geheim bleiben". Frei nach dem Motto: einmal Geheimnisträger, immer Geheimnisträger ?