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"Das war kein Holocaust"

Vertreibung und Flucht – ein dunkles Kapitel der jüdischen Geschichte in Spanien. Juden mussten sich nach 1492 entscheiden: Flucht oder katholische Taufe. Das muss man wissen, wenn man die heutige Reise des spanischen Kronprinzenpaars nach Israel verstehen will.

Von Hans-Günter Kellner |
    Francisco Franco spricht 1975 auf dem Platz vor dem Königspalast in Madrid zur Masse und gibt wieder einer internationalen Verschwörung von Juden und Freimaurern die Schuld an den Problemen im Land. Das Weltbild des ehemaligen spanischen Diktators war antisemitisch geprägt, sagt Diego de Ojeda, Leiter des Sephardischen Hauses in Madrid:

    "Franco hatte ein fast schon krankhaft ambivalentes Verhältnis zu den Juden. Er dachte, die Juden, die im spanischen Protektorat von Marokko lebten, seien die guten Juden. Sie waren sephardische Juden mit spanischen Vorfahren, halfen ihm zunächst in seinem Kampf gegen die marokkanischen Aufstände, einer von ihnen finanzierte sogar seinen Staatsstreich. Während die europäischen Juden für Franco alle Kommunisten waren."

    Die Sepharden sind Nachkommen der 1492 aus Spanien ausgewiesenen Juden. Viele von ihnen sprechen bis heute ein altes Spanisch und pflegen die religiösen Riten aus der alten Heimat. Die Franco-Diktatur ist auch einer der Gründe, weshalb Spanien und Israel erst vor 25 Jahren diplomatische Beziehungen aufgenommen haben:

    "Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, wurden Sanktionen gegen Spanien verhängt. Um sich aus dieser Isolierung zu befreien, versuchte Franco, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Israel lehnte das ab. Später baute Spanien noch unter Franco gute diplomatische Beziehungen zu den arabischen Staaten auf. Als Spanien 1978 demokratisch wurde, hatten wir ein sehr gutes Verhältnis zur arabischen Welt, aber keine Beziehungen mit Israel."

    Erst 1986, als Spanien der Europäischen Union beitrat, eröffnete das Land in Israel eine Botschaft. Der Antisemitismus ist damit jedoch nicht getilgt. So erklärten 2009 im Rahmen einer repräsentativen Umfrage fast 75 Prozent der Spanier, die Juden hätten einen zu großen Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte. Die Spanier wüssten zu wenig vom Judentum, was auch daran liege, dass sich die kleine aus höchstens 40.000 Menschen bestehende jüdische Gemeinde in Spanien kaum am öffentlichen Leben beteiligt, sagt Diego de Ojeda. Die Zahl ihrer Mitglieder wächst nur langsam und vor allem dank der Einwanderung aus Lateinamerika.

    Um dieses Unwissen vom Judentum zu bekämpfen, hat die Regierung 2004 das "Sephardische Haus" gegründet, dem Diego de Ojeda vorsteht. Ein Ziel: Spanisch-israelische Begegnungen fördern:

    "Es ist eine Schande. Uns ist heute kaum noch bewusst, dass Spanien zwei oder drei Jahrhunderte lang das Zentrum des Judentums auf der Welt war. Wir versuchen auch, den Alltag in Israel zu vermitteln. Hier kennt man nur den Nahost-Konflikt, in dem Israel nur als Aggressor gesehen wird. Wir wollen auch Dinge zeigen, die mit dem Nahost-Konflikt gar nichts zu tun haben: Homosexualität in Israel, die Religionskonflikte innerhalb der jüdischen Bevölkerung, das hohe Niveau israelischer Wissenschaft. All das kennt man hier kaum."

    "Öffentliche Diplomatie" nennt die spanische Regierung diese Strategie, für die es ähnliche Institutionen auch für die Beziehungen zu Amerika, Asien oder Afrika gibt. Teil dieser Diplomatie ist auch, hochrangigen Vertretern Israels einen Orden für die Verdienste um die spanisch-israelischen Beziehungen zu verleihen. Problematisch dabei: Der höchste Verdienstorden Spaniens ist der Orden von "Isabel der Katholischen", die als Begründerin des heutigen Spaniens angesehen wird. Sie ordnete 1492 allerdings auch die Ausweisung aller Juden an:

    "Das ist eine komplizierte Geschichte. Israelische Vertreter haben den Orden auch schon zurückgewiesen. Aber man darf es sich nicht zu einfach machen: Das ist kein Adolf-Hitler-Orden. Wir reden von Dingen, die vor 500 Jahren passiert sind. Das war kein Holocaust, kein Versuch, die Juden auszurotten. Für die Spanier ist Isabel von Kastilien keine fürchterliche Königin, von der wir uns lossagen müssten. Ihr Mann Fernando von Aragón war Sohn einer konvertierten Jüdin. Es gibt Theorien, nach denen auch Kolumbus Jude war. Die Dinge sind nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick aussehen."

    Auch beim Staatsbesuch des spanischen Thronfolgers Prinz Felipe von Asturien mit Prinzessin Lätitia wird Diego de Ojeda dabei sein. Welche konkreten Projekte für das Sephardische Haus er dabei besprechen wird, will er allerdings nicht verraten.