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Das weibliche Auge

Lotte Jacobi war eine junge, moderne Frau. Sie fotografierte Menschen in ihrem eigenen Stil, wartete nicht auf den passenden Moment. Im Käthe-Kollwitz-Museum in Köln sind Fotos von ihr ausgestellt.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Von da ist es gar nicht so weit in die modernen Aufbrüche der 20er-Jahre, die nicht so gold waren, natürlich nicht, aber der kurze Aufbruch der Moderne, bevor Krise und politische Radikalisierung so viel kaputtmachten, der war schon enorm im Verhältnis zur gerade erst vergangenen Kaiserzeit. Und dieses Gefühl spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen, wenn man die Fotos von Frauen mit kurzen Röcken und Haaren sieht, die bartlosen und plötzlich viel jungen Männer. Einige von ihnen jedenfalls sehe ich hier im Katalog von Lotte Jacobi, sie hat solche Menschen fotografiert. In Köln ist jetzt eine Werkschau dieser bekannt unbekannten, könnte man sagen, Fotografin zu sehen.

    - Christiane Vielhaber, Sie haben die Ausstellung gesehen. Was ist denn da in erster Linie wichtig bei Lotte Jacobi, die ja über viele Jahrzehnte fotografiert hat?

    Christiane Vielhaber: Wichtig ist vielleicht zu Anfang doch ihr Credo, dass sie gesagt hat, mein Stil ist der Stil der Menschen, die ich fotografiere. Und insofern gibt es von Bild zu Bild keinen Moment des Wiedererkennens eines Stiles, sondern den größten Spaß macht das Wiedererkennen der Menschen, die man da sieht. Ob das jetzt der Ausdruckstänzer Harald Kreutzberg ist oder ob das Heinrich George ist, der auf den Schultern eben nicht den kleinen Schumi hat, sondern den älteren Bruder von Schimanski. Oder ob man Lil Dagover im Taxi sieht und dann hat sie da so eine Art Wolfsspitz und dann ist sie so im Porträt und auf der anderen Seite ganz lässig Lotte Lenya mit diesem Bubikopf und dann raucht die so ganz frech. Oder später dann in Amerika dieses Bild von Albert Einstein, wo er mit so einer zerknautschten Lederjacke sitzt. Wir kennen entweder das Bild, wo er einem die Zunge rausstreckt oder so diesen Wissenschaftler mit diesen wirren Haaren, aber das - und in der Hand hat er dann auch noch einen Füllfederhalter - sind so Sachen, wo sie auch selber sagt, sie ist keine Fotografin gewesen, die den entscheidenden Moment gesucht hat, sondern sie hat einfach die Leute vor der Kamera agieren lassen.

    Novy: Porträts also und Leute aus ihrer, man könnte ja sagen, eigenen Szene, wenn das Künstler waren in der Mehrzahl?

    Vielhaber: Ja, zunächst mal: Sie war in der dritten Generation einer Fotografenfamilie, die aus Westpreußen kam, die dann nach Berlin gegangen sind. Und in Berlin hatten sie ein Studio für Porträtfotografie. Und dann hat sie ganz schnell das Glück gehabt, für Ullstein Pressefotos zu machen. Sie war also wirklich Backstage. Wir sehen, wie sie bei Emil Jannings hinter die Bühne kommt, wo der sich gerade schminkt. Sie war also wirklich ganz nah dran und sie machte auch das, was wir heute vielleicht Homestories nennen. Zum Beispiel die Familie Zuckmayer, die sich da präsentiert mit den beiden Kindern wie so eine Akrobatenfamilie. Also, sie hat den Leuten die Chance gelassen, nicht unbedingt eine Pose einzunehmen, aber sie hat ihnen nicht ihren Stil aufgezwungen.

    Novy: Sie war eine moderne, junge Frau für damalige Verhältnisse, also auch etwas, was neu war. Ich sehe hier auch das bekannte Bild von Klaus und Erika Mann. Erika Mann mit ihren kurz geschnittenen Haaren und die beiden sind sich so ähnlich wie zwei Jungs.

    Vielhaber: ..., wo man eigentlich nicht sagen kann, welches ist Mädchen, welches ist Junge.

    Novy: Genau dieser Typus also. Lotte Jacobi musste emigrieren, 1935 ging sie nach Amerika. Und wie ging es ihr denn da? Als Fotografin müsste sie es zumindest etwas einfacher gehabt haben als als Autorin.

    Vielhaber: Es ging ihr ganz, ganz schlecht, denn das, was sie machte, war in Amerika nicht gefragt. Also diese Fotografie, die sie für die Illustrierten, für die Presse gemacht hat. Sie hat sich mit ihrer Schwester, die auch nachkam – und sie war alleinerziehend; sie war kurzfristig mit einem Holzhändler verheiratet, das ging aber gar nicht gut, sie hatte also auch den Sohn mit, die Mutter kam später nach nach New York -, sie hat sich durchgeschlagen, indem sie Hochzeitsfotos und so kleine Porträts machte. Aber das, was sie wirklich konnte, das war nicht gefragt, da waren die Amerikaner offenbar schon weiter und hatten einen ganz anderen Stil. Und sie hat dann versucht, mit experimenteller Fotografie, also Fotografie ohne Kamera, in der Dunkelkammer, ein bisschen an die abstrakte Kunst heranzukommen, und das hatte ein bisschen Erfolg, dass sie auch dann dort ausstellen konnte. Erst spät wurde sie eigentlich mit Ausstellungen geehrt. Oder hat dann auch erst spät – sie ist mit 93 gestorben, das ist ja auch was Tolles – den Ernst-Salomon-Preis gekriegt.
    Sie war aber ihr Leben lang engagiert, politisch engagiert. Sie kriegte zum Beispiel für das Porträt von Ernst Thälmann das Visum für Russland, was damals sehr schwierig war. Und hat dann da fotografiert. Sie hat auf der einen Seite dann in Usbekistan oder Tadschikistan die islamisch verschleierten Frauen, auf der anderen Seite die sozialistischen kämpfenden Frauen, die schon viel weiter waren, fotografiert. Und sie hat zum Beispiel auch mit Jimmy Carter für die Demokraten gegen den Vietnam-Krieg dann noch in Amerika gearbeitet.

    Novy: Also eine Frau mit einem vielseitigen Leben. Lotte Jacobi – ihre Fotografien sind jetzt in Köln zu sehen. Vielen Dank, Christiane Vielhaber.

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