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Das Weinhandelsabkommen und seine Folgen

Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken, fand Goethe und für Robert Louis Stevenson war Wein gar Poesie in Flaschen. Dass Wein stattdessen auch Chemie in Flaschen sein kann, zeigte so mancher Weinskandal der Vergangenheit. Nach dem jetzt ratifizierten Weinabkommen zwischen den USA und der EU dürfen bald auch in Europa biochemisch durchdesignte Flüssigkeiten als Weine verkauft werden, wenn sie denn so ähnlich schmecken. Welche Wahrheit liegt da noch im Wein?

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Mehr als 2000 Jahre lang hat die Menschheit nicht gewusst, wie Wein entsteht, und doch jeden Tag davon getrunken. Der Traubenwein ist das Getränk des Abendlands, er bildet eine kulturelle Traditionslinie, die sich erhalten hat wie wenig anderes und die Europa definiert. Denn hier, auf diesem Boden, wurde der Rebstock schon in der Antike kultiviert und kultisch verehrt. Die Götter Dionysos und Bakchos zeugen von der spirituellen Dimension der Weinerzeugung und des Weingenusses; später stellten sich die christlichen Kirchen in diese Überlieferung, indem sie dem Wein beim Heiligen Abendmahl eine zentrale Rolle zuwiesen.

    Diese sakrale Dimension hängt mit den wunderlichen Vorgängen zusammen, welche die Weinerzeugung und den Weingenus begleiten. Wenn die Trauben gekeltert sind und der Saft im Fas ist, beginnen in der Tat geheimnisvolle Dinge. Ganz ohne fremdes Zutun wird die Flüssigkeit auf einmal warm, sie zischt und brodelt, und es scheint, als ob ein Geist in sie gefahren wäre. Derselbe Geist richtet später in den Köpfen der Weintrinker seltsame Veränderungen an. Das alles konnten sich die Menschen nicht erklären, bis Chemiker und Biologen im 19. Jahrhundert die alkoholische Gärung entzauberten.

    Von da an hielt bei Weinbauern und Kellermeistern die Technik Einzug. Altes Erfahrungswissen verband sich mit moderner Grundlagenforschung zu wirklichem ästhetischem Fortschritt. Denn die Weine wurden auch geschmacklich immer besser. Während die alten Völker noch mit Honig und Anis nachwürzen mussten, um etwas halbwegs Genießbares zu erhalten, brachten die neuen wissenschaftlichen Methoden der Weinbereitung Außerordentliches zur Entfaltung. Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchte die Weinkultur in die Sphäre des Artistischen ein; seither kann man einen großen Wein rezipieren und kritisieren wie ein großes Kunstwerk. Ein ganzes Fachvokabular wurde geschaffen, um diesen weinkunstkritischen Diskurs zu ermöglichen.

    Dabei hat sich ein Rest an Metaphysik, nachdem sie aus Weinberg und Keller vertrieben wurde, in diesem subtilen Bereich der Aromen erhalten. Man kann zwar mittlerweile bei jedem Wetter und in jedem Jahr robuste Standardweine erzeugen, aber die hohe Kunst des Geschmacklichen verlangt gerade jene Noten, deren Entstehung auf Unwägbarkeiten beruht. Genau dies ist die Wegscheide, an der die Weingeschichte heute angekommen ist.

    Dank großer Fortschritte in Biochemie und Kellereitechnik gibt es keine schlechten Jahrgänge mehr. Dank weltweiter Transportverbindungen stehen Weine aus Chile, Australien und Südafrika in jedem deutschen Supermarkt. Dank dreißigjähriger Gourmet-Erziehung verstehen die Deutschen heute mehr vom Wein als je zuvor. Trotzdem werden Liebhaber und Kenner der Materie immer unglücklicher und nervöser, denn mit der begrüßenswerten Verbesserung der Durchschnittsqualität geht eine grauenhafte Verdurchschnittlichung des Geschmacks an sich einher.

    Mehr noch: Es stehen mittlerweile Technologien zu Gebote, um die Geschmacksnuancen derart zu manipulieren, dass man schon von synthetischem Wein sprechen kann. Es geht nicht mehr nur um die Zugabe von Eichenholzchips, um den typischen Barrique-Ton frischer Fässer zu simulieren, sondern um die komplette chemophysikalische Zerlegung und Rekomposition einer aus Alkohol, Wasser und Aromen bestehenden Flüssigkeit. In den Vereinigten Staaten sind solche Methoden zugelassen; aufgrund des mit der EU geschlossenen Abkommens werden sie es künftig auch bei uns sein.

    Die Entwicklung des Weins war immer vom Kampf der Kultur gegen die Natur geprägt. Jetzt unterwirft die Zivilisation die Weinkultur. Handel und Industrie transformieren den Wein zur globalen Massenware und rauben ihm so den metaphysischen Charakter, durch den er die Menschheitsgeschichte jahrtausendelang prägte. Doch Kultur, das lässt sich an dem Szenario exemplarisch lernen, lässt sich so nicht klein kriegen. Im Gegenteil, sie gedeiht gerade im Kleinen prächtig. So wird es unter dem Horizont der weitweiten Wein-Macdonalidisierung eine Subkultur der Qualität geben. Gleichsam im Untergrund entstehen kleine Märkte, auf denen die Kultur der Verschiedenheit und Einzigartigkeit gepflegt wird.