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Das Weiß des Cy Twombly

Cy Twombly, der malende Dichter, hat sich selbst als "romantischen Symbolisten" bezeichnet. Der Kunsthistoriker Richard Leeman hat sich mit einer ebenso eindringlich geschriebenen wie opulent bebilderten Monographie dem 77-jährigen amerikanischen Künstler genähert. Zu sehen gibt es in "Cy Twombly. Malen, Zeichnen, Schreiben" die für Twomblys Werk prägenden Themen.

Von Gido Graf | 24.04.2006
    Je mehr Aufmerksamkeit er bekommt, umso zurückhaltender wird der 77-jährige amerikanische Künstler Cy Twombly. Schon seit den 60er Jahren lebt er zurückgezogen in Italien in einem Haus über dem Tyrrhenischen Meer. Zweifellos ist er einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart.

    Geboren als Edwin Parker Twombly Jr. in Lexington, Virginia, wurde er Cy gerufen, nach einem legendären Baseballspieler. Doch mit Sport hatte der Junge nie viel am Hut. Die Welt öffnete sich für ihn, als er 1952 mit seinem Kommilitonen Robert Rauschenberg nach Italien und Nordafrika reiste. In New York hatte der ältere Malerkollege ihm aufgetragen, in Marokko Paul Bowles aufzusuchen. In Tanger dann erhielt Twombly dann von Bowles eine Nachricht für Truman Capote, der gerade in Rom an einem Film arbeitete. In einem Brief aus der Zeit schreibt Twombly:

    "Es ist schwierig von den vielen vielen Dingen zu erzählen, die ich gesehen und erlebt habe - nicht nur, was Kunst und Geschichte angeht, sondern auch die Poesie des Menschlichen, und die Bedeutung des Vergänglichen. Ich werde immer die Kraft und die Begeisterung zu arbeiten aus dieser Zeit schöpfen können. Ich sehe jetzt klarer und das erst recht in Bezug auf das, was ich hinter mir gelassen habe. Es ist wie ein gewaltiges Erwachen, wo man mit einem Mal auf viele wunderbare Räume in einem Haus stößt, von dem man nicht wusste, dass es das überhaupt gibt."

    Und genau diese Räume öffnen sich dem, der die rätselhafte Graffiti auf Cy Twomblys Bildern zu entziffern versucht, der seine totemhaften weißen Skulpturen betrachtet. Es ist als würde man dem schöpferischen Akt in einem noch ganz archaischen Zustand beiwohnen können. Ein erregender Rhythmus, ein existenzieller Pulsschlag, den eindrucksvoll nun der Kunsthistoriker Richard Leeman mit einer ebenso eindringlich geschriebenen wie opulent bebilderten Monographie über Cy Twombly vorführt.

    Zu sehen und zu lesen gibt es die für Twomblys Werk prägenden Themen: sein Interesse an Ritualen und Mythologie, Twombly als dichtenden Maler, bei dem Kritzeln, Malen und Schreiben ständige Metamorphosen eingehen. Bilder, die gewalttätig, erotisch und ganz still in einem sein können. Twomblys melancholische Sinnlichkeit hat ganze Künstlergenerationen beeinflusst.

    In Houston, Texas, gibt es inzwischen ein eigenes Museum für Cy Twombly. Vor ein paar Jahren stieß ein überraschter Museumswärter auf eine Französin, die vor dem größten Gemälde der Sammlung stand, 4 mal 16 Meter, einer riesigen Allegorie auf die Vergänglichkeit, übersät mit zeichenhaften Strudeln, hingeworfenen Versfragmenten von Catull und explodierenden Farbsträußen - sie stand da, sichtlich begeistert und vollständig nackt. Als er davon hörte, sagt Twombly, hat ihm diese Wirkung seines Bildes sehr gefallen.

    Das Bild ist eine Passage, so Twombly. Es zeigt auch den Übergang der Jahreszeiten und damit - wie seit Jahrhunderten in der Malerei - auch die Lebensalter des Menschen. Der römische Dichter Catullus verlässt auf einem Schiff die Küste Kleinasiens, fährt davon in den Nebel seiner letzten Jahre. Ein weißer Raum der Trauer und des Anfangs, das Weiß einer Leere, in der alles aufgehoben ist, was verloren schien.

    "Weiß kann der klassische Zustand von Intellekt sein oder ein neuromantisches Gefilde der Erinnerung - oder das symbolische Weiß Mallarmés."

    Außer Mallarmé, den Cy Twombly wiederholt in Bildern und Zeichnungen zitiert, hätte er hier auch noch Herman Melville nennen können, der in seinem "Moby Dick" die "zauberische Gewalt der weißen Farbe" untersucht hat. Anfang der 50er Jahre, als Twombly das Black Mountain College besuchte, war einer der Lehrer, der für seine gesamte künstlerische Entwicklung prägend sein sollte, der Dichter Charles Olson. 1952 schrieb Olson über Cy Twombly

    "Es kam ein Mann daher, der sich mit der Weiße abgab. Und mit dem Raum. Er war Amerikaner. Und vielleicht steckte sein Genie vor allem in der Unschuld und weniger in der nunmehr notwendigen Reinheit. Wie auch immer, er blieb unverstanden."

    Olson erkannte in Twombly Malerei eine Art umgekehrter Archäologie: die eigenen Erfahrungen, Sehnsüchte, die eigene Zerrissenheit sucht Twombly im Unmittelbaren der Gegenstände, der Farbe, des Kritzelns, in der malerischen Geste und er sucht sie im Archaischen, im Mythos, der einen Raum öffnet, den man nur im kreativen Akt betreten kann. Das bestimmende Weiß vieler Bilder Twomblys wird von heftigen Farbgesten durchbrochen und immer wieder sind Schriftzüge mit Namen oder Fragmenten von Sätzen hineingeritzt. Roland Barthes hat in den 70er Jahren darüber geschrieben:

    "Die Schrift von Twombly lässt sich entziffern, aber nicht interpretieren; mögen die Striche als solche auch präzise, abgesetzt sein; sie haben nichtsdestoweniger die Funktion, dieses Vage wiederzugeben, das Twombly in der Armee daran hinderte, ein guter Entzifferer militärischer Codes zu sein."

    Während seiner Zeit beim Militär - dafür musste er das Studium am Black Mountain College unterbrechen - war Twombly zum Chiffrierdienst abgeordnet. Richard Leeman weist darauf hin, dass diese Arbeit anders als oft behauptet für Twombly keineswegs Inspiration für seine "Kryptogramme" gewesen ist. In dieser Zeit ist die für Twombly so charakteristische Strichführung entstanden: Linien, wuchernde Linien, eine Hand, die sich wie blind im Zeichnen und Kritzeln verselbständigt hat, ganz so, also würde er nicht schauen, was er macht. Und in dieser Preisgabe, in diesem scheinbar kontrollosen Kritzeln sind die Auswirkungen der Beschäftigung im militärischen Chiffrierdienst durchaus zu sehen - wenn auch anders als zumeist angenommen: Der Militärdienst, so berichtet Richard Leeman, bedeutete für Twombly, einem unerträglichen Druck ausgesetzt zu sein. Zeitweilig wurde er sogar unter psychiatrische Beobachtung gestellt und im August 1954 wegen Angstzuständen aus dem Dienst entlassen. Man kann Twomblys malerische und zeichnerische Anfänge also auch als Versuch sehen, diese Ängste zu verarbeiten und mit großer Intensität einen natürlichen Zusammenhang von Ausdruck und sinnlicher Erfahrung zu finden.

    "Der kleinste Punkt erzeugt eine Spannung mit etwas anderem. Jede Markierung, jedes Motiv befindet sich in einer natürlichen Position. Ich sehe also nichts, was daran willkürlich oder künstlich wäre. Für mich wirkt es so, als sei es ganz natürlich zustande gekommen, und genau das versuche ich auch zu erreichen."

    Twombly, der malende Dichter, hat sich selbst als "romantischen Symbolisten" bezeichnet. Die Bedeutung der Farbe Weiß, das mediterrane Licht: bis hin zu seinen neuesten Arbeiten hat sich Twombly immer wieder auf dieses helle Licht bezogen - und damit auf einen Bedeutungsraum, den er mit seinen Bildern erweiterte. Ein unbetiteltes Werk von 1993 zitiert Fragmente dreier Gedichte von Giorgos Seferis und da findet sich ein Leitmotiv Cy Twomblys: "Im wesentlichen ist der Künstler eine Angelegenheit des Lichts."

    "Für mich ist die Vergangenheit die Quelle, denn alle Kunst ist im wesentlichen zeitgenössisch."

    Das Bild, vor dem sich die Ausstellungsbesucherin in Houston entkleidete, wird in Richard Leemans Monographie - und das ist eines der herausragenden Kapitel - ausführlich besprochen. Und Leeman vernetzt das monumentale Werk mit zahlreichen anderen Bildern, er interpretiert nicht, sondern versucht behutsam zu entziffern, was sich über den Vergleich erschließt. Er zeigt wie das Schiffsmotiv zusammen mit Licht und Wasser die melancholische Grundströmung in Twomblys Werk trägt, die Gegenwart des Todes gemahnt - so, wie Twombly auch in einer seiner kleinen Apologien schreibt:

    "Sind Sie je in Arkadien gewesen? In einem Dorf sah ich eine junge Frau weinen. Sie hörte auf und begann von neuem. Ihre Knie gaben nach; sie mußte von anderen Dorfbewohnern gestützt werden. Sie hatte gerade ihren Mann verloren, der wenige Tage nach ihrer Trauung bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Sie würde keinen anderen Mann mehr finden, denn sie war ja nicht mehr unberührt. Ihr ganzes Leben war bereits tragisch geworden."