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Das Who's who peinlicher Personen

Die deutsche Publizistik hat einen Übervater, dessen Name lautet: Karl Kraus. Um genau zu sein: die deutsche Kolumnistik. Wer immer hierzulande ein Revier in Zeitungen oder Zeitschriften beansprucht, in dessen Gemarkungen er regelmäßig zum Rundumschlag anheben kann, der steht – bewußt oder unbewußt – in der Tradition des intellektuellen Wiener Schmäh. Bloß: Wiener sind sie alle nicht, die Gremlitzas und Billers dieser Welt, weswegen ihre Verbalinjurien meist tatsächlich wie ebensolche klingen, der Beschimpfung näher als dem Schmäh, und Schmäh ist etwas Besonderes. Ganz oben auf jede Beleidigung packt er eine so große Portion Schlagsahne, daß darunter jede Gegenwehr erstickt. Die deutsche Kolumnistik hat also nicht nur einen Übervater, sondern auch ein Problem. Es ist ihre ungebremste Aggressivität, die nicht milder wird, wenn man sie mit dem Wörtchen "Polemik" verziert. Irgendwie klappt der Sex nicht; will sich hierzulande Humor mit Empörungslust paaren, kommt immer Empörung raus.

Florian Felix Weyh |
    Nun erscheint im zweiten Jahr das "Who's who peinlicher Personen", ein Karl-Kraus-inspirierter Sammelband prominenter Fettnäpfchensucher, und auf den ersten Blick erscheint dies billig. Sich über Guildo Horn, Roberto Blanco oder Dieter Bohlen zu mokieren, ist wahrlich keine Leistung, denn ihr Auf- und Danebentreten fallen exakt zusammen, es gibt keinen vernünftigen Maßstab für Peinlichkeit im Musikgeschäft. Auch Fußballtrainer und ihre Untergebenen sind in rhetorischen Kategorien kaum benotbar; viel schlimmer als ihre Stilblüten wäre ja, befleißigten sie sich eines gediegenen bildungsbürgerlichen Habitus. In diesem Sinne wundert es schon, daß Otto Rehagel – der Thomas Mann unter den Sportfunktionären – keine Aufnahme ins Pantheon der peinlichen Personen gefunden hat. Doch gemach – wirklich ergiebig wird dieser Almanach erst beim Blick auf die wahren Täter des geschriebenen und gesprochenen Unsinns, die Medien- und Kulturbetriebsarbeiter. Peinlich sind in diesem Jahr: Augstein, Aust, Biller, Diederichsen, Dönhoff, Funk, Grass, Haffmans, Hage, Hochhut, Horx, Jauch, Karasek ... und so weiter. Gut ein Drittel des versammelten Personals stammt aus den Höhenzügen angemaßter Eloquenz, und da wird es naturgemäß besonders pikant, vergleicht man Anspruch mit Ausspruch. Es ist ja durchaus anstrengend, tagein, tagaus im Rampenlicht zu stehen, gerade wenn man das immer gewollt hat. Eitelkeit und Sorglosigkeit schläfern die Wachsamkeit ein, und schon läuft man der Brigade Bittermann vor die gespitzten Federn. Dabei exhumiert diese Lexikonparodie sogar manch längst vergessenes Literatursternchen und sorgt erst für den richtigen Bekanntheitsgrad. Wer kennt denn Gabriele Kachold-Stötzer noch, eine feministische Autorin aus Erfurt, die um 1989 kurze literarische Aufmerksamkeit erfuhr? Als "peinliche Person" qualifiziert, kehrt sie in die Arena zurück. Wie heißt es im Sinne des Schmähs? Am schlimmsten, wenn die Leute gar nicht über einen reden.

    Doch wie wird geredet im "Who's who peinlicher Personen"? – Übel, sarkastisch, oft ein bißchen plump und meist zu ausschweifend. Im echten "Who's who" kommt niemand über vierzig Zeilen hinaus, hier sind derart pointierte Glossen selten, etwa wenn der Spiegel-Redakteur Reinhard Mohr als jemand geoutet wird, der eigene, anonym verfaßte Kabarettexte öffentlich lobt. Das ist genau der Klatsch, den man eigentlich lesen möchte, und der nimmt nur acht Zeilen ein. Die Methode Kraus, Zitate sich selbst entlarven zu lassen, wird leider allzu häufig durch die Methode Biller ersetzt, schaumschlägerisch mit Adjektiven um sich zu werfen. Nur haarscharf schrammt der Beitrag über Biller an der Methode Biller vorbei – Polemik ist ein zweischneidiges Schwert, weswegen die Autorengruppe des Bandes Anonymität vorzieht. Zwar versammelt Klaus Bittermann als Herausgeber einen "wissenschaftlichen Beirat", aber wem welche bösen Worte entfleuchten, bleibt unkenntlich. Mindestens zwei aus dem Kreis, Wiglaf Droste und Roger Willemsen, hätten gute Karten, selbst ins Lexikon Eingang zu finden, und eigentlich ... eigentlich gehört Bittermann als erster hinein. Peinlichkeiten zu bündeln und als Buch zu verkaufen, ist – peinlich. Brigade Bittermann – üben Sie Selbstkritik!