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"Das wird eines der besondersten Museen der Welt!"

In der Türkei soll ein neues Museum in Diyarbakir zu einer dauerhaften Begegnungsstätte mit der wechselhaften Geschichte der Stadt werden. An Alter und Ehrwürdigkeit ist Diyarbakir kaum zu übertreffen, aber auch die finstersten Kapitel des Kurdenkonflikts fanden hier statt.

Von Susanne Güsten |
    Ein Löwe krallt sich im Rücken eines fliehenden Stieres fest und schlägt ihm die Reißzähne in den Nacken – ein Entrinnen gibt es nicht. Artukidische Steinmetze haben die Szene im 13. Jahrhundert in den Basaltbogen gemeißelt, der den Eingang zur Zitadelle von Diyarbakir bildet. Die Warnung ist noch so eindeutig wie vor 800 Jahren, als die Artukiden von dieser Zitadelle aus über Nordmesopotamien herrschten, und fast ebenso aktuell: Noch vor kaum mehr als einem Jahrzehnt wurden hier in der Zitadelle wehrlose Menschen von der Staatsgewalt eingesperrt, gefoltert und getötet, erinnert sich Nevzat Özgen, ein Einwohner von Diyarbakir, dessen Vater hier vor 15 Jahren verschwand:

    "Wenn jemand dort hineingebracht worden ist, haben wir gewusst, dass er nicht wiederkommt, jedenfalls nicht als Mensch. Wenn er wieder rausgekommen ist, dann hatte er seine Menschlichkeit darin zurückgelassen; wenn er nicht zurückkam, war er umgebracht worden. Das weiß jeder in dieser Stadt."

    Die türkische Militärkommandantur war auf dem Höhepunkt des Kurdenkrieges in den 90er Jahren in der Zitadelle angesiedelt, außerdem residierten hier das berüchtigte Staatssicherheitsgericht, ein Gefängnis mit Folterkammern und die Konterguerilla-Einheit, die für Tausende außergerichtliche Hinrichtungen im Kurdengebiet verantwortlich gemacht wird. Erst vor sieben Jahren zogen die Sicherheitsdienste aus der Zitadelle aus, als der Krieg zu Ende zu gehen schien und der über die Region verhängte Ausnahmezustand aufgehoben wurde. Der Kunsthistoriker Zafer Han vom staatlichen Museum in Diyarbakir war einer der ersten Zivilisten, die den artukidischen Gefängnisbau nach der Räumung im Jahr 2005 besichtigten:

    "Als ich damals das erste Mal hier hereingekommen bin, da bin ich gleich wieder hinaus gerannt vor Entsetzen. Die engen Zellen, das Gekritzel der Gefangenen an den Wänden – mir war, als könnte ich die Schreie der Menschen noch hören."

    Heute strömt Sonnenlicht durch hohe Bogenfenster in den historischen Bau hinein. Die Zellenwände sind herausgerissen worden, um das artukidische Mauerwerk freizulegen. Im Geheimdienstgebäude nebenan sind hinter den Bürowänden die Futterkrippen osmanischer Kavalleriepferde zum Vorschein gekommen. Eine byzantinische Kirche aus dem 4. Jahrhundert, die der türkischen Armee als Waffenlager diente, ist sorgfältig zu ihrem alten Glanz restauriert worden; an den anderen Bauten aus artukidischer und osmanischer Zeit wird noch gearbeitet. Bis Ende des Jahres soll alles fertig werden, sagt Nevin Soyukaya, die Direktorin des Museums von Diyarbakir, die das Projekt leitet:

    "Die ganze Zitadelle wird ein einziges Museum werden, ein Museum für die Geschichte dieser Stadt von prähistorischer Zeit bis zur Gegenwart und ein Museum für die Geschichte der menschlichen Zivilisation."

    Die Lager des jetzigen alten Museums von Diyarbakir sind überfüllt mit Grabungsschätzen aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, die in der Zitadelle endlich gezeigt werden sollen, erzählt die Museumsdirektorin. Schließlich ist Diyarbakir eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt:
    "Hier an dieser Stelle wurde Diyarbakir vor mehr als 8000 Jahren gegründet. Seither lebt und wächst die Stadt seit Jahrtausenden ohne Unterbrechung und ohne Bedeutungsverlust. Dies ist eine achttausend Jahre alte lebende Stadt - das ist etwas ganz Seltenes und Besonderes."

    Von Großreichen wie den Assyrern und Byzantinern ist Diyarbakir in diesen Jahrtausenden beherrscht worden, aber auch von einheimischen Dynastien und regionalen Fürstentümern. Schon im Jahr 639 von islamischen Armeen erobert, also 800 Jahre vor Konstantinopel, war Diyarbakir im Mittelalter das Zentrum einer Ära der islamischen Aufklärung. Immer wieder wurde die Stadt von den unterschiedlichsten Kulturen befruchtet, erzählt Nevin Soyukaya.

    "Weil die Stadt am Ufer des Tigris und am Kreuzweg von Mesopotamien mit den Reichen im Norden und im Osten lag, haben im Laufe der Geschichte die verschiedensten Zivilisationen sie begehrt und besessen, um sie gekämpft und sie beherrscht. Sie alle haben ihre Spuren hier hinterlassen, und die Stadt hat ihre Einflüsse alle aufgenommen und verschmolzen zu einer ganz ihr eigenen Kultur."

    Nicht nur die wechselhafte Geschichte dieser Stadt soll das neue Museum präsentieren. Ein eigenes Ausstellungsgebäude soll der Geschichte der menschlichen Zivilisation gewidmet werden, die hier im Zweistromland ihre Ursprünge hat:

    "Die Menschheit hat hier in dieser Gegend erstmals mit Ackerbau und Viehzucht begonnen. Wir können also die gesamte Geschichte der Landwirtschaft von ihren Anfängen bis heute darstellen, alles mit authentischen Grabungsfunden aus dieser Erde. Auch die Geschichte der Produktion, die Geschichte der Religion, der Architektur, der sozialen Beziehungen und so weiter werden wir in thematischen Ausstellungen darstellen."

    Ein archäologisches Labor und eine Restaurierungswerkstatt sollen außerdem in der Zitadelle untergebracht werden, Archiv und Dokumentationszentrum, Seminarräume für Besuchergruppen und Kinderschulungszentrum für Schulausflüge; die Militärkommandantur wird umgebaut zu einem Museumscafé und Restaurant. Mehr als nur ein Museum, eine Begegnungsstätte mit der Geschichte solle die Zitadelle werden, sagt die Projektleiterin – und ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Die Eröffnung ist für das kommende Jahr geplant, doch die Museumsdirektorin denkt schon weiter:

    "Im nächsten Schritt werden wir dann die Stadtmauern von Diyarbakir einbeziehen, an denen man Epoche für Epoche die wechselnden Zivilisationen ablesen kann, die römische, die islamische, alles. Dann werden wir die Schwarzbauten unterhalb der Mauern abreißen, darunter liegen ein römisches Badehaus und ein Amphitheater, die werden wir ausgraben und einen Archäopark daraus machen. Wenn man dann durch das Palasttor hereinkommt in die Stadt, wird man erst die Ausgrabungen sehen und dann die Stadtmauern, dann die lebendige alte Stadt und schließlich das Zitadellenmuseum. Das wird eines der besondersten Museen der Welt!"