Die nationalsozialistische Diktatur war nur möglich durch einen eklatanten Fall von Elitenversagen. Gerade die Juristen, die das Recht hätten hüten sollen, erwiesen sich dabei als eine der anfälligsten Gruppen. Sie stützten Hitlers Herrschaft - mit der rassistischen Ausnahmegesetzgebung gegen die Juden ebenso wie mit der Verfolgung von Regimegegnern, so genannten "Volksschädlingen" oder "Wehrkraftzersetzern". 1947 im Nürnberger Juristenprozess gegen Mitglieder des "Volksgerichtshofes" - die Kollegen des Blutrichters Roland Freisler - zogen die Alliierten Bilanz: "Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Richters verborgen", schrieben sie ins Urteil.
Von 1933 bis 1945 hatte die deutsche Justiz 17.000 Todesurteile gefällt. Hinzu kamen über 50.000 Fälle von "Desertion" oder "Wehrkraftzersetzung", in denen Militärgerichte gleichfalls die Todesstrafe verhängten. Das war das Umfeld, in dem der Marinerichter Hans Filbinger an seiner juristischen Karriere arbeitete. Mit dem klassischen Satz "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein" hat er 1978 auch das Bewusstsein der Mehrheit seiner Kollegen zutreffend beschrieben. Man hatte ja nur, ganz positivistisch und nach allen Regeln der Kunst, das gerade geltende Recht angewandt.
Die junge Bundesrepublik glaubte auf die Fertigkeiten dieser juristischen Funktionselite nicht verzichten zu können. Gänzlich unbelastet war kaum einer, der nach 1949 den Diensteid auf das neue Grundgesetz ablegte. Was folgte, war die Selbstamnestierung einer Juristenkaste, die zum Beispiel noch 1968 im Fall Rehse - er war neben Freisler der am schwersten belastete Richter des NS-Volksgerichtshofes - einen bizarren Freispruch zuwege brachte. Die Aufklärung von NS-Unrecht und die Vermittlung demokratischen Rechtsdenkens blieb lange Zeit die Sache von Außenseitern der Juristenzunft: Der in die Politikwissenschaft gewechselte Wolfgang Abendroth, Bundesanwalt Max Güde und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer sind hier zu nennen. Ihnen ist es zu danken, dass die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auch als gesellschaftliche Selbstaufklärung in Gang kam.
Wenn sich in der Bundesrepublik allmählich ein vergangenheitspolitischer Grundkonsens entwickelt hat, der auf der entschiedenen Ablehnung des NS-Systems und kollektiver Scham über die Verbrechen des Regimes beruht, dann waren der Frankfurter Auschwitzprozess, der 1963 begann, und die Bundestagsdebatten über die Verjährungsfristen für Mordverbrechen die entscheidenden Stationen. Auch der von Rolf Hochhuth aufgedeckte Skandal um Hans Filbinger, der 1978 mit dem Rücktritt endete, spielte im öffentlichen Bewusstsein eine gewichtige Rolle. Wer sich noch in den letzten Tagen des NS-Regimes derart kompromittiert hatte wie Filbinger, der sollte nicht an prominenter Stelle eines demokratischen Gemeinwesens wirken dürfen. Zumindest das hatten die Bundesrepublikaner mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelernt.
Das Wunder von Freiburg - Günther Oettingers Umdeutung des opportunistischen Marinerichters in einen Widerständler- dementiert diesen Grundkonsens. Und der pflaumenweiche "offene Brief", den der baden-württembergische Ministerpräsident gerade hinterhergeschoben hat, macht alles nur noch schlimmer. Wenn es für Oettinger, wie er seinen Kritikern schreibt, eine Selbstverständlichkeit ist, - Zitat - "dass wir uns zu unserer historischen Verantwortlichkeit bekennen", dann sollte er schlicht seinen Hut nehmen. Andere Politiker - Stichwort Bundestagspräsident Jenninger - haben es nach, sagen wir mal: einer missglückten Rede, immerhin noch zu einem Botschafterposten gebracht. Dazu müsste man allerdings andere Idiome beherrschen als nur das Schwäbische.
Von 1933 bis 1945 hatte die deutsche Justiz 17.000 Todesurteile gefällt. Hinzu kamen über 50.000 Fälle von "Desertion" oder "Wehrkraftzersetzung", in denen Militärgerichte gleichfalls die Todesstrafe verhängten. Das war das Umfeld, in dem der Marinerichter Hans Filbinger an seiner juristischen Karriere arbeitete. Mit dem klassischen Satz "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein" hat er 1978 auch das Bewusstsein der Mehrheit seiner Kollegen zutreffend beschrieben. Man hatte ja nur, ganz positivistisch und nach allen Regeln der Kunst, das gerade geltende Recht angewandt.
Die junge Bundesrepublik glaubte auf die Fertigkeiten dieser juristischen Funktionselite nicht verzichten zu können. Gänzlich unbelastet war kaum einer, der nach 1949 den Diensteid auf das neue Grundgesetz ablegte. Was folgte, war die Selbstamnestierung einer Juristenkaste, die zum Beispiel noch 1968 im Fall Rehse - er war neben Freisler der am schwersten belastete Richter des NS-Volksgerichtshofes - einen bizarren Freispruch zuwege brachte. Die Aufklärung von NS-Unrecht und die Vermittlung demokratischen Rechtsdenkens blieb lange Zeit die Sache von Außenseitern der Juristenzunft: Der in die Politikwissenschaft gewechselte Wolfgang Abendroth, Bundesanwalt Max Güde und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer sind hier zu nennen. Ihnen ist es zu danken, dass die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auch als gesellschaftliche Selbstaufklärung in Gang kam.
Wenn sich in der Bundesrepublik allmählich ein vergangenheitspolitischer Grundkonsens entwickelt hat, der auf der entschiedenen Ablehnung des NS-Systems und kollektiver Scham über die Verbrechen des Regimes beruht, dann waren der Frankfurter Auschwitzprozess, der 1963 begann, und die Bundestagsdebatten über die Verjährungsfristen für Mordverbrechen die entscheidenden Stationen. Auch der von Rolf Hochhuth aufgedeckte Skandal um Hans Filbinger, der 1978 mit dem Rücktritt endete, spielte im öffentlichen Bewusstsein eine gewichtige Rolle. Wer sich noch in den letzten Tagen des NS-Regimes derart kompromittiert hatte wie Filbinger, der sollte nicht an prominenter Stelle eines demokratischen Gemeinwesens wirken dürfen. Zumindest das hatten die Bundesrepublikaner mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelernt.
Das Wunder von Freiburg - Günther Oettingers Umdeutung des opportunistischen Marinerichters in einen Widerständler- dementiert diesen Grundkonsens. Und der pflaumenweiche "offene Brief", den der baden-württembergische Ministerpräsident gerade hinterhergeschoben hat, macht alles nur noch schlimmer. Wenn es für Oettinger, wie er seinen Kritikern schreibt, eine Selbstverständlichkeit ist, - Zitat - "dass wir uns zu unserer historischen Verantwortlichkeit bekennen", dann sollte er schlicht seinen Hut nehmen. Andere Politiker - Stichwort Bundestagspräsident Jenninger - haben es nach, sagen wir mal: einer missglückten Rede, immerhin noch zu einem Botschafterposten gebracht. Dazu müsste man allerdings andere Idiome beherrschen als nur das Schwäbische.