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Das zweite Leben belgischer Kolonialkarten

Das Afrikamuseum von Tervuren nahe der belgischen Hauptstadt Brüssel versammelt einen Reichtum der besonderen Art: Hier finden sich geologische Karten von Zentralafrika seit dem Beginn der Kolonialisierung. Ein Stab von Wissenschaftlern interpretiert diese Karten, denn immer mehr Unternehmen beauftragen das geologische Institut mit Gutachten über mögliche Rohstoffvorkommen. Doris Simon mit einem Bericht aus Brüssel.

    "Schauen Sie: Hier im Norden, da gibt es viele gelbe Flecken. Gelbe Flecken bedeuten Gold. Es handelt sich also um Gestein mit Goldeinschluss. Und da, wo gelbe Flecken sind, gibt es immer braune Flecken: Eisen. Wo Gold ist, findet sich auch Eisen. In anderen Landesteilen wie im Kivu sieht man rote Flecken: Das weist hin auf Zinnvorkommen."

    Jeden Tag interpretiert Johan Lavreau geologische Karten - doch um diese zu verstehen, muss man nicht Leiter des geologischen Instituts sein: Gold, Zinn, Eisen, Kupfer, Erdöl, Coltan und Diamanten: überall im Kongo liegen Reichtum unter der Erde.

    Lavreaus Institut kartiert diese Schätze seit vielen Jahrzehnten. Die ersten Karten des Instituts im Kolonienpalast stammen aus den Jahren um 1880. Vor allem der belgische Staat und viele Unternehmen profitierten von der Arbeit der Geologen in Tervuren. Doch seit der Unabhängigkeit der Kolonien widmete sich das Institut vor allem der Forschung. Doch seit sich die Lage im Kongo beruhigt hat und das Land wieder Investoren anzieht, ist es mit der Ruhe im Elfenbeinturm vorbei:

    "Die Regierung hat wieder Konzessionen für die Suche nach Vorkommen und für Schürfrechte erteilt. Viele Bergwerksunternehmen waren interessiert daran,, haben aber festgestellt, dass ihnen die nötigen eologischen Vorkenntnisse fehlten. Die hatten wir. Also haben wir Wissenschaftler einen Teil unserer Zeit umwidmen müssen, um diesen Unternehmen zu helfen: Mit allen bei uns verfügbaren Informationen, die für das jeweilige Bergbauprojekt interessant sein könnten."

    Inzwischen kommen täglich Anfragen von Unternehmen aus aller Welt, die längste Beratung dauerte zwei Monate. Das geologische Institut arbeitet kostendeckend, darf aber keinen Gewinn machen. Im Internet kann man ein Einzelblatt aus katanga schon für 10 Euro kaufen, das umfangreiche Kartenpaket Kongo kostet 1073 Euro 50. Wer direkt ins geologische Institut kommt, zahlt gar nichts. Institutsleiter Lavreau:

    "Geologische Karten erstellen, das ist Grundbestandteil unserer wissenschaftlichen Arbeit. Und manchmal sind diese Karten eben besonders interessant für bestimmte Unternehmen. Wenn die Karten ihnen nützen, umso besser! "

    Die ehemaligen Kolonien schätzen die Arbeit des geologischen Instituts: Sie können die Aufbereitung der Karten, die sie in Kopie besitzen, nicht leisten, brauchen aber die internationalen Investitionen. Praktische Hilfe leistete das geologische Institut vor einigen Wochen auch in einem Grenzstreit zwischen Angola und Kongo. Die Regierungen beider Länder hatten das belgische Außenministerium um Hilfe gebeten, erinnert sich Afrikadirektor Guy Trouveroy.

    "Wir haben ihnen Material aus der Kolonialzeit zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe sie ihre Standpunkte überprüfen konnten. Aber darüber hinaus haben Wissenschaftler des geologischen Instituts mit Hilfe moderner Interpretations- und Berechnungsmethoden dargestellt, wie die Grenze vor Ort heute tatsächlich verläuft."

    Natürlich gebe es Vorbehalte in Belgien und erst recht in den früheren Kolonien wegen der kolonialen Vergangenheit, räumt der Afrikadirektor des belgischen Außenministeriums ein. Aber es gebe auch Vertrauen:

    "Man bittet uns, die ehemalige Kolonialmacht, und ehemalige koloniale Institutionen um Hilfe und entspannt damit das Verhältnis. Und das, glaube ich, ist wirklich eine gute Nachricht."

    So könnte es bald eine Fortsetzung des angolanisch-kongolesischen Grenzdialogs geben, wieder im Kolonienpalast von Tervuren. Mit der Örtlichkeit hatten die afrikanischen Delegationen übrigens keinerlei Probleme :

    "Wussten Sie, dass einige afrikanische Länder ihren Nationalfeiertag in den Repräsentationsräumen des Afrikamuseum begehen, das doch den Kolonien gewidmet war? Das ist doch ein deutlicher Beleg, dass diesem unsere afrikanischen Freunde dieses Thema heute deutlich entkrampfter sehen."