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"Dass Deutschland kein souveräner Staat ist, ist nichts Neues"

Welche politische Relevanz private Daten haben, zeigt die von Edward Snowdens Enthüllungen angestoßene Debatte über staatliche Überwachung. Norbert Seitz hat sich in dieser Woche durch die politischen Blogs gelesen und Meinungen zu Verrat und Verräter zusammengestellt.

Von Norbert Seitz | 29.07.2013
    Während Kanzlerin Merkel auf ihrer jüngsten Pressekonferenz vor der Sommerpause bekundete, auf deutschen Boden müsse deutsches Recht gelten, sei die Kanzlerin in Wahrheit von US-Behörden in nie gekannter Weise brüskiert worden. Zu diesem Schluss kommt Michael Spreng, der frühere Wahlkampfberater Edmund Stoibers. Auf seinem Blog "Sprengsatz" führt er aus:

    "In einer ungewohnten Rolle ist in diesen Tagen die deutsche Bundeskanzlerin öffentlich zu besichtigen. 'Die mächtigste Frau der Welt', die ganz Europa den Kurs vorgibt, ist an die Grenzen ihrer Macht gestoßen (…) Dieses Bild einer ohnmächtigen Kanzlerin hat, wenn es sich festsetzt, große Kraft und könnte für Merkel gefährlich werden oder sogar zu einem Wendepunkt ihrer Karriere führen. Deutschland ist zwar wirtschaftlich ein Riese, politisch aber doch nur ein kleines Land mit einer geschrumpften Kanzlerin."

    Doch in diesem Punkt erfährt Angela Merkel von ungewohnter Seite Rückendeckung. Dass sie und ihr Innenminister Friedrich "rumeierten", könne er verstehen. Schreibt Albrecht Müller, früherer Kanzleramtsmitarbeiter bei Willy Brandt. Sie täten es aus einer "falsch verstandenen Staatsräson" heraus. Müller in dem von ihm verantworteten Blog "Nachdenkseiten":

    "Der gute Michael Spreng meint im 'Sprengsatz', Merkel ist und bleibe gegenüber den USA eine Kanzlerin der Ohnmacht (…) O.k., das kann man kritisieren. Aber jetzt so massiv drauf zu hauen, ohne den Hintergrund, nämlich die mangelnde Souveränität Deutschlands zu beschreiben, ist irreführend. (…) Dass Deutschland kein souveräner Staat ist, ist nichts Neues (…) Der Einfluss auf die deutsche Politik und die Bedrohung der Grundrechte der hier wohnenden Menschen läuft nicht nur über die elektronische Überwachung durch die USA und Großbritannien. Sie läuft über Sonderrechte, über die Aktivitäten der Geheimdienste und über den gut organisierten (…) Einfluss auf die deutsche Politik."
    Währenddessen wenden sich Kritiker der öffentlichen Anti-Prism-Kampagne gegen deren angeblich unterschwelligen "Antiamerikanismus". Wenn es um Amerika gehe, fänden wir nie ein gesundes Mittelmaß, heißt es im Blog "Die Achse des Guten": entweder Verehrung wie bei Barack Obama. Oder Verachtung wie bei George W. Bush. Vom US-Präsidenten erwarteten wir, dass er ein Heilsbringer sei, der die Probleme der Welt löse und einmal im Jahr Berlin besuche. Der Rechtsexperte Rainer Bonhorst stellt auch den deutschen Stolz auf unseren vorbildlichen Rechtsstaat infrage:

    "In letzter Zeit wird in der Politik immer wieder mit dem stolzen, ja arroganten Hinweis agiert, Deutschland sei ein Rechtsstaat. Das wollen wir a) schwer hoffen, und b) wollen die Politiker, die dieses Wort täglich im Mund führen, damit Deutschland wohltuend von Amerika abheben. Den USA unterstellt man unausgesprochen (…), dass ihr Rechtsstaat bedenkliche Macken habe. Das mag sein. Wer sich aber auf ein so hohes Ross setzt, sollte selber einer näheren Begutachtung gewachsen sein."

    …und landet in wüster Komparatistik beim Fall Gustl Mollath. Die öffentliche Empörung über die Datenspionage der Regierungen scheint gleichwohl angebracht. Mit Hilfe von solchen Spähprogrammen erhalten Regierungen über ihre Bürger Informationen, die sie nichts anzugehen haben. Der Essayist Heinz Sauren begründet im Blog "Freigeist", warum es künftig nicht mehr um Datenschutz allein, sondern um Datensicherheit gehen müsse:

    "Der Staat ist gefordert, die Interessen der Bürger wahrzunehmen, die ohne ihn und gegen die Interessen der Wirtschaft nicht durchzusetzen sind. Da er diese Aufgabe nicht ohne entsprechenden Druck wahrnehmen wird, wird die Datensicherheit wahrscheinlich zukünftig den politischen Rang einnehmen (müssen), wie sie heute die Anti-Atomkraft-Bewegung oder der Umweltschutz hat. Mit dem gleichen beschwerlichen Weg, den auch diese beschreiten mussten."

    Bliebe die Würdigung der Rolle des Whistleblowers Edward Snowden. "Held oder Verbrecher?" Diese Frage hat Erling Plaethe im Blog "Zettels Raum" untersucht. Dabei gelangt er zu einem weniger wohlwollenden Urteil als hierzulande in den Medien:

    "Deckt eine Quelle - wie Snowden - Handlungen des Staates auf, die geeignet sind, die Demokratie und den Rechtsstaat zu beseitigen, kann diese mit Recht als Held bezeichnet werden. Handelt eine Quelle wie Snowden aber auf eigene Faust und verwirft den Schutz, den ihm der Rechtsstaat als Quelle gewährt um politisches Asyl bei den Feinden der Pressefreiheit zu suchen, um seiner Selbstgerechtigkeit Ausdruck zu verleihen, wird er angeklagt und verfolgt (…) Er ist nicht nur ein Verräter, er greift mit schweren Waffen an. Kein Staat kann und darf sich das gefallen lassen."