Donnerstag, 25. April 2024

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Datenbroker
Ein skrupelloses Geschäft

Offline und online hinterlassen wir alltäglich Daten, ohne es zu merken. Datenhändler machen damit ein großes Geschäft. Wie, haben MDR-Journalistinnen herausgefunden.

Von Jana Münkel und Sabine Cygan | 15.10.2018
    Kopf einer Frau mit digitalen Daten
    Die Datenprofile der Broker sind zum Teil erschreckend exakt (imago / Nanette Hoogslag)
    Welche Daten besitzen Datenbroker über uns? Das wollen wir MDR-Journalistinnen genauer wissen. Dafür brauchen wir erstmal eines: Daten. Mit einem Online-Gewinnspiel versuchen wir selbst, Daten zu sammeln - eine gängige Methode für Datenhändler, um an Daten zu kommen. Um die Gewinnchance für einen Kurzurlaub zu haben, müssen die Teilnehmer einen Fragebogen ausfüllen – und wir fragen nicht nur Name und Adresse ab, sondern auch intime Details wie Allergien oder Parteivorlieben. Bald besteht unsere kleine Datenbank aus 150 Datensätzen.
    Wir wollen mehr über die Gewinnspielteilnehmer wissen. Also nehmen wir Kontakt mit Datenhändlern auf - aber nicht als Journalistinnen, sondern als Unternehmensberatung. Dafür gründen wir eine Briefkastenfirma in London. Drei Händler beißen an: Sie wittern ein großes Geschäft. Niemand überprüft, ob unsere Firma wirklich existiert. Für Gerd Billen, Staatssekretär im Justizministerium, ist das ein Problem:
    "Ich finde, dass der Datenbroker die Pflicht hat, zu prüfen, für wen er Daten anreichert. Es können auch kriminelle Zwecke dahinter stehen, es können politische Zwecke dahinterstehen. Also der Datenbroker kann sich nicht blauäugig hinstellen nach dem Motto "mit dem Teil des Geschäftes habe ich nichts zu tun".
    "Es geht nicht um Diskriminierung, es geht um statistische Diskriminierung"
    Mehrmals telefonieren und mailen wir mit den Datenhändlern. Dabei testen wir, wie sie mit heiklen Anfragen umgehen und fragen nach sensiblen Zielgruppen wie Homosexuellen. Die sexuelle Orientierung steht unter speziellem Datenschutz. Doch der Datenbroker würde einen Weg finden, um uns diese Daten zu liefern, sagt er uns am Telefon. Wir zitieren aus dem Gedächtnisprotokoll:
    "Analytisch gesehen sind Homosexuelle eine Zielgruppe. Jede Zielgruppe lässt sich mit bestimmten Datenpunkten eingrenzen."
    Auf unsere Nachfrage, ob das datenschutzrechtlich in Ordnung sei, antwortet der Broker:
    "Es geht nicht um Diskriminierung, es geht um statistische Diskriminierung."
    Eine ausführlichere Darstellung der Investigativ-Recherche finden Sie auf der Webpräsenz des MDR.
    Das heißt: Hier wird Datenschutzrecht umgangen. Um an mehr Informationen über unsere Gewinnspielteilnehmer zu kommen, entscheiden wir uns für einen Deal mit AZ Direct, einer Tochterfirma von Bertelsmann. Für gut 1.000 Euro "veredelt" die Firma unsere Daten: Zu jeder Person liefert uns der Händler noch 30 weitere Persönlichkeitsmerkmale. Wir wissen jetzt zum Beispiel, wer von den Gewinnspielteilnehmern gerne online Schuhe shoppt, wer als kämpferisch gilt oder wer ein "positives Verhältnis zur Sexualität" hat. Woher diese Informationen kommen, will uns der Händler nicht verraten.
    "Unangenehm akkurat"
    Frederike Kaltheuner von der Organisation Privacy International beschäftigt sich schon länger mit Datenbrokern und dem sogenannten Profiling:
    "Diese Profile sind zum Teil unangenehm akkurat, die geben Dinge über mich preis, die mir selber vielleicht gar nicht bewusst sind. Gleichzeitig sind diese Profile aber oft auch völlig falsch. Das heißt, es gibt zwei Gefahren. Auf der einen Seite die Gefahr, dass jemand private Daten gegen mich verwenden kann. Aber auch gleichzeitig, dass ich falsch einklassifiziert werde oder eingestuft werde und deshalb Nachteile habe."
    Auf Basis dieser Profile wird entschieden, welche Wohnung wir mieten können. Ob wir einen Kredit bekommen oder beim Versandhändler per Vorkasse bezahlen müssen. Unsere Datenprofile bestimmen also, in welcher Schublade wir landen – und vielleicht auch bleiben.