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Datenerfassung
Der gläserne Internetnutzer

Wer auf einer Medienseite Nachrichten liest, wird von Trackern erfasst, denn Zeitungsverlage sammeln die Daten ihrer Online-Nutzer. Die Datenanalyse wird nicht immer nur für Verlagszwecke genutzt.

Von Daniel Bouhs | 02.08.2014
    Zwei orangefarbene Netzwerkkabel hängen vor vor einem Computer-Bildschirm, der Zahlenkolonnen mit einem binären Code zeigt.
    Verlage gehen mit der Datenerfassung ihrer Online-Nutzer unterschiedlich um. (dpa / Oliver Berg)
    Wer wissen will, wie es um die Datensammelwut der deutschen Verlage bestellt ist, der muss sich nur mal eben kurz durchs Internet klicken. "News reads us" heißt die Seite, die für Aufklärung sorgt. Die treffende Einleitung: "Einst haben wir die Zeitung gelesen – jetzt lesen die Nachrichten uns".
    "Also wir waren bei einem Hack-Day zum Thema Datenschutz und haben uns überlegt, wir gucken uns mal an, wie Nachrichtenportale eigentlich ihre Leser tracken. Und wir haben entdeckt, dass eigentlich fast alle Online-Portale in Deutschland eine erhebliche Anzahl von Trackern einbinden,"
    Tracker beobachten den User
    Erklärt Friedrich Lindenberg. Der Digital-Aktivist hat mit ein paar Mitstreitern die Seiten prominenter Verlage analysiert und ist dabei auf diverse sogenannter Tracker gestoßen, elektronische Sonden also, die den Nutzer beim Surfen im Netz im Blick behalten: Wer hat sich wann welche Seite angesehen, wie lange und was geklickt?
    "Gewonnen hat "Die Welt" mit 59 Trackern insgesamt, dicht gefolgt von der "FAZ" mit 55. Aber im Grunde: Sobald man irgendwie über 30 Trackern ist, glaube ich, hört das Zählen auch irgendwann auf. Jeder weiß dann, wo man war."
    Wissen, was der Leser tut – auch die "Süddeutsche Zeitung" ist dieser Versuchung erlegen. Digital-Chef Stefan Plöchinger:
    "Ich glaube, wir setzen 14 oder inzwischen sogar 16, 17 Tracker ein. Davon ganz normale Sachen, die alle Seiten einsetzen, wie Statistik-Tools, die die Reichweite der Webseiten vergleichen. Bisher nur wir und ein paar Springer-Titel aber zum Beispiel auch eine Paywall-Messung, die klar macht, welche Leser kommen wie oft."
    Mit den Paywalls, also den Bezahlmodellen auch auf Internetseiten, wächst nach den Anzeigenkunden nun auch bei den Verlagen das Interesse, ihre Nutzer noch besser kennenzulernen denn je. Spätestens jetzt wollen auch sie möglichst viele Details, wie Süddeutsche.de-Chef Plöchinger erklärt.
    "Mit einem Abo-Modell, das wir über eine Seite legen, verändert sich der ungeschriebene Vertrag, den wir mit dem Nutzer haben, indem wir ihm sagen, es ist okay, wenn Du uns bis zu einer gewissen Grenze kostenlos nutzt, aber wir müssen wenigstens feststellen dürfen, wann Du diese Grenze erreichst und welches Angebot wir Dir machen können, damit Du dann weiter lesen kannst."
    Verlagsinteresse versus Mitarbeiter
    Verlage, die ihre Leser scannen – das läuft der Berichterstattung vieler Häuser zuwider. Die Journalisten kämpfen schon seit Jahren für mehr Datenschutz, schlagen verbal gegen die "Datenkraken" wie Google und Facebook, prangern deren Datensammelwut an. Und gleichzeitig durchleuchten sie selbst ihre Kundschaft, mal für eigene Zwecke, mal für ihre Werbekunden und geben die Daten sogar weiter. Wie passt das zusammen?
    "Man muss dabei wenigstens transparent vorgehen. Also wir haben uns vor anderthalb Jahren sehr intensiv damit beschäftigt, wie unsere Datenschutz-Erklärung aussieht. Sie sah ziemlich furchtbar aus. Ich habe sie nicht verstanden. Wir haben sie dann ziemlich grundlegend überarbeitet."
    Im Gegensatz zu den Erklärungen vieler anderer Portale listet die "Süddeutsche" heute nicht nur die vielen Werkzeuge auf, die den Nutzer durchleuchten, sondern hat ihrer Erklärung auch eine Anleitung beigestellt: Wer will, kann sich mit speziellen Erweiterungen für seine Internet-Browser der Datensammelei entziehen. Für den Digital-Aktivisten Lindenberg ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allein:
    "Ich glaube, die eigentliche Lösung dieses Problems wird nicht die Installation von Browser-Plug-Ins sein, sondern da müssen die Online-Medien, die diese Angebote machen, auch einen besseren Deal wieder finden mit den Werbe-Anbietern. Da müssen die Verlage, obwohl sie in einer finanziell prekären Situation sind, mehr Rückgrat zeigen und sagen, okay, ne, wir machen unsere Nutzer-Analyse selbst, geben euch diese Nutzer-Daten, aber ihr könnt nicht direkt irgendwelche Tracker von etwas zweifelhaften Drittfirmen einbinden auf unserer Seite."
    Das wiederum würde den zuletzt gewaltig ausgeuferten Datenabfluss von den Internet-Seiten vieler Zeitungen zumindest wieder in geordnete Bahnen lenken. Ganz auf die Analyse ihrer Nutzer werden Verlagshäuser aber wohl kaum mehr verzichten. Die Verführung, möglichst viel über die eigenen Leser zu wissen, ist einfach zu groß.