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Datenklau legt Entwicklungsarbeit lahm

Sicher wie Alcatraz und unsicher wie Los Alamos. Das ist in den Vereinigten Staaten längst zur beliebten Redewendung geworden. Und das Atomwaffenlabor Los Alamos wurde seinem Ruf vollkommen gerecht, als vor vier Wochen zwei Datenträger mit Geheimmaterial verschwunden sind. Seitdem ruht der Forschungsbetrieb, und wann die amerikanischen Behörden die Atomforscher wieder in die Labors zurücklassen, steht noch in den Sternen.

Von Peter Welchering |
    Vor vier Jahren erschütterte der taiwanesisch-amerikanische Atomwissenschaftler Wen Ho Lee die amerikanische Öffentlichkeit, als er vor Gericht freimütig einräumte, hochgeheime Daten über die Konstruktion von Atomwaffen auf seinen Laptop herunter geladen und mit nach Hause genommen zu haben. Dass Wen Ho Lee nach dieser Tat gegen die nationale Sicherheit keinerlei Schuldbewusstsein an den Tag legte, fanden die amerikanischen Leitartikler und Kommentatoren geradezu verabscheuungswürdig. Wen Ho Lee war sich keiner Schuld bewusst, glaubte auch nicht, gegen Sicherheitsbestimmungen zu verstoßen, wenn er Forschungsdaten über Atomwaffen mit nach Hause nahm, weil die überwiegende Mehrheit der in Los Alamos Beschäftigten das so handhabte. Zu diesem Ergebnis kommt Danielle Brian von der Nichtregierungsorganisation "Project on Government Oversight". Die nicht-behördlichen Regierungsaufseher haben die Vorkommnisse in Los Alamos gründlich untersucht und beschreiben die Situation so.

    Los Alamos hat bekannt gegeben, dass sie im vergangenen Jahr über 100.000 Datenträger mit Geheiminformationen hatten. Und es ist geradezu lächerlich, wie man in Los Alamos mit Geheimmaterial einfach ein- und ausgehen kann. So arbeiten zum Beispiel viele Leute zu Hause und nehmen eben Datenträger mit brisantem Material mit nach Hause.

    Über ein einfaches Computerkabel luden Wissenschaftler und nicht-wissenschaftliches Personal Daten aller Geheimhaltungsstufen auf Wechselplatten und ihre Laptops, um beispielsweise zu Hause oder am Swimmingpool daran weiter arbeiten zu können. Jetzt sind zwei so genannte Zip-Laufwerke verschwunden. Und das zuständige Energieministerium hat daraufhin Alarm ausgegeben, weil Gefahr für die nationale Sicherheit bestehe. Danielle Brian zum Datendiebstahl.

    In Los Alamos sind zwei Datenträger mit Geheimmaterial verschwunden. Bei den Daten handelt es sich um Entwicklungsunterlagen für neue Atomwaffen und um Berichte von Sicherheitsüberprüfungen von Forschungsreaktoren.

    Der amerikanische Energieminister Spencer Abraham hat darauf sofort reagiert und eine Überprüfung der 12.000 Mitarbeiter in Los Alamos angeordnet und weiterer 18 Institute, die im Auftrag der US-Regierung an Atomwaffen arbeiten und Wechselplatten für die Datensicherung einsetzen.

    Der Energieminister hat Los Alamos völlig geschlossen. Die restlichen Abteilungen und Forschungsstätten, die sich mit Nuklearwaffen beschäftigen, dürfen solange keine Geheimdaten mehr mit Computern bearbeiten, bis das Energieministerium alle Systeme und das Personal überprüft hat.

    Ursprünglich sollte diese Überprüfung bis Mitte August abgeschlossen sein. Doch die Recherchen von Danielle Brian und ihrer Mitarbeiter ergeben ein völlig anderes Bild.

    Die Überprüfung ist noch nicht einmal terminiert. Man hat sich noch nicht darauf einigen können, wo und wie die Überprüfung stattfindet. Es wird noch Monate dauern, bevor die Forschungsarbeiten in Los Alamos wieder aufgenommen werden können.

    Irgendwann im Jahre 2005 kann der Forschungsbetrieb in Los Alamos wohl wieder aufgenommen werden. Das schätzen zumindest amerikanische Sicherheitsexperten. Schon seit Jahren fordern sie, die Computersysteme in Los Alamos und anderen Atomlabors der Vereinigten Staaten sicherer zu machen. Dazu zählt unter anderem das Verbot von Wechselplatten und das Anfertigen von Datenkopien nur nach Genehmigung durch einen Vorgesetzten. Außerdem sollen die Superrechner, auf denen Simulationen für Atomwaffen gerechnet werden, keinen Zugang mehr zum Internet haben. Denn auch Internet-Verbindungen haben sich in Los Alamos dem Bricht der Nichtregierungsorganisation "Project on Government Oversight" zufolge Sicherheitsrisiko ersten Ranges erwiesen.

    Kürzlich sind 16 E-Mails mit Geheimmaterial über das ganz normale Internet versandt worden. Damit ist der Schutz von Geheimdaten im Nuklearbereich zusammengebrochen.

    Der Energieminister war über die meisten Sicherheitsmängel informiert und hatte erst im Mai dieses Jahres eine entsprechende Umrüstung der Computersysteme in Los Alamos angeordnet. Als im allerdings über technische Schwierigkeiten in Folge dieser Umrüstung berichtet wurde, räumte er eine Frist von fünf Jahren bis zum Abschluss der Umrüstung ein. In Los Alamos blieb in Fragen der Daten- und Zugangssicherheit alles beim alten. Wissenschaftspolitiker fordern jetzt den Rücktritt von Energieminister Spencer Abrahams und werfen ihm vor, die amerikanische Atomforschung um Jahre zurück geworfen zu haben.