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Datensammlung mit Tradition

Wie viele Menschen erkranken an Krebs? Gibt es Regionen, in denen Krebs häufiger auftritt? Wie sind die Heilungschancen bei bestimmten Tumoren? Solche Fragen können Experten nur mit Hilfe von Krebsregistern beantworten. In Hamburg und dem Saarland besitzen solche Register Tradition - und in der ehemaligen DDR.

Von William Vorsatz |
    In dem schmucklosen Gebäude in Berlin Kaulsdorf erfassen 20 Mitarbeiter die Krebsdaten aus Ostdeutschland und werten sie aus. Die Informationen können an verschiedenen Arbeitsplätzen eingeben werden und gelangen dann auf zwei zentrale Rechner. Der stellvertretende Leiter des Gemeinsamen Krebsregisters für die ostdeutschen Länder, Roland Stabenow:

    Wir befinden uns jetzt sozusagen hier in unserer Schaltzentrale, hier sind unsere Server untergebracht, zwei Server, auf denen insgesamt ein Datenvolumen von 2,8 Millionen Datensätzen inzwischen gesammelt ist, angefallen in 50 Jahren Krebsregistrierung derzeit hier bei uns.

    Seit 1953 werden diese Informationen hier gesammelt. In der DDR war das straff organisiert und funktionierte lückenlos. Dann kam die Wende mit allen Turbulenzen und einem Meldeloch. In einigen Bundesländern wurden nur noch knapp 30 Prozent der Krebserkrankungen angezeigt. Jetzt werden wieder drei von vier Fällen gemeldet. Das epidemiologische Krebsregister von Berlin ist das größte in Deutschland. Epidemiologisch oder bevölkerungsbezogen wird das Register genannt, weil die Mitarbeiter möglichst jede Krebserkrankung erfassen wollen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Brigitte Streller zeigt, welche Daten sie verarbeitet. Vor ihr liegt ein mehrseitiger Fragebogen:

    Also es gibt drei Teile, die für das Gemeinsame Krebsregister interessant sind, das ist der Diagnosebogen, wo also die Erkrankungsdiagnose beschrieben ist, dann gibt es einen Behandlungsbogen und einen Abschlussbogen. Falls der Patient verstirbt, dann wird uns ein Abschlussbogen geschickt.

    In den meisten ostdeutschen Bundesländern sind die Ärzte verpflichtet, jede Krebserkrankung zu melden: sanktioniert werden fehlende oder unvollständige Erhebungen allerdings nicht. Also arbeiten viele Ärzte schludrig, klagt Stabenow:

    Wir erfassen zwar die Berufe, bzw. den letzten oder den längsten Beruf des Patienten, wir erfassen Angaben zu Kindern bei Frauen, aber diese Daten sind aus dem Grunde nicht verwertbar, weil sie nicht in ausreichender Qualität geliefert werden, weil sie nicht immer ausgefüllt werden, solche Untersuchungen, die auf die Ursachen kommen, das bleibt sogenannten analytischen Studien vorbehalten.

    Deutschlandweit gibt es dazu an 30 Tumorzentren klinische Krebsregister. Diese gehen vor allem in die Tiefe. Sie dokumentieren sehr detailliert den Krankheitsverlauf und erforschen die Lebensumstände der Betroffenen: etwa, wie hat sich der Patient ernährt, welche Gewohnheiten hatte er und welche Gesundheitsrisiken bei seiner Arbeit. Trotzdem sei die breite Erfassung von Krebsdaten sehr wichtig, betonen die Epidemiologen:

    Es gibt natürlich eine Reihe von Fragestellungen, die eigentlich nur von epidemiologischen Krebsregistern bearbeitet werden können. Beispielsweise: tritt Krebs gehäuft in bestimmten Altersgruppen auf? Tritt er gehäuft in bestimmten Regionen auf? Dazu brauchen sie flächendeckende Registrierungen in epidemiologischen Registern. Sind bestimmte Trends, Tendenzen in der Krebsinzidenz, d.h. in der Krebshäufigkeit zu verzeichnen? Usw. usf. Welches sind die häufigsten Krebsarten in den verschiedenen Altersgruppen. Für solche Angaben und noch einen Reihe mehr brauchen Sie unbedingt bevölkerungsbezogene und flächendeckende Krebsregistrierungen.

    Wissenschaftlich relevante Aussagen bekommen die Experten aber nur, wenn in den jeweiligen Bundesländern wenigstens 90 Prozent aller Erkrankungen erfasst werden. Das ist bisher nur in wenigen Bundesländern der Fall. Bis dahin behelfen sie sich mit einem kleinen Trick: Da sie von allen Verstorbenen die Todesscheine bekommen, holen sie sich daraus viele der fehlenden Daten. Allerdings können diese Informationen eine rechtzeitige Meldung auch nur unvollständig ersetzen. So wird beispielsweise als Beginn der Krebserkrankung einfach das Sterbedatum eingesetzt.