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David Hume zum 300. Geburtstag

David Hume gehörte neben John Locke zu den Begründern des englischen Empirismus. Er wurde vor 300 Jahren am 7. Mai 1711 in Edinburgh geboren und starb dort 1776. Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit seinen Ideen und Werken.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 05.05.2011
    Glücklicherweise hatte David Hume keine schlechten Startbedingungen. Sonst wäre aus ihm kein Philosoph geworden, noch dazu einer, über den Frank Brosow in seiner neuen, ausschließlich systematisch orientierten und trotzdem gut lesbaren Einführung schreibt:

    "Hume gilt vielen Philosophiehistorikern weltweit als der bedeutendste Denker des englischen Sprachraums. Immanuel Kant (...) gibt an, erst Hume habe ihn aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt."

    Der früh verstorbene Vater hinterließ der Familie nämlich ein kleines Vermögen, sodass sich Hume schon in jungen Jahren auf eine kleine Rente verlassen konnte. Sein Studium vornehmlich der Rechtswissenschaft in Edinburgh bricht er 1729 ab, um sich nur noch der Philosophie zu widmen. Fünf Jahre des privaten Selbststudiums zuhause gehen zunächst ins Land, ohne dass er weiterkommt.

    Schließlich nimmt er 1734 in Bristol doch eine Stelle als Schreiber bei einem Sklavenhändler an, wurden im 18. Jahrhundert circa 20.000 Sklaven jährlich aus Afrika in die neue Welt verfrachtet. Doch Hume wird nach kurzer Zeit rausgeworfen. Da ihn wohl im schottischen Gut der Familie in Ninewells unbequeme Fragen erwarteten, begibt er sich nach Frankreich. Für Paris reicht seine Rente aber nicht, so dass er in die Provinz umsiedeln muss.

    Während dieses dreijährigen Aufenthaltes gelingt ihm zumindest der gedankliche Durchbruch. Er schreibt sein dreibändiges Frühwerk "Traktat über die menschliche Natur", das in den Jahren 1739-40 allerdings anonym erscheint. Das mag zunächst überraschen. Doch Hume insistiert darauf, dass theologische und religiöse Argumente nicht nur in der Wissenschaft keine Rolle spielen dürfen. Vielmehr bewältigen wir auch den Alltag allein durch unsere diesseitigen Erfahrungen. So bemerkt Gerhard Streminger in seiner auch historisch ausführlichen Hume-Monographie:

    "Den Glauben an die Gleichförmigkeit der Natur können Menschen nicht aufgeben, aber von anderen Glaubensinhalten, etwa religiöser Natur, können sie sich befreien."

    Das 18. Jahrhundert gilt zwar als das Zeitalter der Aufklärung, es war aber ganz und gar nicht aufgeklärt. Überall in Europa dominierte religiöses Denken, wurden Menschen verfolgt, ins Gefängnis gesperrt und grausam hingerichtet, wenn sie es wagten, die Religion in Frage zu stellen. In Frankreich waren Bücher mit religionskritischen Gehalten gänzlich verboten. In Schottland gab es ein liberaleres Klima. Doch den radikalen Calvinisten, die in Schottland vorherrschten und die sich einen ständigen Kampf mit den alteingesessenen Katholiken lieferten, galt Hume ob seines Frühwerks natürlich als Atheist, was nicht verwundert, schreibt Frank Brosow:

    "Da die Irrtümer der Religion für das gesellschaftliche Zusammenleben so gefährlich sind, betrachtet es Hume als die vorrangige Aufgabe der Philosophie, den Entartungen (...) entgegenzutreten, die er unter den Begriffen 'Aberglaube' (...) und 'Schwärmerei' (...) zusammenfasst."

    So scheitern 1745 und 1752 seine Bewerbungen um universitäre Lehrstühle. Die Stelle als Bibliothekar am Juristenkolleg in Edinburgh bekommt er nur nach massiven Widerständen. In den 50er-Jahren versucht ihn die schottische Kirche zu exkommunizieren.

    "1761," bemerkt Streminger, "kamen alle seine Werke (...) auf einen Index geächteter Bücher, nämlich auf den der katholischen Kirche."

    Für Hume heißt Aufklärung, die Welt nicht aus religiöser Perspektive zu betrachten. Doch das ist gar nicht so einfach. René Descartes hatte Mitte des 17. Jahrhunderts das Fundament der Vernunft in das reine Denken verlegt. An allem anderen vermag man zu zweifeln, könnte das Leben ein bloßer Traum sein, nicht aber daran, dass man zweifelt, also denkt.
    Für Hume indes bewältigt man damit das Leben nicht. Mit dem reinen Verstand kann man keine gesicherten Aussagen über die Welt machen. Dazu braucht man Erfahrungen. Weil wir immer wieder beobachten, dass eine Billardkugel - so das berühmte Beispiel Humes - ihre Bewegung beim Zusammenstoß auf die andere überträgt, betrachten wir den Aufprall als Ursache und die Bewegung der zweiten Kugel als Wirkung. Trotzdem sind wir es, das Subjekt, das die Welt kausal erklärt. Streminger schreibt:

    "Kausale Beziehungen sind somit Setzungen des betrachtenden Subjekts, die jedoch keineswegs willkürlich, sondern durch konkrete (Kausal-)Erfahrungen veranlasst sind."

    Denn dass die natürlichen Prozesse immer auf die gleiche Weise stattfinden werden, das können wir nicht mit Sicherheit voraussagen. Das müssen wir voraussetzen, wenn wir leben und handeln wollen. Wir besteigen das Flugzeug im Vertrauen darauf, dass es wie in den allermeisten Fällen auch dieses Mal wieder sicher landen wird, wohl wissend, dass wir auch zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein können.

    Doch Humes Frühwerk findet kaum Beachtung. Gleichzeitig erkennt er gewisse Schwächen in seiner Argumentation. Vor allem erscheint ihm seine Position zu skeptisch. Denn in unserem Alltagsleben haben wir keine Wahl. Wir müssen daran glauben, dass morgen wieder die Sonne aufgeht. Das machen wir automatisch, eben instinktiv beziehungsweise mechanisch. Wie schreibt doch Hume:

    "Die Philosophie würde uns zu radikalen Skeptikern machen, wäre da nicht unsere Natur, die uns Realisten sein lässt."

    Daher darf man diesen Instinkt, bei mehrmaliger Beobachtung der gleichen Zusammenhänge auf eine weitere Gleichförmigkeit der Natur zu schließen, auch nicht mit einer logischen Struktur des Denkens verwechseln. Kant wird just das gegen Hume einwenden und dadurch 1781 zu seiner "Kritik der reinen Vernunft" gelangen, eben aus dem dogmatischen Schlummer aufwachen. Doch für Hume ist dieser Instinkt eine biologische oder natürliche Bedingung der konkreten Auseinandersetzung mit der Welt. Frank Brosow bemerkt dazu:

    "In seiner gemäßigten Form lässt sich der Skeptizismus jedoch durchaus konsequent verfolgen und erweist sich zudem als äußerst nützlich. Er macht uns die prinzipielle Fehleranfälligkeit menschlicher Überlegungen bewusst (…)."

    Damit schließt Hume die Philosophie an die Alltagswelt der Menschen an, erklärt just das, was die Menschen tun, um ihr Leben alltagspraktisch zu bewältigen, in moderat skeptischer Weise, aber ohne Rekurs auf andere rein logische oder religiöse Argumente. 1748 erscheint "Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand", über die Streminger bemerkt:

    "Im 'Traktat über die menschliche Natur' hatte der Autor eine terra incognita betreten, nur um nach einiger Zeit unter Lebensgefahr zu bemerken, dass dieses unbekannte Land völlig unbewohnbar ist. Aber war auch diese Gedankenreise des jungen Hume keine Reise ins Licht, so war sie doch eine Reise des Triumphs, denn er konnte künftigen Wanderern im Reich des Geistes zeigen, dass diese einsamen Höhen zum Verweilen ungeeignet sind. (...) 'Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand' ist nicht zuletzt so etwas wie eine intellektuelle Heimkehr von den Highlands zu den Lowlands, zu den Gärten und Feldern mit den ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten, Schönheiten - und Unvollkommenheiten."

    Doch Hume setzt sich nicht nur mit den Problemen von Erkennen und Wissens auseinander, sondern auch mit ethischen Fragen. Allerdings wird ihm heute dabei gerne mangelnde Innovativität vorgeworfen, würde er nur Ideen der Stoa neu aufbereiten. Doch man muss sein ethisches Denken vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen betrachten, war er in die Geschehnisse seiner Zeit massiv verwickelt. Nicht nur um Geld zu verdienen, arbeitet er eine Zeit lang als Privatlehrer eines gestörten Adligen. Aber warum heuert er sogar bei der englischen Armee an?

    "Gewiss wäre es für ihn eine weitere Erniedrigung gewesen," so Streminger, "sich vor der hart arbeitenden Familie eingestehen zu müssen, dass er aus beiden Posten, die er bis dahin innegehabt hatte (Schreibgehilfe in Bristol und Privatlehrer in Weldehall) vorzeitig hinausgeworfen, und für den einzigen Beruf, den er angestrebt hatte (die Professur in Edinburgh), als 'ungeeignet' erachtet worden war. Und schließlich hätte er, wenn er jetzt nach Hause gekommen wäre, sich mit Sicherheit die vorwurfsvolle Frage anhören müssen, weshalb er weder am Sterbebett noch beim Begräbnis der Mutter anwesend war."

    Er begleitete als Sekretär einen General auf einer langen Gesandtschaftsreise nach Wien und Turin. Zuvor nahm er an einem Angriff englischer Truppen auf die französische Stadt L'Orient teil. Nicht nur zogen sich die Engländer nachts ängstlich zurück. Gleichzeitig kapitulierten die französischen Truppen, allerdings ohne dass es die Engländer noch bemerkt hätten. Verglichen zu den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts waren die Kriege der ersten Hälfte des 18. erheblich weniger blutig und grausam.

    1751 erscheint "Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral", eine Überarbeitung des dritten Bandes seines Frühwerks. Ethik gründet Hume ohne Religion auf Sympathie, die der Mensch zunächst im familiären Nahbereich einübt und die er dann langsam auf weitere Kreise überträgt. Denn einerseits schließt er an die Gefühlsethik seines Vorläufers Shaftesbury an und betrachtet den Menschen ähnlich wie Aristoteles als ein soziales Wesen. Aber er berücksichtigt auch Thomas Hobbes' These, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Trotzdem betrachtet er den Menschen in Gesellschaft, der egoistisch seine Interessen durchsetzt, als lernfähig und erwartet, dass der Mensch durch den Kontakt mit fremden Menschen seine egoistischen Interessen zügelt. Zudem erkennt er, dass ihm Tugenden wie Gesetzestreue und Gerechtigkeit langfristig nützen. Er lernt dabei einen unparteiischen Blick.

    "Humes moralphilosophischen Überlegungen", so Streminger, "liegt nicht nur ein bemerkenswerter Realismus, sondern auch ein gewisser Optimismus zugrunde, nämlich die Erwartung, dass Menschen aufgrund des Kontakts mit anderen im Lauf der Zeit über den Zaun ihrer rein subjektiven Interessen zu blicken vermögen."

    Aber die Grundlage dazu ist das Gefühl, nicht wie später bei Kant die Vernunft. An diese in der Erfahrung begründete Gefühlsethik schließt im 20. Jahrhundert der Neopragmatist Richard Rorty an.

    Die positive Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen wird längst nicht immer erwidert. Von 1763-65 ist er Sekretär des englischen Botschafters in Paris und dabei auch häufiger Gast im Salon von Baron Holbach, ein radikaler französischer Aufklärer. Nur gilt er dort vor allem als Verfasser der Geschichte Englands, die er zwischen 1754 und 1764 veröffentlicht und die ihn damals reich macht.

    Er lernte auch Jean-Jacques Rousseau kennen und ermöglichte ihm den Aufenthalt in England. Doch der unter Verfolgungswahn leidende Rousseau dankte ihm das mit einem üblen, auch öffentlich ausgetragenen Streit.

    Wenige Wochen vor seinem Tod gibt er ein Abschiedsessen für seine Freunde und stirbt zum Leidwesen seiner religiösen Feinde, ohne in den Schoß des Glaubens zurückgekehrt zu sein. 1779 aber erscheinen posthum seine "Dialoge über natürliche Religion", herausgegeben von seinem Neffen. Seinem Freund Adam Smith war das zu gefährlich.

    Frank Brosow: "Hume, Grundwissen Philosophie". Reclam, Stuttgart 2011, 136 Seiten, 9,90 Euro

    Gerhard Streminger: "David Hume - Der Philosoph und sein Zeitalter". Dritte überarbeitete und erweiterte Ausgabe, C.H. Beck Verlag, München 2011, gebunden, 797 Seiten, 34 Euro.