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David Ross' Roman "Schottenrock"
Als Träume noch auf Vinyl gepresst waren

Derb, aber immer auf den Punkt: Der schottische Architekt und Autor David Ross wird zuhause schon mit "Trainspotting"-Autor Irvine Welsh verglichen. In seinem neuen Buch lässt Ross vier Provinzjungs von der großen Popkarriere träumen - und liefert gleich ein Sittengemälde der Achtzigerjahre mit.

Von Susanne Luerweg | 21.04.2018
    Der Autor David Ross hockt auf einer Treppenstufe.
    Der Autor David Ross (Random House/Alan McCredie Photography)
    "Max schaute zu Grant. Der war sichtlich sauer, sagte aber nichts. Als der Song zu Ende war, erklang 'Beat Surrender', die Abschieds-Single von The Jam, und sofort verbesserte sich die kollektive Stimmung. Bei diesem Song waren sie sich alle einig, auch die Sylvester-Brüder, die gerade den Pub betraten, als Paul Wellers Gesang einsetzte." (Aus dem besprochenen Buch)
    Eine Kneipe in den 80er Jahren in einem kleinen Nest in Schottland. Die Stimmung ist düster, das Land und seine Bewohner fühlen sich als Versuchskaninchen für Thatchers rigorose Wirtschaftspolitik missbraucht. Es gibt keine Jobs, kein Geld, nur Träume, Tagelöhner und Kriminelle. Einziger Ausweg: Eine Band gründen, reich und berühmt werden und alles hinter sich lassen. Das ist das Ziel der Mirculous Vespas und ihres Managers Max Mojo. Eines der großen Vorbilder: Jam-Frontmann Paul Weller. Ein Musiker, den "Schottenrock"-Autor David F. Ross bis heute verehrt, und der ihn maßgeblich geprägt hat.
    David Ross: "Ja, ich war auch ein Mod als ich jünger war. Genau wie Paul Weller. 'Ich sterbe als Mod, stelle ich mir vor', so hat er es mal gesagt. Ich denke, das ist einfach eine Haltung."
    "Jeder hat Hoffnungen und Träume"
    So lässig wie ein Mod erzählt Ross denn auch die Geschichte seiner fiktiven Band in seinem aktuellen Buch "Schottenrock". Die vier Helden und ihr Manager sind eigentlich ein desaströser Haufen. Die Zwillinge Eddie und Simon leiden unter dem Tod ihrer Mutter, die Schlagzeugerin Maggie darunter, dass ihre noch lebt, der Sänger Grant und der Manager Max unter dem Mafiaumfeld ihrer Väter. "Schottenrock" ist mehr als nur eine Bandgeschichte mit lustigen 80er-Jahre-Reminiszenzen. Es ist ein Sittengemälde jener Jahre, als Träume noch in Vinyl gepresst waren.

    David Ross: "Jeder hat Hoffnungen und Träume. Und dann gibt es diese jungen Menschen, die aus der Arbeiterklasse kommen, und auf jeden Fall vermeiden wollen, ohne Job dazustehen. Und Musik und Fußball sind vielleicht Chancen dem zu entkommen."
    "Es ging ganz gut los. Alle hatten sich lieb, wie in einer beschissenen Coca-Cola-Werbung. Har-fucking-monisch, weißte? The Smiths kamen mit 'Charming Man' raus, und wir sind kollektiv ausgeflippt, als das in 'Top of the Pops' lief. Ich kann mich heut noch dran erinnern, wie ich zur Band meinte, dass wir bald auf dieser Bühnen stehen würden."
    Die Miraculous Vespas schaffen es tatsächlich bis ganz nach oben. Obwohl sie aus einem miesen Kaff kommen, obwohl fast alle Dorfbewohner in Mafia-ähnlichen Strukturen agieren und obwohl es kaum Auftrittsmöglichkeiten gibt.
    "Der größte Gig in der noch relativ kurzen Karriere der Miraculous Vespas fand Mitte des Monats statt. Sie spielten im 'Tiffany's' in der Sauchiehall Street in Glasgow. Kein Geringerer als Billy Sloan hatte Max angerufen und gefragt, ob die Vespas sich vorstellen könnten, eine Band mit dem interessanten Namen 'The Jesus and Mary Chain' zu supporten."
    Dem schnellen Ruhm folgt der harte Fall. Ähnlich einer rasanten Achterbahnfahrt nimmt der Roman an Tempo auf. Die Protagonisten werden von ihrem kleinkriminellen Background eingeholt und plötzlich geht alles schief. Manager Max kommt zu allem Überfluss noch auf die fatale Idee, Boy George zu kidnappen. Ein schöner Schachzug des Autors, abgesegnet von Boy George höchst selbst.
    "Dem wundersamen Aufstieg musste ein spektakulärer Fall folgen"
    David Ross: "Tatsächlich habe ich ihn gefragt, ob es für ihn okay ist, dass wir ihn kidnappen. Ich wollte nicht, dass es Ärger gibt und ich vor Gericht lande. Ich finde, dem wundersamen Aufstieg musste ein spektakulärer Fall folgen. Und ich dachte: Das viele Geld aus dem Musikgeschäft, der unfassbare Erfolg lässt sich an keiner Figur so gut erzählen, wie an Boy George."

    David Ross' Sprache ist rau, fast hart, die Dichte an Fäkalausdrücken kurz vor der Schmerzgrenze, die Anzahl der handelnden Personen - mit ständig wechselnden Namen- eine echte Herausforderung. Dennoch schafft der Roman es, die 80er-Jahre aufleben zu lassen, ohne nostalgisch daher zu kommen. Das Buch ist nicht ganz so sozialkritisch wie sein Vorgänger. Aber Ross erinnert auch in "Schottenrock" daran, dass es Zeiten gab, in denen Bands häufiger echte Botschaften hatten und nicht überwiegend eine Beschäftigung für gelangweilte Mittelklasse Kids waren, die gerne mal in einer Casting-Show auftreten möchten. Die Welt ist eine andere geworden - und das hat einen ganz einfachen Grund, meint David Ross.

    David Ross: "Ich bin der festen Überzeugung, dass alles den Bach runtergegangen ist, als David Bowie gestorben ist. David Bowie war der Leim, der die ganze Welt zusammengehalten hat."

    David F. Ross: "Schottenrock"
    Heyne, München 2018, 448 Seiten, 17 Euro