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David Schalko: "Bad Regina"
Die Fassade des Kapitalismus

David Schalkos "Bad Regina" erzählt vom Ausverkauf eines illustren Kurortes: einst dem rauen Gebirge abgetrotzt, droht jetzt der Verfall. Schalko verwandelt dieses Szenario in eine rasant überdrehte Farce.

Von Christian Metz |
Ein Portrait des Schriftstellers David Schalko und das Buchcover seines Romans "Bad Regina"
Der Schriftsteller David Schalko und sein Roman "Bad Regina" (Buchcover Kiepenheuer & Witsch / Portrait © Ingo Pertramer)
Leere im Kopf. Nur ein einzelner Gedanke zieht wie ein Goldfisch im Glas seine Kreise. Das ist das entscheidende Bild in David Schalkos neuem Roman. Und das ist wohl auch der Geisteszustand von Othmar, der Hauptfigur dieses Romans. Vor kurzem noch stand Othmar in voller Blüte. Wie sein Name schon sagt, der aus althochdeutsch "ot" Reichtum und "mar" berühmt, sagenhaft besteht. Er war Besitzer des spektakulären Nachtclubs "Der Krake" in Bad Regina. Dann kam der Verfall.
Von Othmar. Vor allem aber auch von der Kurstadt selbst. Im Hinblick auf die Stadt, deren Ähnlichkeiten mit Bad Gastein selbstverständlich Zufall sind, kam das so: Eines Tages begann ein Investor, der sogenannte "Chinese Chen", in dem florierenden Nobelkurort, mit Grandhotel, Kliniken, Sanatorien, Thermen, Casino, straßenweise Häuser aufzukaufen. Der Investor zahlte ordentliche Summen. Allerdings, um die Immobilien anschließend leer stehen zu lassen. Was dieser Investor vor hat? Ein Rätsel. Der Leerstand ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich die Frage stellt:
"wie lange ein Haus ein Haus blieb und ab wann man es wieder Natur nennen musste."

Goldfisch im Kopf

Zur Übernahme durch die Natur, rauscht der Wasserfall inmitten der Stadt sein unablässiges Lied. Längst kennen wir die Brisanz von Wohnfragen und deren Verlauf entlang der Leitdifferenz von Leerstand und Verfall einerseits, von Wohnungsnot und Preisexplosion andererseits. Steht ganz Bad Regina leer? Nein!
Zurück geblieben sind 46 Personen, die verwurzelt und widerborstig genug sind, um den Avancen des Investors zu widerstehen. Naja – oder die mit dem Ausverkauf ihrer Heimat selbst einen Reibach machen. Wie der einzelne Goldfisch in Othmars Kopf, so zieht jeder einzelne Bewohner seine Kreise durch die Leere der Stadt.

Ein Hotelier ohne Gäste

Zur Farce wird dieses Szenario, weil David Schalko seinen Fokus auf die alltägliche Nutzlosigkeit der Übriggeblieben richtet. Vom Bahnhofsvorsteher Grün heißt es:
"Heute saß er täglich am Gleis und sah den Zügen dabei zu, wie sie durch Bad Regina fuhren. Wenn einer stehen blieb, stieg niemand aus. Grün pfiff und deutete dem Lokführer weiterzufahren. Er hielt den Normalbetrieb aufrecht. Alle hielten den Normalbetrieb aufrecht. Für den Ernstfall."
Da kein Ernstfall in Sicht ist, bleiben die Gesten leer. Bad Regina leistet sich zudem einen Priester ohne Gemeinde, einen populistischen Bürgermeister ohne Populus, einen Hotelier ohne Gäste, einen Polizisten ohne Verbrecher, oder auch ein Kind ohne Kindheit, weil ihm jeder Mitspieler fehlt. Als komischen Kontrast gibt es ein paar Personen, die gut zu tun haben: die Pflegerin etwa. Der verbliebene Zahnarzt. Oder die Wirtin vom "Luziwuzi".

Sinnlosigkeit des Rassismus

Doch diese Tätigkeiten bleiben wie diese Figuren: Randfiguren. Fasziniert hingegen ist Schalko von den Absurditäten der Nutzlosigkeit und der Art, wie diese die Körper deformiert. Klischeehaft, ja erwartbar ist hingegen, wie sich die Situation auf die Geisteshaltung auswirkt. Für die Mehrzahl der Übriggebliebenen gibt es kein Halten mehr vor lauter Antisemitismus, Rassismus, Fremdenhass, Misogynie. Etwa von Joschi heißt es:
"Auch für ihn fühlte sich ein Tod im KZ wie eine natürliche Todesursache an. Schon als Kind hatte er Gesten geübt, die anderen Angst einjagten. Einer wie Joschi hatte nur Mitleid mit Tieren, die von Menschenhand berührt wurden. Aber selbst solche musste man ohne Zögern jederzeit töten können. Denn nur, was tot war, ließ sich besitzen. Und ein Mann war das, was er besaß."

Ist das ein Naturgesetz?

Schalkos Figuren treiben es so weit, dass der Verlag sich zu dem Hinweis genötigt sah:
"Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden."
Um ehrlich zu sein, das ist eine Untertreibung. Klar, zur Farce gehört die Übertreibung. Umgekehrt gilt aber auch: sich durch eine Nazi-Gedanken-Suada nach der anderen zu arbeiten (ja, sind nur Figuren), steigert nicht unbedingt das Lesevergnügen. Und muss eigentlich jede empfundene Sinnlosigkeit Rassismus erzeugen? Ist das ein Naturgesetz?

Irreparable Gehirnschäden

Zumindest ein Gespür für eine Alternative hat Schalko. Denn seine Hauptfigur Othmar folgt nicht diesem Klischee. Othmar tut auch nicht so, als hätte er noch einen Beruf. Er teilt schlicht das Schicksal seiner Stadt. Er hat sich dem Leerstand und Verfall überlassen. Eindrücklich spiegelt sich dies in seiner Wohnungseinrichtung wider:
"Er hatte das Gefühl, ausschließlich von toten Dingen umgeben zu sein. Der Kühlschrank, der Fernseher, der Geschirrspüler, die Kaffeemaschine, die Waschmaschine, die Mikrowelle, der Wasserkocher – die Liste ließ sich endlos fortsetzen. Wann hatte er aufgehört."
Gleich und Gleich gesellt sich gern. In dieser Einsicht liegt eine erzählerische Pointe des Romans. Die Reparaturbedürftigkeit der Dinge hat sich auch schon in Othmars Körper eingeschrieben. Von Gischt geplagt, humpelt er durch sein Leben. Schuldbewusst, aber nicht liebevoll pflegt Othmar zudem den ehemaligen Star-DJ "alpha x", der seit einem Skiunfall mit irreparablen Gehirnschäden im Rollstuhl sitzt. Von dessen Schadensersatzforderung vegetieren die beiden vor sich hin. Wie so manche Komödie ist auch Schalkos Roman dort am besten, wo er ernst macht und Fragen nach Reparatur und Entscheidung engführt. Kann man an diesem Leben noch was (selbst) reparieren? Einfach abwarten? Lieber zur Tat schreiten?

Othmars Gedankenwelt

Othmars Liebe zu Selma, vielleicht die schönste Facette des Romans, könnte eine Möglichkeit eröffnen. Tut sie aber nicht. Die Liebe und die Frauen richten nicht einfach wieder, was in die Brüche gegangen ist. Obwohl alle Frauenfiguren von "Bad Regina" weniger schicksalsergeben sind als die Männer. Othmar selbst muss in die Gänge kommen. Aber wie? Und damit tritt es wieder in Erscheinung: das gedankliche Goldfischkreisen in seinem Kopf. Wiederholt beleuchtet der Erzähler Othmars Geisteszustand, um stets zu folgern. Es ist nichts los. Entweder mit:
"Othmars Gedanken schweiften ab. Er holte sie mit einem betrunkenen Seufzer zurück."
Oder auch mit Wendungen wie:
"Othmar kniff die Augen zusammen, als würde er kurz vor der Lösung stehen. Aber kein einziger Gedanke weit und breit."
So geht das immer weiter, gerne auch noch abschätziger. Und das wird nun wiederum zum größten, wenn auch nicht einzigen Erzählproblem dieses Romans.

Gut gefüllt, gähnend leer

Eine literarische Farce ist eigentlich ein Zwischenstück. Ohne Handlung, überschlägt sich dort einfach alles, bis zum totalen Überdreh. Nach diesem Vorbild sind die ersten knapp fünfzig Seiten von Schalkos "Bad Regina" großartig, die Dialoge scharf gestochen, das Szenario skurril, die Ereignisse absurd. Die Farce lebt von Hohlköpfen und plappernden Großmäulern, die ihre Klischees auf Hochglanz polieren. Ein Roman hingegen benötigt eine Handlungskonstruktion. Wenigstens irgendeine Tat, einen Grenzübertritt. Im leerstandsverwahrlosten Kopf eines Othmars kann die Idee zu einer solchen Tat aber nicht reifen.
Darüber kann man als Erzähler Witze machen. Aber irgendwann sind die fad. Noch bevor Othmar plötzlich eben doch die rettende Idee gebären muss. Sein mittelprächtiger Vorschlag: dem Investor heimlich folgen, ihn entführen und schließlich dessen eigentliche Beweggründe aus ihm herauskitzeln. So kommt’s.
Die anderen Übriggebliebenen machen mit. Sowieso, denn sie sind ja – wie wir gelernt haben – eh nicht so helle. Das Opfer der Massenentführung landet selbstverständlich in Othmars ehemaligen Club. Während der Schattenmann, der hinter dem Investor Chen die Strippen zieht, unbemerkt die Stadt heimsucht. Heißt für den schlecht konstruierten Roman: Nach rasantem Beginn drehen die Räder des Erzählens hohl, erzeugen über weite Strecken nur heiße Luft, kommen aber nicht vom Fleck. Bis endlich das furiose Finale eintritt. Das ist dann zum Glück wieder eine Farce.
David Schalko: "Bad Regina"
KiWi Verlag, Köln, 400 Seiten, 24 Euro.