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DDR-Geschichte auf der Bühne

Texte, die in der DDR geschrieben wurden, mussten vor allem eines können: warten – das hat Heiner Müller gesagt, und auf Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz" trifft es voll zu. Als das Buch vor zwei Jahren zum ersten Mal verlegt wurde, war sein Autor schon seit über 30 Jahren tot. Jetzt gab es die Uraufführung am Maxim Gorki-Theater in Berlin.

Von Hartmut Krug |
    Werner Bräunigs Entwicklungsroman nimmt den Leser schnell gefangen durch seine erzählerische Wucht und sprachliche Intensität. Zugleich verstört er durch seine farbige Düsterkeit, - und fasziniert durch die Subtilität, mit der Haltungen und Emotionen von Menschen vorgeführt werden, die in einer Übergangszeit zwischen Faschismus und Sozialismus ihren neuen Weg finden müssen. Die Inszenierung von Armin Petras setzt von Anfang an gegen die epische und atmosphärische Kraft des Romans ein demonstrierendes, oft clowneskes Spiel. Auf einer leeren, weit aufgerissenen dunklen Bühne gibt es weder Naturalismus noch szenischen Realismus, daran ändern weder die Presslufthämmer oder die dreckverschmierten Gesichter etwas. Sie sind nur Zeichen, wie die Videoeinspielungen, die Untertagesituationen von der Unterbühne übertragen oder die technische Entwicklung mit Sputnik und Weltraumfahrt zeigen. Bräunigs Roman lebt von den farbigen Beschreibungen der Situationen und Handlungen und von den vielen inneren Monologen seiner Figuren. Armin Petras übersetzt sie nur selten in dialogische Szenen, sondern läßt sie oft von einzelnen einfach erzählen, oder einmal sogar, von der famosen Britta Hammelstein in der Rolle der Kellnerin, singen:

    So behält die Bühnenfassung, obwohl sie die 750 Seiten des Romans auf nur 83 Seiten komprimiert und dabei die in Westdeutschland spielenden Handlungsstränge ausspart, immerhin die erzählerische Handlungsklarheit des Romans, - wenn auch die psychologische Entwicklung der Figuren unter den Kürzungen leidet. Bräunigs Figuren werden bei Petras ohnehin vor allem zu puren Theater- und Genre-Figuren, sie erscheinen als szenische Behauptungen und ihre Haltungen oft nur als, wenn auch unterhaltsame, Setzungen. Wenn zum Beispiel im Roman die Arbeiter der erzgebirgischen Uran-Gruben in ihrer Kneipe mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und ideologischen Prägungen düster schmerzhaft aneinander geraten, so stehen auf der Bühne durchaus wunderbare Komödianten in einer Reihe und demonstrieren, wie komisch das bunte Volk streiten kann. Der Rummelplatz wirkt wie ein Erholungsraum auch für den Zuschauer: Wenn Diskokugeln glitzern und Discosound dröhnt (von Kim Wilde bis Jennifer Rush), und wenn Regine Zimmermann in der Verkleidung eines Fahrers der Wismut unterm Schnauzbart ihren pfälzerisches Dialekt hervorzischelt, dann fühlt man sich wunderbar unterhalten. So sauber, saukomisch, harmlos und verharmlosend wirkt die zuweilen von einer Art industriellem Sound untermalte und in viele clowneske, aber auch einige ernsthafte schauspielerische "Nummern" zerfallende Aufführung meist. Wunderbar immerhin, wie Peter Kurth als Obersteiger seine mineralogischen Erklärungen wie einen psalmodierenden Vortrag an der Rampe hält. Doch die ernsthafte Suche der Menschen nicht nur nach einem besseren, sondern vor allem nach einem anderen Leben und ihre existentielle, sie prägende Auseinandersetzung mit der Maschine, aber auch ihre sinnliche körperliche Erfahrung und Selbstvergewisserung beim Kampf mit dem Gestein, sie werden zwar zitiert, aber nicht als entscheidende Themen wichtig genommen.

    Wenn die Männer in fluoreszierender Beleuchtung bei einem komischen Kampftanz mit dem Gestein die Atom-Zeichen auf weißer Unterwäsche und nackten Beinen leuchten lassen, oder wenn die Arbeiterin Ruth, die sich als erste Frau die Arbeit an der Maschine erkämpft, zunächst mit dem Schwibbogen als Harfe wie eine erzgebirgische Märchenfigur auftritt, dann werden Bräunigs aus Zweifeln, Ängsten und Sehnsüchten geborene Figuren zur wirkungssicheren Karikatur verharmlost.
    Besonders schlimm trifft es die Figur des Professorensohns Christian, der nicht studieren darf und sich erst einmal Schwielen in der Produktion holen soll. Milan Peschel spielt ihn wie ein schauspielerisches Selbstzitat mit allen expressiven darstellerischen Volksbühnenunarten: Das ist von Anfang an ein giftiger Kleinbürger, der als parteilicher Spießer endet. Bräunig war auf der Suche und ließ seinen Christian auf die Suche nach Erfahrungen gehen, Petras und Peschel aber richten sich im bekannten Klischee ein.
    Das Publikum spendete der dreieinhalbstündigen Aufführung durchaus respektvollen Beifall.