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DDR-Geschichte
Schlussstrich drunter oder aufarbeiten?

In Thüringen wird jetzt darüber nachgedacht, die Lehrpläne zu überarbeiten. Im Gespräch sind auch verpflichtende Gedenkstättenbesuche.

Von Henry Bernhard | 22.03.2016
    Jeden Tag schieben sich Schülerklassen durch die Gedenkstätten und Erinnerungsorte, die an die Zeit und die Verbrechen des Nationalsozialismus oder an die SED-Diktatur in der DDR erinnern. "Lernen am authentischen Ort" soll den Schülern ein detailreicheres Bild vermitteln, als es die Schule vermag.
    Wenn die Schule diese Themen überhaupt anspricht: Viele Schüler erfahren im Laufe ihrer Schulzeit nichts über die DDR. So ging es auch Maximilian Reichel-Schindler. Er hat durch einen Schulwechsel die 10. Klasse sogar zweimal absolviert.
    "In beiden Schulformen habe ich bis zur 10. Klasse nichts von der DDR gehört. Erst jetzt in der Oberstufe habe ich den Grundkurs belegt, und ich hatte diesen Vergleich zwischen BRD und DDR und vor allen Dingen den 17. Juni '53 auch behandelt. Aber ich bin der einzige in meinem Kurs an der Schule, der das Thema hatte. Das ist das, was ich an den Schulen so mitbekomme. Und das sieht auch nicht viel anders aus an anderen Schulen."
    Maximilian Reichel-Schindler hat einen guten Überblick über die Thüringer Schulen, er ist Landesschülersprecher. Er nahm auch an der Diskussion über die DDR in der Schule teil, die die Point Alpha Stiftung in ihrem Museum auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze in der Rhön veranstaltete. Der stellvertretende Direktor der Stiftung, Berthold Dücker, kennt diesen Zustand und erinnerte an die misslungene oder verspätete Aufarbeitung der NS-Diktatur, die er in Ost und West erlebt hat, an Schlussstrichdebatten und an das Schönreden der Vergangenheit.
    "Was tun wir da eigentlich unseren Kindern an? Können wir das tatsächlich verantworten? Ich finde: nein. Für mich ist das, was wir uns da zum zweiten Mal bei der Überwindung einer Diktatur erlauben, schlicht Staatsversagen zulasten einer freiheitlichen, friedlichen und demokratischen Zukunft unseres Landes. Wir versündigen uns an unseren Kindern und Kindeskindern und deren Zukunft."
    Denn das Lernen über die Vergangenheit sei wichtig für die Demokratiebildung von heute und morgen. Dennoch gebe es heute viele Lehrer, die wegen ihrer eigenen Verstrickung nicht über die SED-Diktatur reden wollen oder können.
    "Dass mir ein Thüringer Lehrer sagt, er würde sich nicht trauen, im Unterricht die DDR zu behandeln, weil er dann Ärger bekäme sowohl mit einem Großteil des Kollegiums wie mit einigen Eltern. Außerdem fühle er sich mit dem Thema überfordert, weil er von oben alleingelassen wird. Und dass ein hessischer Lehrer hier offen die Meinung vertreten hat, die zweite deutsche Diktatur ausschließlich dort aufzuarbeiten, wo sie schließlich stattgefunden habe. Ihn ginge das nichts an."
    Von der Politik verlangte er deshalb, dass die Lehrer gezwungen werden müssten, sich dem Thema DDR zu stellen – im Unterricht und bei verpflichtenden Gedenkstättenbesuchen. Die Bildungsministerin, Birgit Klaubert, ist sich des Problems nur zu bewusst:
    "Nun sind unsere Lehrpläne seit 2012 kompetenzorientierte Lehrpläne. Das heißt: Zu den Inhalten im Unterricht werden weniger konkrete Vorgaben gemacht und Lehrerinnen und Lehrer haben relativ große Spielräume bei dem, was sie als Unterrichtsstoff auswählen. Die Beschäftigung mit der DDR findet durchweg im Bereich der obligatorischen Lehrinhalte statt. Und dort gibt es auch nicht den Spielraum, etwas wegzulassen."
    Dennoch: Eine statistische Untersuchung sagt, im Osten erfährt jeder fünfte Schüler nichts über die DDR, jeder Dritte vorwiegend Positives. Im West-Schulen wird die SED-Diktatur etwas häufiger behandelt, mit deutlich negativerer Sicht auf die DDR. Die Thüringer Bildungsministerin musste einräumen, dass es letztlich an den Lehrern selbst liege, was sie behandeln und wie.
    "Wir regen natürlich immer wieder an, Fortbildung zu machen, aber da ist ein weites Feld. Und dann entscheidet letzten Endes der Kollege, was er tut und was er nicht tut. Und ich werde einen Teufel tun, das sage ich auch, hier irgendwas zu indoktrinieren und sagen, das muss jetzt aber sein. Das hat dann auch Geschmäckle."
    Auch Pflichtbesuche in Gedenkstätten lehnt sie ab. Ebenso wie viele Gedenkstättenmitarbeiter. Vielmehr müssten Anreize geschaffen, Angebote gemacht werden, die die Lehrer annehmen können, aber nicht müssen. Die Diskussion wird wohl nicht die letzte zum Thema gewesen sein.
    "Also: Demokratie ist ein schwieriger Weg!"