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DDR in LA

Wer mehr über die Alltagskultur der DDR wissen will, studiert in - Los Angeles! Ja, am Wende Museum! Derzeit sind Studenten der Universität Leipzig in Los Angeles, um mit Studenten aus Kalifornien eine virtuelle Ausstellung über die DDR zu schaffen.

Von Kerstin Zilm | 22.09.2010
    Über Fotos, Speisekarten, Bücher und Zeitschriften gebeugt sitzen zehn Studierende eng nebeneinander um den Tisch der kleinen Bibliothek des Wende Museums. Mit weißen Handschuhen betasten sie ihre Forschungsobjekte. Den Geschichtsstudenten Jochen Krüger und Richard Bachmann aus Leipzig kommt manches bekannt vor:
    "Die Plaste-Tassen zum Beispiel - ich weiß noch genau wie der übersüßte Pfefferminztee daraus geschmeckt hat."

    "Das Kochbuch, was da liegt 'Wir kochen gut', das liegt auch bei uns in der Küche. Wenn man das in ganz anderen Kontext sieht, entwickelt man eine ganz andere Perspektive darauf."

    Neben den Leipzigern schaut sich Jess Malik aus Los Angeles eine Mundharmonika genauer an. Die 22-Jährige ist seit ihrem Studium zur europäischen Geschichte mehr und mehr fasziniert von dem Phänomen der "Ostalgie". Sie ist begeistert davon, wie viel sie im Wende Museum über DDR-Alltag lernen kann.

    "Dass es ostdeutsche Modeschauen gab, das fasziniert mich wegen der verschiedenen Moden, die man zeigen wollte. Die Vorstellung, dass etwas, was mir so normal vorkommt, etwas über die Kultur sagen kann, ist total cool."

    Ihre Kommilitonin Ashley Nöhrbass ist in den USA geboren, hat aber einen deutschen Vater. Alles, was sie von der DDR weiß, hat sie von ihm oder im Schulunterricht gehört. Durch den Workshop und die Arbeit mit den deutschen Studierenden verändert sich ihr Bild vom DDR-Alltag.
    "Ich wusste nichts über Kommune und das Gefühl von DDR, ich dachte alle waren unter der tyrannischen Herrschaft unglücklich. Jetzt habe ich anscheinend gelernt, dass es eine größere Kultur gab, soziologisch gesehen und Leute es sogar vermisst haben."

    Das Wende Museum bietet viel Material für das transatlantische Studienprojekt zum Thema "Leben in einer sozialistischen Stadt". Zum Beispiel Fahnen und Uniformen, Tagebücher, Spielzeug und Fotoalben.

    Gesammelt hat das alles sein Gründer Justin Jampol. Der kalifornische Historiker sammelte zunächst auf Reisen durch Osteuropa Objekte für sein Studium der DDR-Alltagskultur. Nach der Wende rettete er Material von Müllhalden, durchforstete Speicher und Keller in Frankfurt an der Oder, Berlin und Leipzig nach historischen Zeugnissen und brauchte bald einen Raum für seine Sammlung. Im Jahr 2002 gründete er das Museum in Los Angeles, das mit Stiftungsgeldern und Spenden finanziert wird. Das beeindruckt auch die Kunsthistorikerin Cristina Cuevas Wolf. Sie koordiniert das Workshop-Projekt des Wende Museums:
    "Wir sehen unsere Mission als eine, die international orientiert ist. Diese Möglichkeit, durch Studenten diese internationale Beziehung zu etablieren, war ein Wunsch von Justin. Das ist eine Stufe in die Richtung, die er gehen möchte."

    Das Konzept geht auf. Das große Archiv des Wende Museums reizt Studierende in Los Angeles, sich mit deutscher Geschichte zu befassen, erklärt Professorin Elizabeth Drummond. Sie ist Dozentin an der Loyola Marymount Universität, die sich am transatlantischen Projekt beteiligt:
    "Die lesen, hören von den Professoren, was passiert ist, lesen Texte und Berichte von Zeitzeugen und Historikern, aber es ist anders. Das ist praktische Arbeit und sie lernen etwas über die DDR. Das ist gut, denn es gibt wenig davon und es ist eine Möglichkeit, etwas Neues und Spannendes zu machen."

    Für die Forscher, die extra aus Deutschland angereist sind, um am Wende Museum zu forschen, ist es zunächst etwas ungewöhnlich, in Los Angeles Geschichte des Kalten Krieges zu studieren, gibt Historiker Leonard Schmiedinger von der Universität Leipzig zu. Er hat durch den Workshop gemerkt, dass sich deutsch-deutsche Geschichte mit Abstand zu den historischen Orten unbefangener erforschen lässt.
    "Warum geht man in den Westen, um den Osten zu suchen? - Also hier in LA sind wir ein bisschen freier und - um es etwas kontrovers zu formulieren - jenseits der Einschränkungen, die der deutsche Geschichtsdiskurs mit sich bringt. "

    Außerdem bringen die deutschen Studierenden ihre eigenen Erfahrungen aus der Zeit nach der Wende, die Erzählungen von Eltern, Großeltern und Freunden zum Austausch im Wende Museum. Sie helfen so den jungen US-Historikern deutsche Geschichte besser zu verstehen. Richard Bachmann aus Leipzig, der das Kochbuch seiner Familie als Museumsstück entdeckte erzählt, er lernt durch den Workshop auch viel über sich selbst:

    "Das ist für mich auch interessant, die amerikanische Kultur zu entdecken und dann die DDR-Kultur zu entdecken, zwei Kulturen zu entdecken, die mich geprägt haben in meinem Denken und wie ich Dinge sehe, das ist extrem spannend."