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DDR-Studie
Dokumentation über Todesopfer an der innerdeutschen Grenze

Eine umfangreiche Dokumentation zu den Mauertoten an der innerdeutschen Grenze haben Forscher der FU Berlin erstellt. Dazu recherchierten sie akribisch in Stasi-Archiven, auf Gemeindefriedhöfen, in Akten der Staatsanwaltschaften und Gesprächen mit Zeitzeugen. 327 Menschen kamen an der deutsch-deutschen Grenze zu Tode.

Von Claudia van Laak | 07.06.2017
    Das erste Mahnmal in Mecklenburg-Vorpommern für Todesopfer an der früheren innerdeutschen Grenze ist am 19.08.2013 auf dem ehemaligen Todesstreifen bei Kneese (Mecklenburg-Vorpommern) zu sehen.
    Mahnmal für Grenzopfer bei Kneese (dpa / picture-alliance / Jens Büttner)
    327 Tote allein an der innerdeutschen Grenze infolge des DDR-Grenzregimes zählen die Wissenschaftler. Kulturstaatsministerin Monika Grütters über das jüngste und das älteste Todesopfer:
    "Emanuel Holzhäuer wurde nur sechs Monate alt, er erstickte im Juli 1977 im Kofferraum eines Fluchtfahrzeugs. Und Ernst Wolter, ein 81jähriger Bauer aus Lüchow-Dannenberg geriet im Juni 1967 versehentlich in ein Minenfeld. Landminen rissen ihm beide Beine ab, und er verblutete unter den Augen eines DDR-Regimentsarztes, der den verminten Grenzstreifen seinerseits nicht zu betreten wagte".
    "Um die 1.000 Menschen Opfer des DDR-Grenzregimes"
    327 Todesopfer entlang der etwa 1.400 Kilometer langen deutsch-deutschen Grenze, außerdem 139 Tote an der Berliner Mauer. Dazu kommen diejenigen DDR-Bürger, die starben, als sie versuchten, über Rumänien oder Bulgarien zu fliehen – eine Zahl, die nur geschätzt werden kann, sagt DDR-Forscher Klaus Schröder. Außerdem:
    "An der Ostsee schätzt man knapp 200 Tote, aber hier gibt es keine verlässlichen Zahlen, sondern nur Annahmen. Wenn man das summa sumarum nimmt, kann man schon sagen, dass um die 1.000 Menschen Opfer des DDR-Grenzregimes wurden.
    Die Forscher haben sich entschieden, auch 44 DDR-Grenzsoldaten, die im Dienst Selbstmord verübten, zu den Opfern des DDR-Grenzregimes zu zählen. Eine Entscheidung, die bei SED-Opferverbänden für Kritik sorgen könnte. Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin:
    "Das Bild der Grenztruppen, das wir vor Beginn der Forschung hatten, hat sich durch die Forschung geändert. Es gab sehr viele mutige junge Männer in den Grenztruppen, die sich geweigert haben, die Waffe gegen Zivilpersonen anzuwenden."
    Akribische Recherchen
    Die 684 Seiten starke Dokumentation ist das Ergebnis von akribischen Recherchen in Stasi-Archiven, auf Gemeindefriedhöfen, in Akten der Staatsanwaltschaften, in Gesprächen mit Zeitzeugen. Mit der heutigen Veröffentlichung – einem Totenbuch - werden 327 Einzelschicksale detailliert dokumentiert. Kulturstaatsministerin Monika Grütters über die Bedeutung dieser historischen Forschungen für die Gegenwart:
    "Die Auseinandersetzung mit Einzelschicksalen, also die Erinnerung an Menschen, deren Sehnsucht nach Freiheit größer war als die Angst vor den Unterdrückern der Freiheit, kann motivieren, persönliche Handlungsspielräume nicht nur zu erkennen, sondern eben auch zu nutzen."
    Grütters kündigte heute außerdem an, die DDR-Grenzmuseen weiter zu fördern und deren Ausstellungen zu modernisieren.