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De Dominicis im Maxxi

Das neue Maxxi-Museum in Rom wurde von der britisch-irakischen Star-Architektin Zaha Hadid entworfen. Doch schon die erste Ausstellung stößt auf Kritik: Eigentlich der Kunst des 21. Jahrhunderts gewidmet, wird mit Gino De Dominicis ein italienischer Klassiker gezeigt.

Von Thomas Migge | 27.05.2010
    "Das Schlecht-über-jemanden-reden hat gegenüber dem Gutmenschentum den Vorteil, dass diskutiert wird, dass man etwas bewegt und nicht alles gleich als vorgegeben nimmt. Deshalb kritisiere ich all jene Hohepriester der zeitgenössischen Kunst, die sich weigern, in einem Museum für die Kunst des 21. Jahrhunderts auch einen Raffael auszustellen. Ich weiß, dass ich hier der einzige bin, der so denkt."

    Vittorio Sgarbi ist nicht nur einer der prominentesten Kunsthistoriker Italiens, sondern auch ein Provokateur erster Klasse. Das wird sich auch der Kulturminister gedacht haben, als er Sgarbi zu einem der Chefeinkäufer für das Maxxi nominierte. Das Maxxi, das Museum für die Kunst des 21. Jahrhunderts, wird jetzt, endlich, eröffnet. Eröffnet mit Kunst. Vor Monaten gab es bereits eine erste Eröffnung, die allein der Architektur gewidmet war. Damit wollte man das lang ersehnte Ende der zehn Jahre dauernden Bauarbeiten feiern. Das Gebäude, ein wellenförmiges Meisterwerk der britisch-irakischen Architektin Zaha Hadid, ist ein Museums-Unikum: abgerundete Korridore, nur wenige gerade Flächen und die Offenheit aller Räumlichkeiten untereinander machen es zu einem eigenen Kunstwerk. Doch für permanente und Wechselausstellungen, meinen die Kritiker Hadids, sei das Maxxi unbrauchbar.

    Museumsdirektor Pio Baldi sieht das ganz anders:

    "Jetzt ist das Maxxi endlich komplett. Mit Kunst und jeder wird sehen können, dass man auch in einem Gebäude, das schon für sich eine Skulptur ist, auch Kunst ausstellen kann, ohne dass diese in den Hintergrund rückt. Der Inhalt wird nicht vom Behälter erdrückt oder verdrängt, sondern geht mit diesem eine eigenwillige Symbiose ein. Wir müssen uns von der Idee trennen, dass zeitgenössische Kunst einfach nur in einem Raum ausgestellt wird und mit diesem nicht korrespondiert. Wir dürfen uns nicht nur an der Vergangenheit und ihren Ideen ausrichten."

    So weit so gut. Warum aber wird das Maxxi dann mit einer großen Retrospektive zum Schaffen von Gino De Dominicis eröffnet? Einem Künstler, der - er starb 1998 - nicht unbedingt als "zeitgenössisch" bezeichnet werden kann. Die Entscheidung für De Dominicis, so der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor der Biennale in Venedig Francesco Bonami, zeige, dass das Maxxi-Museum ein Maxxi-Flop sei:

    "Das wird für den Besucher eine ziemliche Überraschung! Da wurde ein Museum für die Kunst des 21. Jahrhunderts errichtet, für immerhin rund 150 Millionen Euro, und da wird ein italienischer Klassiker ausgestellt. Nichts gegen De Dominicis, aber da hat man sich, angesichts dieses Museums, wirklich für einen singulären Protagonisten entschieden."
    Gino De Dominicis ist sicherlich einer der interessantesten und umstrittensten italienischen Nachkriegskünstler. Ein Eklektiker, der sich in keine Tendenzen-Schublade der Kunstentwicklung nach 1945 stecken lässt. Er war Bildhauer und Architekt. Seine Kunst zeigt Anklänge an die Arte Povera, an die Transavanguardia und die Konzeptkunst. De Dominicis gab sich als geheimnisvoller Dandy, wollte nie über sein Werk sprechen. Von seinem komplexen Schaffen ließen sich alle Künstler Italiens der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts – siehe vor allem Cattelan und Pistoletto – beeinflussen. Berühmt ist sein "Skull with long nose": ein weißer Totenkopf mit einer langen violetten Pinocchio-Nase.

    Pio Baldi verteidigt die Ausstellung: Seiner Meinung nach repräsentiere De Dominicis wie kein anderer italienischer Künstler "das ins 21. Jahrhundert Weisende der Kunst der letzten 50 Jahre". Für ihn ist De Dominicis der Prototyp des nichtklassifizierbaren Multitalents, das keine Schablonen, Limits und Grenzen akzeptiert – wie auch Zaha Hadids Museumsbau, so Baldi, nicht klassifizierbar ist. Eine Einschätzung, die von den meisten Kollege Baldis nicht geteilt wird und üble Polemiken provoziert. Einige Kunsthistoriker fordern sogar die Beschlagnahmung des Museums durch die Finanzpolizei, weil Millionen und Abermillionen Euro Steuergelder für, so beispielsweise Bonami, "kalten Kaffee" ausgegeben wurden.

    Direktor Pio Baldi zufolge handelt es sich hingegen um eine Eröffnungs-Ausstellung die am Beispiel eines Künstlers verdeutliche, wie das 20. in das 21. Jahrhundert verweise. Und dann, erklärt er, seien da ja noch die über 300 Werke der permanenten Sammlung:

    "Dieses Museum bietet Räumlichkeiten wie kein anderes seiner Art. Es gibt genügend Raum für die Werke von Boetti und Kapoor, von Kentridge, le Witt und vielen anderen. 90 Objekte stehen außerhalb des Museums und führen in das Innere, wo die übrigen Objekte zu sehen sind. Auf diese Weise wollen wir das Fließende der Architektur Hadids herausstreichen. Und wenn wir ein Gemälde nicht an die Wand hängen konnten, weil die Wand rund ist, dann befestigten wir es an der Decke oder stellten es mitten in einem Raum auf."

    Baldis Idee einer neuen Ausstellungskonzeption innerhalb eines ganz neuen Museumsraums stellt traditionelle Vorstellungen von einem Raum für Kunst auf den Kopf. Das ist sicherlich gewagt, aber auch äußerst reizvoll. Auch deshalb, weil es vom Besucher ein Mitdenken verlangt. In diesem Kontext wird auch die Entscheidung für eine Retrospektive der Werke von De Dominicis verständlich: er wies mit seinem Schaffen in eine nicht traditionelle, nicht definierbare, für alle Entwicklungen offene Zukunft der Kunst, in der alles möglich und erlaubt ist.