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Debatte über indigene Relikte in westlichen Museen

In manchen europäischen Museen seien mehr Exponate indigener Kulturen versammelt als dort, wo sie gefunden wurden, sagt der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Volker Rodekamp. Die Häuser müssten deshalb diskutieren, ob es nicht sinnvoller sei, diese Kultur vor Ort zu belassen.

Volker Rodekamp im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Eigentlich steht das Museum für das Abgeschlossene, das, was Geschichte geworden ist und deshalb gut eingekastelt in der Vitrine steht. Aber so einfach ist das nicht. Denn das Sammeln, das zum öffentlichen Museum führte, hat zwar einen historischen Anfang – nämlich am Beginn der Neuzeit in Europa –, hat aber kein Ende. Das Problem, wohin mit den Sachen, wegwerfen oder aufbewahren, das kennt ja schon jeder, der ein paar Bücher unterzubringen hat. Auch Museumsleute müssen sich mit den heute verschärften Bedingungen des Sammelns befassen, überfüllte Depots, wenig Geld, das sind nur Beispiel. Und das, sich befassen, das tun sie bei der Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes, die jetzt in München stattfindet. Dort gibt es auch ein Bier- und Oktoberfestmuseum, in München, da sieht man schon, um welche Vielfalt von Museen es überhaupt geht, Kunst, Archäologie, Geschichte, Völkerkunde, Naturwissenschaften und so weiter. Volker Rodekamp, Präsident des Deutschen Museumsbundes, den habe ich deshalb gefragt, ob diese Sammelproblematik etwas ist, was sie alle vereint?

    Volker Rodekamp: Ich denke schon, denn das Museum ist eine Institution, die sich zunehmend mehr mit der Zukunft des Sammelns auseinandersetzen muss aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Und es stimmt uns nachdenklich, wir sind nicht ganz sicher, ob die traditionellen Sammlungsüberlegungen auch in der Zukunft noch Leitfunktionen haben. Also, wir sprechen über ein Kernthema unseres Selbstverständnisses, und deswegen ist es spannend und deswegen öffnen wir auch diese große Bühne, um die ganz unterschiedlichen Perspektiven zur Diskussion zu stellen.

    Novy: Hat das was mit den vervielfachten Möglichkeiten des Sammelns heute zu tun? War es früher einfach eingeschränkt technisch und hat deswegen nicht solche Probleme verursacht? Und heute, im Zeitalter der Massenproduktion und -konsumption, ist das anders geworden?

    Rodekamp: Ja, auch. Es gibt Museen, die sammeln die Objekte wegen ihrer Bedeutung, ihrer Werthaltigkeit, ihrer Außergewöhnlichkeit. Es gibt aber auch Museen, die sich mit Alltagsgeschichte beschäftigen. Wir haben stärker mit dem Problem umzugehen, wie man den Ding-Überlieferungen, also diesen Ding-Fluten, die in die Magazine hineinströmen, wie man diesen begegnen kann. Die naturwissenschaftlichen Museen zum Beispiel sind sehr viel forschungsorientierter in ihrer Sammelpraxis, das heißt, sie dokumentieren die Vielfalt des Lebens auf der Welt und sind gleichzeitig erschreckt darüber, dass zum Beispiel in den großen Forschungsmuseen, in den großen naturwissenschaftlichen Forschungsmuseen, auch die Welt gewissermaßen versammelt ist, die heute in der Wirklichkeit kaum noch existent ist. Artenvielfalt als Beispiel. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was es kostet, die Welt in den Museen zu versammeln. Es ist ein ganz komplexes Thema, und ich denke, es ist hoch spannend und aktuell, weil es eben halt am Selbstverständnis unserer eigenen Institutionen rüttelt.

    Novy: Sie erwähnen in Ihrem Eingangstext auch die Konkurrenz privater Sammler. Wo, außer in der Kunst, sind diese Sammler Rivalen, weil sie eben mehr Geld haben – sind sie überhaupt direkte Rivalen?

    Rodekamp: Sie sind Rivalen, aber in der Kunst ist es natürlich in besonderer Weise augenfällig, da sind wir ein Stück weit sogar abgehängt. In der Alltagspraxis gibt es das auch, aber unter anderen Vorzeichen. Da gibt es Sammler, die auf, ich sagen jetzt mal, Universalität setzen. Es gibt leidenschaftliche Sammler, die zum Beispiel sich nur um Fingerhüte konzentrieren oder um Emailleschilder …

    Novy: Ja, und kaufen die den Museen etwas weg?

    Rodekamp: Die kaufen den Museen nicht unbedingt etwas weg, aber sie definieren die neue Form des Sammelns, die auch bei ihnen auf Universalität ausgeht, und wir sammeln aber erkenntnisorientiert, das heißt, wir müssen selektieren. Und das Sammeln eines Museums hat einen anderen Ursprung als die Sammelleidenschaft eines Privatmanns.

    Novy: Ein Thema der Fachgruppe Archäologie wird der Umgang mit menschlichen Überresten sein, etwas, was man früher überhaupt nicht problematisiert hat, und schon gar nicht in der Archäologie. Die Sensibilisierung dafür scheint also im Gang zu sein. Was bedeutet das?

    Rodekamp: Das ist ein großes Problem nicht nur der archäologischen Museen, sondern der völkerkundlichen Museen. Es sind insbesondere seit dem Zeitalter des Kolonialismus große Sammlungen nach Europa gelangt, unter anderem auch menschliche Überreste. Wir sprechen nicht nur von Schädeln oder menschlichen Langknochen, sondern wir sprechen auch von menschlichem Gewebe, was in Ritualgegenständen auch verborgen ist. Indigene Kulturen verlangen einen gerechten und fairen Umgang mit diesen Sammlungen. Manche verlangen Restitution, Rückgabe. Australien zum Beispiel ist ein Kontinent, in dem das kulturelle Erbe der Buschmänner neu zur Diskussion gestellt wird, und man verlangt von den europäischen Museen nunmehr eine Haltung. Und wir müssen mit diesem Thema umgehen und haben vor Kurzem auch eine Art Handreichung erarbeitet im Kollegenkreis, wie man mit menschlichen Überresten in öffentlichen Sammlungen umgeht. Aber Sie können auch daran erkennen, wie aktuell das Thema des Sammelns in der Gegenwart geworden ist.

    Novy: Es gibt ja auch einen Vortrag darüber, wie Amazonasindianer europäische Museen oder westliche Museen sehen. Wissen Sie schon, was für ein Blick das ist?

    Rodekamp: Das ist ein skurriler Blick, ein Blick, der vieles hinterfragt und unser Selbstverständnis, was wir gewissermaßen gar nicht hinterfragt haben oder hinterfragen, immer noch nicht, wie es wirkt eigentlich auf betreffende Kulturen, aus denen heraus diese Gegenstände rausgelöst sind. Manchmal ist es so, dass in den europäischen Museen mehr Kulturgeschichte versammelt ist über indigene Kulturen als dort vor Ort. Und diese Menschen fragen natürlich, wie dies geschehen konnte. Wie eigentlich die heutige Verantwortung in der Welt aussieht und wie wir damit umgehen, wenn wir zum Beispiel darüber diskutieren, ob es nicht sinnvoller ist, diese Kultur vor Ort bei den Menschen zu belassen und nicht als ein Exotikum in unseren Sammlungen zu präsentieren.

    Novy: Unverhoffte Einsichten, von denen es sicher noch mehr geben wird bei der Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes. Und ich sprach mit Volker Rodekamp.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.