Katja Lückert: Wenn es um Kunst geht, ist zurzeit ständig von Rückgabe, von Restitution, von Wiedergutmachung die Rede. Nicht nur im Fall der NS-Raubkunst, sondern auch bei der kolonialen Raubkunst. Gestern übergaben die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Bericht, in dessen Folge es in manchen Museen Frankreichs bald recht leer aussehen könnte. Der Verein "Berlin Postkolonial" hat jetzt zusammen mit anderen Organisationen eine Erklärung zur Dekolonisierung der Erinnerungskultur abgegeben.
Das Ende des deutschen Kolonialreichs in Afrika jährt sich in diesen Tagen zum 100. Mal, daran erinnern zehntausende, im kolonialen Gewaltkontext angeeignete Kulturgüter in deutschen Museen. War es immer und ohne Ausnahme ein Gewaltkontext? Weiss man eigentlich jeweils genau, vor welchem rechtlichen Hintergrund man etwa Ende des 19. Jahrhunderts tauschte, schenkte und handelte mit den Europäern?
Christian Kopp: Man kann sicher sagen, dass es für jedes Objekt eine eigene Geschichte gibt, und dass die sich sehr unterscheiden können. Die kolonialen Situationen waren sehr unterschiedlich, aber ich glaube, dass es keinen Zweifel geben kann – und das betont auch noch mal der Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr – dass Kolonialismus an sich einen Unrechtskontext darstellt.
Einen Kontext, in dem es eine starke Asymmetrie in politischer und militärischer Macht gab, wo man nicht von einem fairen Aufeinandertreffen reden kann.
Bundesregierung muss sich zur Kolonialgeschichte positionieren
Und genau das scheint uns die Krux zu sein, das ist auch das, wo die Bundesregierung sich bisher nicht eindeutig positioniert hat, dass Kolonialismus an sich als Unrechtssystem gesehen wird. Wir haben ja jetzt im Koalitionsvertrag die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte stehen, das ist ein erster Schritt und Erfolg der Initiativen, die es dafür seit vielen Jahren gibt.
Aber auffällig ist, dass es anders als die "NS-Terrorherrschaft" oder die "SED-Diktatur" nicht bewertet wird. Kolonialgeschichte wird als völlig neutrale Epoche dargestellt, und da müsste nachgelegt werden, da müsste es ein klares Bekenntnis geben. Das hat der Report von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr klar für Frankreich getan, und dazu müsste sich auch Deutschland klar äußern.
Lückert: Glauben Sie trotzdem – ich komme noch einmal auf meinen Gedanken zurück – dass es sinnvoll sein könnte, gewissermaßen ein wenig Rechtsethnologie zu betreiben und auch die Rechtsvorstellungen in dem vom deutschen Reich kolonisierten Gesellschaften zu untersuchen?
Kopp: Oft wird, wenn sich auf rechtliche Grundlagen bezogen wird, tatsächlich nur das europäische Recht angeschaut, das ist natürlich genauso unfair. Das ist ein koloniales Recht, man kann ja nicht sagen, dass man das deutsche Kolonialrecht zum Maßstab macht für die Rechtmäßigkeit eines Erwerbs oder nicht.
Sicher wurden nicht alle Objekte unrechtmäßig erworben
Es würde schon Sinn machen zu schauen, wie in den Gesellschaften selbst Recht gehandhabt wurde, denn natürlich gab es da Regeln des Zusammenlebens und auch des Erwerbs von Objekten. Also da genau zu gucken, ist für die Objekte sicher eine lohnende Aufgabe, auch weiterhin; oder überhaupt erst einmal damit anzufangen, denn es wurde ja Jahrzehnte nicht getan. Wie wurden die Objekte erworben, allein um mehr herauszufinden über die Kolonialgeschichte, über das Funktionieren des Kolonialismus.
Also wenn man jetzt pauschal sagt – und ich glaube, das kann man tun – dass Objekte, die in der Kolonialzeit angeeignet wurden, fragwürdig sind, und ihr Verbleib fragwürdig ist und die eigentlich angeboten werden müssen für die Rückgabe, davon kann es jetzt nicht abhängig gemacht werden. Ich glaube nicht, dass es sehr viele Objekte gibt, bei denen sich herausstellt, dass sie ganz rechtmäßig erworben wurden, oder man von einem fairen Erwerb sprechen kann.
Lückert: Glauben Sie denn, dass zum Beispiel in Zukunft in afrikanische Länder zurückgegebene Kunstwerke dort immer an den richtigen Ort, also an potentielle Erben oder Museen, geraten, oder landen sie dann doch wieder auf dem internationalen Kunstmarkt, wo dann erneut Provenienzforschung an ihnen vorgenommen werden muss?
Kopp: Auszuschließen ist es nicht, dass so etwas passiert, das ist klar, aber letztendlich ist es dann auch in der Verantwortung der Staaten oder auch der Communities, über ihre Objekte – wenn man denn sagt, es sind ihre und sie gehören ihnen – wirklich zu entscheiden. Und wenn sich eine Community dazu entscheidet, die Hälfte der Objekte, die ihnen gehören, zu verkaufen, da kann man dann von Europa aus nichts dagegen sagen.
Afrika sollte Objekte an Europa leihen, nicht umgekehrt
Allerdings würde ich sagen, dass es ja nicht immer – und das wird jetzt so als Horrorszenario gezeichnet – darauf hinauslaufen muss, dass jetzt wirklich Millionen von Objekten nach Afrika zurückgehen.
Die Frage ist: Wollen denn tatsächlich die Herkunftsgesellschaften wirklich immer die physische Rückgabe oder sind nicht auch Modelle denkbar, dass sie sagen: Gut, wir haben nichts dagegen, dass Objekte - und auch viele Objekte – hierbleiben, wir aber als Eigentümer aufgeführt werden, und auch gelten. Und entsprechend auch bestimmte Bedingungen stellen.
Man könnte an Leihgaben aus Afrika an europäische Museen denken, bisher wird ja nur das umgekehrte Modell gedacht. Das waren ja die Vorschläge der großen Museen, dass man Objekte als Leihgabe nach Afrika zurückgibt. Das lehnen wir ab, auch als Respektlosigkeit gegenüber den rechtmäßigen Eigentümern.
Lückert: Zum Schluss die Frage: Haben Sie den Eindruck, dass die Provenienzforschung hierzulande nicht recht vom Fleck kommt? Und wie bewerten Sie den Vorstoß aus Frankreich?
Kopp: Wir begrüßen diesen Vorstoß weil er tatsächlich eine klare Verurteilung des Kolonialismus vornimmt und da kein Blatt vor den Mund nimmt und nicht so tut, als ob es unter Umständen einen rechtmäßigen Kolonialismus gegeben haben könnte.
Aber was die Provenienzforschung hier angeht ist es tatsächlich so, dass das jahrzehntelang sträflichst vernachlässigt wurde. Und jetzt scheint uns da ein wenig zu passieren, aber viel zu wenig.
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