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Debatte um Sterbehilfe
"Noch längst keine flächendeckende Palliativ-Versorgung"

Skeptisch blickt die Hospizärztin Silvia Link auf den jüngsten Entwurf von Abgeordneten der SPD und CDU zur Sterbehilfe. Viel dringender als eine gesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid sei eine Verbesserung der Schmerzmedizin, sagte Link im Deutschlandfunk.

Silvia Link im Gespräch mit Sabine Demmer | 16.10.2014
    Sabine Demmer: Normalerweise wollen wir leben. Es ist einer der ausgeprägtesten Triebe des Menschen. Doch es gibt Situationen, in denen denken Menschen darüber nach, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Schwerkranke zum Beispiel, die sehr stark leiden müssen. Es gibt aber auch Situationen, da haben Menschen einen Todeswunsch, und wir Außenstehende würden sagen, da ist doch alles in Ordnung, derjenige hat einen guten Job, Kinder, es gibt keine Geldnöte. Da stecken dann oft Depressionen hinter.
    Dürfen wir einem Menschen beim Sterben helfen? Darüber wird heute in Berlin diskutiert. Eine Gruppe von Abgeordneten wird ein Eckpunktepapier herausgeben. Es soll juristisch Klarheit geschaffen werden. Bisher ist beispielsweise die aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten.
    Über das Thema möchte ich jetzt mit Silvia Link sprechen. Sie ist die Koordinatorin des Hospizvereins in Bonn-Beuel. Frau Link, Sie haben durch Ihre Arbeit häufiger als andere mit sterbenden Menschen zu tun. Sie sehen diese auch oft leiden in den letzten Stunden ihres Lebens. Würden Sie sich das ein oder andere Mal wünschen, aktiv beim Sterben helfen zu dürfen?
    Silvia Link: An sich ist bei mir nie der Wunsch aufgekommen, da aktiv zu töten. Ich habe eigentlich immer mehr erlebt, wenn man mit den Menschen ihre Ängste am Lebensende oder auch vor dem Lebensende bespricht und ihnen davon einen Teil nehmen kann, dass sie dann an sich leben wollen. Es ist ja auch so: Als gesunder Mensch, wenn Sie darüber nachdenken oder darüber sprechen, sehen Sie das ganz anders, als wenn Sie dann wirklich in der Situation sind. Und ich glaube auch, dass der Wunsch, "Ich will nicht mehr leben", mehr als Hilferuf verstanden werden will, also eigentlich heißt, so wie ich mich jetzt fühle, will ich nicht mehr leben, oder ich empfinde mich als Last für meine Angehörigen, deswegen will ich nicht mehr leben. Und wenn man dann versucht, diese Ängste zu nehmen, indem man sie, sage ich mal, in eine Forderung umformuliert, zum Beispiel "Ich möchte am Lebensende keine Schmerzen haben" statt "Ich habe Angst vor Schmerzen", dann kommt man irgendwie auf ein ganz anderes Gesprächsniveau, wird handlungsfähig und dann kann man die Sache anders angehen.
    "Halte organisierte Sterbehilfe für gefährlich"
    Demmer: Bisher ist die Beihilfe zum Suizid, also die Bereitstellung eines Mittels zur Selbsttötung, nicht strafbar. Allerdings hat sich die Ärzteschaft in ihrem Berufsrecht ein Verbot auferlegt, solche Hilfestellungen zu leisten. Bei aktiver Sterbehilfe, also der Tötung eines Menschen auf dessen Wunsch, drohen auch Haftstrafen. Glauben Sie, dass das auch gut so ist? Die Frage stellt sich ja auch: Kann man das einem Arzt überhaupt zumuten? Sie sind ja auch Ärztin.
    Link: Ja. Ich bin mir nicht sicher, ob wir da überhaupt eine gesetzliche Regelung machen sollten. Sie sagen ganz richtig: Strafrechtlich ist die Beihilfe zum Suizid ja keine Straftat. Und auch die einzelnen Ärztekammern in Deutschland sind sich da mit ihrem Berufsrecht nicht so ganz einig, wie das genauer formuliert wird. Ich persönlich halte eine organisierte Sterbehilfe, also die Tötung durch Vereine, die sich damit beschäftigen und die damit Geld verdienen, für gefährlich, und ich glaube, dass alle Hausärzte, die eine gute Verbindung zu ihrem Patienten haben, auch ihrem Patienten in der Sterbephase beistehen werden und versuchen, seine Symptome zu lindern, und dass denen auch dabei bewusst ist, dass sie unter Umständen in Kauf nehmen, dass die Lebenszeit vielleicht um Stunden oder auch Tage verkürzt wird. Es ist bestimmt kein Problem, das sich nur heute stellt, und wir haben heute noch dazu die ganzen Möglichkeiten der Palliativmedizin, die uns ja auch noch mal ein Riesenstück weitergebracht haben. Gerade da sehe ich auch einen Wunsch an die Politik, denn bis heute ist ja noch längst keine flächendeckende palliative Versorgung in Deutschland gewährleistet. Ich denke, da wäre viel dringender Bedarf, darüber zu reden.
    Demmer: Was hat Sie denn dazu bewegt, Menschen beim Sterben zu begleiten?
    Link: Da muss ich sagen, das kam aus meiner Tätigkeit als Hausärztin, wo ich auch schon zu einigen Menschen sehr gute intensive Beziehungen aufgebaut habe, gerade in der Sterbebegleitung, in der letzten Lebensphase, und denen helfen konnte. Und es ist eigentlich, auch wenn man es nicht glauben mag, ein gutes Gefühl, wenn man Menschen am Lebensende beistehen kann.
    Demmer: Aber es ist ja auch immer mit Trauer verbunden. Wie schaffen Sie es dann, die Trauer für sich zu verarbeiten und nicht mit nachhause in Ihr Privatleben zu nehmen?
    Link: Das ist etwas, denke ich, wo man sehr dankbar sein muss, wenn man so ein Naturell hat, und natürlich kommt auch bei mir manchmal Trauer auf, wenn Begleitungen sehr intensiv waren. Aber es ist eigentlich dann mehr eine Trauer in Form, sage ich mal, einer gewissen Wehmut, dass ich den Menschen nicht mehr in meinem Leben habe, aber gleichzeitig eine ganz große Dankbarkeit, dass ich ihn begleiten durfte.
    "Klares Nein mit Ausrufezeichen"
    Demmer: Wenn man so viel mit Tod, Trauer und Abschied nehmen zu tun hat, ist das Leben für Sie dadurch noch kostbarer geworden?
    Link: Ja! Das Leben ist kostbarer geworden, weil ich durch alles, was ich gelernt habe in diesen vielen Jahren, die ich jetzt in der Hospizarbeit bin, wirklich einfach Chancen und Möglichkeiten habe, Menschen Informationen zukommen zu lassen, und sehr viel gelernt habe, diesen Menschen beizustehen. Insofern ist mein Leben kostbarer geworden, das könnte man sagen.
    Demmer: Würden Sie persönlich gerne selbst solch eine Entscheidung irgendwann mal fällen, aus dem Leben zu gehen, wann immer Sie möchten?
    Link: Nein! Das kann ich mit einem ganz klaren Nein mit Ausrufezeichen sagen.
    Demmer: Silvia Link war das, Ärztin und Koordinatorin des Hospizvereins in Bonn-Beuel. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Link: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.