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Debatten zur Geschichte der Sportmedizin

Die Tagung "Prävention und Rehabilitation in der Sport- und Medizingeschichte"" führte Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen nach Hannover. In den Diskussionen zeigte sich, wie fruchtbar der interdisziplinäre Ansatz ist - und wie viele Leerstellen die Geschichte der Sportmedizin noch bietet.

Von Erik Eggers | 17.11.2012
    Prävention und Rehabilitation in der Sport- und Medizingeschichte, hieß die Tagung, die am vergangenen Wochenende rund 20 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen an die Medizinische Hochschule Hannover führte. Gemeinschaftlich organisiert vom Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte (NISH) und dem Institut für Medizingeschichte, stand ein bunter Strauß historischer Themen auf dem Programm. Thematischer Schwerpunkt war die Geschichte der Sportmedizin.

    Für manchen Teilnehmer ist die Aufarbeitung dieser Geschichte verwoben mit der eigenen Biographie. In seinem Vortrag "Sportärzte und Nationalsozialistische Gesundheitspolitik" nahm Claus Tiedemann aus Hamburg auch seine Vorgänger im dortigen Institut für Sportwissenschaften in den Blick. Die SS-Biographie des Sportmediziners Adolf Metzner, der in den 1960er Jahren auch als einflussreicher Sportjournalist für die ZEIT wirkte, wurde kürzlich durch lokale Forschungen in seinem Heimatort Frankenthal öffentlich. Noch befremdlicher aber seien, meint Tiedemann, die Wendungen im Leben des Sportmediziners Ernst Gadermann, der damals mit Metzner in Hamburg dozierte.

    "Bei Gadermann ist das Besondere: Er ist vom Arzt gewechselt zum Stuka-Schützen"

    Denn Gadermann, zunächst als Sanitätsarzt tätig, stieg 1944 in das Flugzeug des damals berühmten Fliegers Hans-Ulrich Rudel und wurde nach über 500 Panzerabschüssen mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Diese Karriere mache ihn fassungslos, sagt Tiedemann.

    "Natürlich spricht erst mal dagegen der hippokratische Eid. Ärzte sollen die Leiden vermindern und heilen und sollen den Menschen helfen. Und wenn Ärzte sich in den Dienst eines Systems stellen, das mörderisch wird und massenhaft Menschen umbringt, dann ist das schon ein Skandal und ein schweres Problem der Berufsethik."

    Grundsätzlich hätten die Sportmediziner im Dritten Reich eine besondere Rolle gespielt, insofern sie die Leistungsideologie der Nationalsozialisten mit ihren Argumenten und Methoden in die Tat umsetzen halfen, und zwar

    "…weil sie sich beschäftigten mit der Leistungsfähigkeit der Menschen, natürlich erst mal auf dem Gebiet des reinen Sports, aber dann eben auch dem Gebiet der Nazi-Gesundheitspolitik."

    In der Festschrift des Deutschen Sportärztebundes, die in diesem Jahr erschien, wird Gadermann ein einziges Mal erwähnt: Als Leiter des wissenschaftliches Beirates bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Ein weiterer Beleg dafür, wie viel historische Arbeit die Sportmedizin noch vor sich hat.

    Die meisten Vorträge waren informativ und anregend. Angelika Uhlmann etwa berichtete über Reihenuntersuchungen von Studierenden an der Universität Freiburg, die in den 1920er Jahren vorgenommen wurden. Notiert wurden auch die Abmessungen der Nasen, was den Einfluss der schon damals verbreiteten Rassehygiene belegt. Irritierend, dass ab 1928 mit Fritz Duras ein jüdischer Arzt für diese Studien verantwortlich war, der 1933 dann emigrieren musste.

    Aber es gab auch Kurioses, so in dem Vortrag des Sportmediziners Tobias Kaeding. In seiner Geschichte der Vibrationstechnik zeigte er ein Bild eines Rüttel-Gerätes im Fitnessraum der "Titanic". Unter ging die Technik damit nicht, bis heute experimentiert man in der Sportwissenschaft, freilich mit moderneren Geräten, inwieweit auf diese Weise Reha-Maßnahmen beschleunigt werden können.