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Debüt als Schauspielregisseur

Es solle ein Ausflug bleiben, nicht mehr, hat der Filmemacher Christian Petzold über seine erste Arbeit fürs Theater gesagt. Und so hatte nun am Deutschen Theater Berlin "Der einsame Weg" von Arthur Schnitzler Premiere. Bindungsangst, Egoismus, Verblendung und Selbsttäuschung treibt hier die Seelen in die Einsamkeit und die von Nina Hoss gespielte junge Frau in den Selbstmord.

Von Eberhard Spreng |
    "Eine Toteninsel der Sozialdemokratie", so nennt Christian Petzold das finstere Betongebäude, das auf der Rückwand der Bühne in einer grauen winterlichen Morgendämmerung zwei Stunden lang zu sehen ist: Es ist das Berliner Urbankrankenhaus hinter einem an dieser Stelle breit und träge fließenden Wasser. Eine verblüffende architektonische Ähnlichkeit mit Arnold Böcklins Toteninsel hat der Filmemacher entdeckt und in seiner ersten Theateraufführung zur zentralen Allegorie gemacht. Hin zu diesem Bild führt ein leicht ansteigender sich nach hinten etwas verjüngender Kegel, ein hell cremefarbener Durchgangsraum, eine Passage zum Tod. Hier lässt er ältere, seelisch vereinsamte, künstlerisch gescheiterte Männer Jagd auf einen jungen Mann und eine junge Frau machen, Menschen mit einer Hoffnung auf ein letztes Aufflackern von Gefühl, einer letzten emotionalen Zerstreuung.

    "Haben wir je gezögert, anständige Menschen zu betrügen, zu belügen, wenn wir dadurch um eine Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden konnten? Haben wir je unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt, um das Wohlergehen eines Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte."

    In einer späten Selbstkritik hält das einstige von Ulrich Matthes gespielte Dichtertalent Stephan von Sala sich selbst und der einstigen Malerhoffnung Julian Fichtner egoistische Selbstgefälligkeit vor: Julian Fichtner, den Ernst Stötzner mit schöner Verbohrtheit, mit dem stieren Blick auf die eigenen Bedürfnisse vorführt, möchte den Kontakt zu seinem unehelichen Sohn herstellen. Vor 23 Jahren hatte er Gabriele, kurz vor deren Heirat mit dem Kunstprofessor Wegrath verführt. Stephan von Sala wiederum kann die Liebe der jungen Johanna nicht richtig erwidern, die sich zu dem schwerkranken Witwer hingezogen fühlt, der in einer großen archäologischen Expedition sein Leben in der Gegenwart aufgeben und vollends in der Beschäftigung mit der toten Vergangenheit aufgehen will.

    Bindungsangst, Egoismus, Verblendung und Selbsttäuschung treibt hier die Seelen in die Einsamkeit und die von Nina Hoss gespielte junge Frau in den Selbstmord. Wieder spielt sie eine junge, geheimnisvolle Frau, jemand, dessen Glück in dieser Welt nicht möglich zu sein scheint. Anders als bei der Filmfigur Yella, deren Traum vom Leben sie vorübergehend in eine Wirklichkeit zweiter Ordnung, in eine kühle Welt jenseits der ehemaligen Mauer zwischen Ost und West führte, ist bei Schnitzler keine Parallelwelt vorhanden, in die sie ausbrechen könnte. Aber wiederum ist sie im Trubel von Gier und Begehren so etwas wie ein dunkler Urpunkt, die Figur, die die Träume enthält, die unsere Wirklichkeit nicht zulässt. Eine utopische Figur also, und deshalb eine Todeskandidatin.

    Christian Petzold hat in seiner ersten Arbeit für die Bühne, wie dies nach seinen Filmen zu erwarten war, Schnitzlers "Seelenintensität" der Einsamen als ein pures, fast karges, aber auch etwas statuarisches Schauspielertheater inszeniert. Almut Zilcher spielt dabei eine selbstbewusste reife Geliebte, betrogen um das Glück Mutter zu werden, mit einer fast provozierend fröhlichen Verzweiflung, Alexander Khuon den jungen Offizier als selbstsicheren Mann in einer von den Alten beherrschten Welt, Jörg Gudzuhn den einzigen Wirklichkeitsmenschen, den einzigen aus der Clique der Künstler, der so etwas wie ein Berufsleben hat. Wirklichkeitsverlust heißt die Krankheit, die alle anderen ergriffen hat und in die Einsamkeit stürzt. Natürlich ist dies aktuell und natürlich ist auch hier Petzolds Fähigkeit, gesellschaftliche und kulturelle Probleme als individuelle, emotionale Konflikte zu erzählen, spürbar. Aber die unverkennbare Handschrift, die seine Filme auszeichnet, ist auf dem Theater nur in Ansätzen erkennbar.