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Deckname "Gruia"

Der Schriftsteller Peter Grosz hat zugegeben, in den 70er-Jahren Autorenkollegen für den rumänischen Geheimdienst bespitzelt zu haben. Auch der Autor Ernest Wichner könnte zu den Oberservierten gehört haben.

Ernest Wichner im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 22.02.2010
    Doris Schäfer-Noske: Als Herta Müller im Herbst den Literaturnobelpreis zuerkannt bekam, da hat sie eine stärkere Aufklärung der Verbrechen des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes Securitate gefordert. Seitdem hat sich nun der Lyriker Werner Söllner im Dezember öffentlich zu seiner Securitate-Mitarbeit bekannt. Und nun hat auch der Schriftsteller Peter Grosz zugegeben, in den 70er-Jahren unter dem Decknamen "Gruia" Autorenkollegen für den rumänischen Geheimdienst bespitzelt zu haben. In beiden Fällen waren die Autoren auf den Literaturkreis Aktionsgruppe Banat angesetzt und eines der Mitglieder dieses Literaturkreises war der Schriftsteller Ernest Wichner, heute Leiter des Berliner Literaturhauses. Frage, Herr Wichner: Wie haben Sie denn von diesem jüngsten Fall erfahren?

    Ernest Wichner: Ich habe über diesen Fall so vor etwa anderthalb Monaten erfahren, als meine Freunde Gerhard Ortinau und William Totok ihre Opferakten gelesen hatten und beide festgestellt haben, dass Peter Grosz in ihren Akten der wichtigste und ausführlichste Informant für die Securitate war.

    Schäfer-Noske: Grosz hatte ja offenbar den Auftrag, sich mit Mitgliedern der Aktionsgruppe Banat anzufreunden. Wie war denn Ihr Verhältnis zu ihm in Rumänien und später auch in Deutschland?

    Wichner: Ich kannte ihn in Rumänien und habe ihn eher gemieden. Er schien mir nicht sonderlich vertrauenswürdig und ich hielt ihn, wie die anderen auch, für einen etwas unbedeutenden Autor.

    Schäfer-Noske: Er hatte damals ja auch eine Gegengruppe gegründet gegen Ihre Aktionsgruppe Banat. Wie ernst zu nehmen war die denn?

    Wichner: Die war überhaupt nicht ernst zu nehmen. Da haben sich ein paar derer zusammen getan, die wir in der Regel mieden, die wir für schlechte Dichter hielten, Hochstapler oder eben nicht vertrauenswürdig.

    Schäfer-Noske: Welcher Art waren denn die Informationen, die Grosz nun an den Geheimdienst weitergab? Sie haben ja schon Herrn Totok zum Beispiel angesprochen, der von ihm ja sehr stark bespitzelt worden war.

    Wichner: Ja. Also, dieser Peter Grosz war offenbar nicht auf die ganze Gruppe angesetzt, er ist auch nicht zu unseren Veranstaltungen gekommen. Er ist ganz gezielt auf William Totok und Gerhard Ortinau angesetzt gewesen und über die hat er sehr, sehr ausführlich informiert. Er scheint jetzt es so darstellen zu wollen, als habe er eben nur über private Dinge dieser beiden Personen berichtet, um politisch keinen Schaden anzurichten. Genau das ist in diesem Fall das Problem. Er kannte die sehr, sehr gut, hat sich deren Freundschaft erschlichen und hat die intimsten Dinge verraten, die dem Geheimdienst auch die Möglichkeit gaben, sie an den Stellen zu treffen, durch deren Aktionen, wo es am meisten wehtat, also wo sie den größten Schaden anrichten konnten. Beide waren, als sie ihre Akten gelesen haben, entsetzt darüber, wie weit das ging, und das habe ich selber auch nachgelesen.

    Schäfer-Noske: Peter Grosz behauptet ja, zu seiner Spitzeltätigkeit gezwungen worden zu sein. Wie glaubhaft ist das denn?

    Wichner: In irgendeiner Weise gezwungen worden sind alle. Also, da ist niemand freiwillig hingegangen und hat gesagt, er möchte gerne für die Securitate informieren. Aber viele andere, die gezwungen worden sind, haben sich verweigert.

    Schäfer-Noske: Er sagt auch, er habe versucht, Wiedergutmachung zu leisten. Ist denn davon etwas zu merken gewesen?

    Wichner: Ja, ich weiß nicht, wo. Also, er hat, als Gerhard Ortinau ihn konfrontiert hat mit dem, was er in seiner Akte gelesen hat – der hat ihm einen Brief geschrieben – daraufhin hat Grosz ihm geantwortet: Na ja, es waren halt schwierige Zeiten und vielleicht können wir mal darüber sprechen, wenn du nach Mainz kommst oder wenn ich mal nach Berlin komme. Er hat geradezu auch das Gespräch verweigert.

    Schäfer-Noske: Wie kommt es denn, dass Grosz erst jetzt seine Spitzeltätigkeit öffentlich zugegeben hat? Ist da vielleicht durch die Vergabe des Literaturnobelpreises an Herta Müller etwas in Gang gekommen?

    Wichner: Ja, in Teilen. Es ist in Gang gekommen, dass die Öffentlichkeit jetzt eher ein Gehör dafür hat. Ansonsten ist es eine Koinzidenz. Das liegt daran, dass diese rumänische Behörde, die den Nachlass der Securitate verwaltet, jahrelang die Freigabe von Akten verweigert hat. Und eben letzten Sommer haben sie die Spitzelberichte an Richard Wagner, Gerhard Ortinau, William Totok und eine Reihe anderer plötzlich freigegeben und denen zur Lektüre überlassen.

    Schäfer-Noske: Müssen wir denn uns nun auf weitere Enthüllungen gefasst machen?

    Wichner: Ja. Es wird noch einige Namen geben, die man nennen wird müssen.

    Schäfer-Noske: Wie ist das denn mit Ihrer eigenen Akte, sind Sie da auch auf Namen gestoßen, denen man noch keine Person zuordnen kann?

    Wichner: Also, ich vermute, dass ich keine eigene Akte habe, denn ich bin 1975, im Januar, in die Bundesrepublik ausgewandert und die Akten meiner Freunde sind so '74, '75 angelegt worden. Ich tauche zwar in den Akten der anderen auf als derjenige, der in den Westen gegangen ist und mit dem es da Beziehungen gibt, und da wird mitunter gefragt, wer der denn ist und was der so treibt. Aber ich bin angemeldet in Bukarest, in dieser Behörde für die nächste Zeit, um dort meine Akte, wenn es eine gibt, aber vor allem, um dort die Securitate-Akten einzusehen, denn die hat noch keiner von uns gesehen, die Akte, die die Securitate für den eigenen Gebrauch angelegt hat. Die Securitate-Akten, die kriegt man nicht ausgehändigt. Ich habe mich dort als Forscher angemeldet und kriege deshalb Zugang zu diesen Akten. Jetzt wissen wir eben nur, wer welcher Informant war. Wir wissen nicht, was die Securitate von Amts wegen betrieben hat, wie sie gearbeitet hat.

    Schäfer-Noske: Das war der Schriftsteller Ernest Wicher, Leiter des Berliner Literaturhauses, über Securitate-Spitzel unter den rumänischen Autoren.