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"Definitiv ein Meilenstein"

Paläoanthropologie.- Zum größten Teil sei der Neandertaler eben nicht Vorfahr des Menschen, sagt Professor Joachim Burger vom Institut für Anthropologie der Uni Mainz. Im Interview mit Ralf Krauter gibt er eine Einschätzung der neuen Studie.

    Ralf Krauter: Ein bisschen Neandertaler steckt in jedem von uns. Fragt sich halt nur, was man draus macht. Michael Stang war das. Mitgehört hat Professor Joachim Burger vom Institut für Anthropologie der Universität Mainz. Herr Burger, helfen Sie uns, diese Sache richtig einzuordnen. Die Geschichte sorgt ja medial für ziemlichen Wirbel. Wie wichtig ist sie aus fachlicher Sicht denn tatsächlich?

    Joachim Burger: Die Arbeit erzeugt medial einen sehr großen Wirbel – zu Recht. Denn immerhin ist die Vorstellung, dass es eine andere Menschenform gegeben hat, die also nicht komplett separiert war von uns heutigen Menschen, schon bedeutend für unser Selbstbewusstsein. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das definitiv ein Meilenstein, der noch lange, sage ich mal, über die Zeitungsüberschriften des heutigen Tages hinaus, für uns von Bedeutung sein wird.

    Krauter: Das Interessante aus der Sicht des Wissenschaftsjournalisten, aber auch des interessierten Laien ist ja, dass man vor zwei Jahren fast gegenteilige Schlagzeilen lesen konnte. Damals gab es Untersuchungen von mitochondrialer DNA, die eigentlich das Gegenteil belebt hatten, nämlich keine Vermischung von modernem Menschen und Neandertaler. Wer lag denn damals falsch? Die Forscher oder die Journalisten, die damals darüber berichtet haben?

    Burger: Es ist beides richtig. Wir wissen schon lange, dass die Mitochondrien ganz eigenen Vererbungsregeln folgen und dass es, wenn sie mitochondrial keine Vermischung feststellen, nicht heißt, das man eben doch autosomal – das heißt auf dem Rest des Genoms – Vermischung feststellen kann. Und deswegen wurde jetzt ja die neue Arbeit gemacht. Dass das dann letztendlich in polaren Überschriften, die scheinbar gegenteilig lauten, endet, ist sicherlich etwas ... was extrahiert man aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen? Teilweise sind die feinen Differenzierungen nicht immer gemacht worden.

    Krauter: Das heißt aber aus Ihrer Sicht: So irrsinnig überraschend, wie das jetzt manchmal anklingt, sind die neuen Ergebnisse gar nicht, über die wir heute berichten.

    Burger: Im Detail ist das etwas, was man vielleicht hätte teilweise annehmen können. Also dass zwei Menschenformen, deren Populationen sich vor 200.000 bis 400.000 Jahren getrennt haben, danach immer noch Kontakt hatten. Dass die Nachfahren zeugen können, ist überhaupt nicht abwegig. Mann muss sich eher fragen, warum sie das – wenn sie denn die Gelegenheit dazu hatten – nicht in größerem Ausmaß getan haben.

    Krauter: Ist das die spannende Frage, die die neuen Erkenntnisse jetzt eigentlich aufwerfen?

    Burger: Also es ist eine ganze Reihe von spannenden Fragen, die auch in dem Artikel in vorbildlicher Weise auch teilweise schon beantwortet werden. Einerseits – zur prähistorischen Populationsgenetik und Demografie – das heißt, wann haben wir und von diesen Neandertalern getrennt? Wie groß waren die Einmischungen später? Und letztendlich: Wie hat sich der Mensch in der Folge über die Erde verteilt? Das können wir daraus jetzt schon ablesen. Und auch zur Evolutionsgenetik, nämlich welche Marker haben sich in den letzten Jahrhunderttausenden denn im Menschen neu entwickelt? Das ist glaube ich das langfristige Ziel, das die Autoren verfolgen. Und auch da haben wir einen ganz neuen Datensatz, der einfach vorher nicht zur Verfügung stand. Ob das letztendlich dazu führt, dass wir erkennen, was das eigentlich Menschliche ist, da glaube ich persönlich jetzt wiederum, ist der Neandertaler der falsche Kandidat, der falsche Vergleich letztendlich, weil, das zeigt auch die Studie selbst, er viel zu nah an uns dran ist. Abgesehen davon, dass es vielleicht auch gar nicht das Genom ist, das man da anscheuen muss, sondern die rationale Selbsterfahrung. Oder so wird uns da wahrscheinlich das Betrachten unserer Mitmenschen weiterführen. Aber die Korrelate auf dem Genom, also das, was damit zusammenhängt, ist schon spannend und führt uns letztendlich zu einer detaillierteren Geschichte unserer Spezies.

    Krauter: So ganz differenziert wie Sie das jetzt hatten wird das aber nicht immer dargestellt. In den Zeitungen ist teilweise auch zu lesen, der Neandertaler sei nun doch unser Vorfahr. Aber das kann man so eigentlich auch nicht ganz stehen lassen, oder?

    Burger: Das ist immer ein Seiltanz, den der Wissenschaftler dort zu vollbringen hat, sozusagen etwas zu reduzieren für die mediale Aufmerksamkeit. Aber de facto ist es vielleicht hier ein bisschen irreführend, denn der Neandertaler ist eben zum größten Teil nicht unser Vorfahre. Aber es ist so: Er hat einen gewissen Anteil daran. So differenziert müsste man es eigentlich darstellen.

    Krauter: Was wir hiermit getan haben. Informationen und Einschätzungen von Professor Joachim Burger von der Uni Mainz. Vielen Dank.